Die Ständige Impfkommission empfiehlt gesunden Kindern keine Covid-19-Impfung mehr

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Die Covid-19-Impfempfehlung für gesunde Kinder ist gefallen. So einige Familien stehen nun vor der Überlegung: Wollen wir dennoch den Piks fürs Kind?

Die Empfehlung lautet jetzt für gesunde Kinder im Regelfall: Impfung nicht mehr nötig. Foto: Shutterstock

Auf die Frage, wie sinnvoll der fürs gesunde Kind sein kann, gibt es keine pauschale Antwort. Es ist eine Abwägungsfrage, bei der vor allem auch das Gespräch mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin für mehr Klarheit sorgen kann.

«Wenn man von der allgemeinen Impfempfehlung der Stiko abweicht, was man im Einzelfall durchaus tun kann – dann wird das immer eine individuelle Entscheidung sein, die auf vielen unterschiedlichen Faktoren beruht», sagt Prof. Reinhard Berner. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Uniklinikums Dresden.

Verläufe unter Omikron fallen fast immer mild aus

Aber von vorn: Bei den Impfempfehlungen der Stiko steht eine Überlegung im Mittelpunkt: Wie groß ist der Nutzen, den der Piks hat? Schwere Verläufe, Krankenhausaufenthalte, Intensivstation und Tod vermeiden – dafür ist die Impfung, so Berner, gemacht worden.

Seitdem sich die Omikron-Varianten durchgesetzt haben, hat sich der Nutzen der Impfung für gesunde Kinder allerdings deutlich verringert.

Der Grund: «Kinder erkranken unter Omikron-Varianten nur selten schwer – noch seltener als unter den vorherigen Varianten», sagt Prof. Tobias Tenenbaum, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Sana Klinikum Berlin-Lichtenberg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie.

Das zeigt sich zum Beispiel, wenn es um das Entzündungssyndrom PIMS geht. Nach Beobachtung von Tenenbaum kommt es unter Omikron bei Kindern so gut wie gar nicht mehr vor – anders als noch bei der Deltavariante. Was dazukommt: Viele Kinder haben bereits Kontakt mit dem Coronavirus gehabt und eine gewisse Immunität aufgebaut.

Übrigens: Dass die Stiko gesunden Kindern keine Impfung mehr empfiehlt, heißt nicht, dass sie aktiv von der Spritze abrät. Es bestünden «keine Sicherheitsbedenken bei der Impfung von gesunden Kindern und Jugendlichen», schreibt die Kommission.

Impfempfehlung für Kinder mit schweren Vorerkrankungen

Aber wie lautet denn nun die neue Empfehlung der Stiko, wenn es um Kinder geht? Eine Covid-19-Impfung empfiehlt die Stiko Kindern ab sechs Monaten, die ein erhöhtes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe haben.

Dazu zählt ein Kind mit einer schweren neurologischen oder neuromuskulären Erkrankung, das im Rollstuhl sitzt. Oder ein Kind mit einer chronischen Erkrankung der Lunge oder der Nieren. Oder mit einer Immunschwäche, einem angeborenen Herzfehler oder einer Trisomie 21. In der aktuellen Impfempfehlung listet die Stiko auf, bei welchen Erkrankungen eine Impfung empfohlen wird.

«Von solchen Kindern wissen wir, dass sie bei Covid-19, aber eben auch bei der Influenza oder anderen Virusinfektionen ein hohes Risiko haben, ins Krankenhaus – oder gar auf die Intensivstation – zu müssen», sagt Berner. Eine Covid-19-Impfung kann dieses Risiko deutlich senken.

Laut Empfehlung der Stiko sollten Kinder mit solch schweren Erkrankungen eine Grundimmunisierung erhalten. Sie kann sich entweder aus drei Impfungen zusammensetzen oder aus zwei Impfungen und einer Corona-Infektion.

Anschließend rät die Stiko zu einer jährlichen Auffrischungsimpfung. Sie sollte in einem Abstand von mindestens 12 Monaten zur letzten Infektion oder Impfung stattfinden, optimalerweise im Herbst.

Auch Eltern sollten Impfschutz prüfen

Für Kinder mit schweren Grunderkrankungen ist eine Impfung also weiterhin wichtig. Und in solchen Familien kann es laut Tenenbaum durchaus sinnvoll sein, dass auch die Eltern ihren Impfschutz noch einmal prüfen. Übrigens nicht nur gegen Corona, sondern zum Beispiel auch gegen Masern.

«Bei einem Kind mit einer schweren Immunschwäche im Rahmen einer Knochenmarktransplantation etwa, wirken Impfungen nicht gut», sagt Tenenbaum. Denn ihr Immunsystem spricht schlechter auf die Impfung an. Schützt sich also das Umfeld möglichst gut, schützt das am Ende auch das erkrankte Kind mit.

So bewertet es auch die Stiko: Die Impfempfehlung umfasst auch Familienangehörige und enge Kontaktpersonen von Menschen, bei denen durch eine Covid-19-Impfung «vermutlich keine schützende Immunantwort erzielt werden kann». Auch ihnen rät die Stiko zu einer Grundimmunisierung und einem jährlichen Piks zur Auffrischung.

Was bei leichteren Erkrankungen gilt

Aber was gilt für das Kind, das ein leichtes Asthma hat oder eine Neurodermitis? Für die Stiko, so Berners Einschätzung, zählen sie zu den gesunden Kindern.

«Ein Kind, das eine normale Teilhabe am Leben hat, das sich ganz normal körperlich beim Sportunterricht oder im Sportverein belasten kann – ein solches Kind hat kein Risiko, eine schwere Covid-19-Infektion zu erleiden», sagt er. Damit falle es nicht unter die Indikation der Stiko.

Die Hoffnung, einen Infekt zu ersparen

Auch wenn erst mal der Sommer ansteht – schon jetzt rechnen einige Eltern damit, dass in Herbst und Winter wieder zahlreiche Krankheitserreger in den Kitas und Schulen umhergehen. Wäre die Impfung nicht ein Weg, dem Kind wenigstens einen Infekt zu ersparen?

«Das ist ein verständlicher Gedanke», sagt Berner. Aber er blickt nicht ganz ohne Skepsis darauf. Denn es gebe viele, viele Viren, die sich der Nachwuchs in der Kita auflesen könnte. «Die Frage ist: Wäre es überhaupt sinnvoll, gezielt zu versuchen, eine einzelne Infektion zu verhindern, die noch nicht einmal einen schweren Verlauf macht?», sagt er. «Oder ist es nicht viel sinnvoller, dass sich – wie bei vielen anderen Atemwegsinfektionen auch – eine natürliche Immunität aufbauen kann?»

Denn seiner Einschätzung nach ordnet sich das Coronavirus nun ein in die «unendliche Vielfalt der unterschiedlichen Atemwegsviren, die es jeden Winter gibt».

Dazu kommt: Dass sich das Kind eine Corona-Infektion mit Husten, Schnupfen und Fieber zuzieht und ein paar Tage zu Hause bleiben muss – davor schützt die Impfung laut Berner nicht zuverlässig. Eltern sollten an den Piks daher besser nicht die Hoffnung heften, ihrem Kind einen Infekt ersparen zu können.

Fremdschutz kann eine Überlegung sein

Bei der Überlegung, ob Eltern ihr gesundes Kind impfen, geht es aber vielleicht nicht allein um den Nachwuchs. Vielleicht steht bei dem Großvater bald eine Krebstherapie an, die das Immunsystem enorm schwächen wird. Auch hier greift die Empfehlung der Stiko, dass enge Angehörige von Immunsupprimierten einen ausreichenden Impfschutz haben sollten. Das können auch Kinder oder Jugendliche sein.

Eltern sollten laut Tenenbaum aber wissen, dass auch ein geimpftes Kind wie auch die geimpften Eltern sich infizieren und damit andere anstecken können. Das Risiko lässt sich zwar durch die Impfung senken – vermeiden lässt es sich aber nicht.

Impfung im Herbst oder zu Winterbeginn

Wenn sich Familien für den Piks fürs Kind entscheiden – wann sollte er am besten stattfinden? Die Stiko empfiehlt den Piks vorzugsweise im Herbst.

Impft man am Anfang des Winters, «dann wäre ein gewisser Schutz über die ersten Wintermonate zu erwarten», sagt Berner. Er schränkt allerdings ein: «Aber vielleicht ist es gerade im nächsten Winter so, dass Corona erst im März oder April seinen Höhepunkt hat? Grundsätzlich gilt trotzdem: Man würde ähnlich wie bei der Influenza-Impfung empfehlen, zu Beginn der Wintersaison zu impfen.» Von Ricarda Dieckmann, dpa

Epidemiologisches Bulletin des RKI mit Stiko-Empfehlung

Lauterbach über Schulschließungen: „Es gab ein viel zu geringes Interesse, irgendetwas für die Kinder zu machen“

 

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8 Kommentare
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Ale
11 Monate zuvor

Seit wann verfolgen wir das Ziel einer natürlichen Immunität, die bei diesem Virus eigentlich nicht vorhanden ist? Ist das Risiko einer Infektion wirklich geringer als das Risiko einer Impfung. Und wurden die oft danach stattfindenden Sekundärinfektionen mit beachtet (z.B. da höhere Risiko einer RSV Infektion https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2023.05.12.23289898v1)? Ich glaube kaum.
Es gibt keine Sicherheitsbedenken gegen die Impfung – schön nur ohne Stiko wird eine Übernahme durch die Kassen kaum erfolgen. Wir haben dieses Jahr im Herbst und Frühjahr an Schulen und KiTas gesehen, was die Welle für folgen hat. Für mich ist diese Empfehlung „Augen zu und durch“. Und nochmal zur Erinnerung: auf Intensiv zu liegen und Sauerstoff über die Brille zu bekommen zählt offiziell als milde Infektion.

Realo
11 Monate zuvor
Antwortet  Ale

Wollen Sie damit sagen, dass sich Kinder mit dem RS-Virus ansteckten, weil sie zuvor Corona hatten? Falls ja, gibt es dafür Belege?

Ale
10 Monate zuvor
Antwortet  Realo

Ich habe die entsprechende Studie oben verlinkt. Viel Spaß beim Lesen. Hier nur das Summary: „Among 228,940 children aged 05 years, the risk for first-time medically attended RSV during 10/202212/2022 was 6.40% for children with prior COVID-19 infection, higher than 4.30% for the matched children without COVID-19 (risk ratio or RR: 1.40, 95% CI: 1.271.55); and among 99,105 children aged 01 year, the overall risk was 7.90% for those with prior COVID-19 infection, higher than 5.64% for matched children without (RR: 1.40, 95% CI: 1.211.62). These data provide evidence that COVID-19 contributed to the 2022 surge of severe pediatric RSV cases.“

Realo
10 Monate zuvor
Antwortet  Ale

O.k., danke.

Brennpunktschule
10 Monate zuvor
Antwortet  Ale

Die Argumente für und gegen eine Impfung wurden doch im Artikel aufgezählt.

Es gibt keinen Grund mehr, Corona anders zu behandeln als eine Grippe – Gott sei Dank!

Ale
10 Monate zuvor
Antwortet  Brennpunktschule

Das ist ihre Meinung, ich sehe das anders. Bei uns ist es immernoch so, dass Corona immer wieder durch die Schule rutscht. Dazu kommen massive Sekundärinfektionen und leider genug Schüler mit LC (Prozentual gesehen vielleicht nicht, aber 6 Schüler bei uns an der Schule mit solchen Einschränkungen gab es nach keiner Grippewelle). Es ist bequem, das so zu machen. Aber ich bleibe dabei, wir haben dieses Schuljahr gesehen, dass es eben nicht wie „Grippe“ ist, allein schon die Saisonialtät ist bis dato noch nicht gegeben. Ebenso zeigen Studien mögliche Effekte, die über eine Grippeerkrankung hinweg gehen. Siehe hierzu auch den Giro. Nicht um sonst wird in den USA die Impfung auch für Kinder empfohlen. Apropos: die Grippeimpfung bekommt man auf Kassenkosten, die Corona eben nicht.

NichtErnstZuNehmen
10 Monate zuvor
Antwortet  Brennpunktschule

Na dann, Happy Long COVID gewünscht.

Alex
10 Monate zuvor
Antwortet  Brennpunktschule

Erzählen Sie das mal den Chinesen: https://www.mdr.de/wissen/corona-welle-china-xbb-100.html