„Maßgeschneiderter Unterricht“: Nachhilfe-Unternehmen sieht große Chancen in KI

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WIEN/BERLIN. Die rasanten Entwicklungen auf dem Feld der künstlichen Intelligenz zwingen besonders Unternehmen aus dem Bereich der Educational Technology zur Anpassung ihrer Geschäftsmodelle. Das birgt durchaus auch Chancen.

Die Digitalisierung verändert das Lernen – aber wie? Illustration: Shutterstock

Der Hype um ChatGPT setzt nicht zuletzt Ed -Tech Unternehmen zu. Auch die bekannte Plattform GoStudent, nach eigenen Angaben einer der weltweit führenden Anbieter von Nachhilfeunterricht, ist laut Medienberichten zuletzt unter Druck geraten. Allerdings rechnet die in Österreich beheimatete Gesellschaft selbst damit, dass der weltweite Markt für KI im Bildungsbereich bis 2027 ein Volumen von 10 bis 20 Milliarden US-Dollar erreichen könnte. Das Unternehmen plant (laut einer Pressemeldung) KI zu nutzen, um sein personalisiertes Nachhilfeangebot zu stärken, wobei diese Integration seinen Umsatz in den nächsten fünf Jahren um 40 % steigern soll. Dabei peilt die Plattform einen Marktanteil von bis zu 10 % an.

“KI hat das Potenzial, einen erheblichen Mehrwert zu schaffen, sowohl in Bezug auf Umsatzmöglichkeiten als auch auf die Verbesserung des Lernerlebnisses”, sagt Unternehmensgründer Felix Ohswald. Um diese Technologie richtig zu nutzen, müssten Bildungsunternehmen herausfinden, wie KI eingesetzt werden kann, um ihre bestehenden Profile zu verstärken. „In erster Linie werden wir KI nutzen, um die Erfahrung von Schülerinnen und Schülern und Tutorinnen und Tutoren weiter zu verbessern – indem wir maßgeschneiderte Unterrichtsstunden und Lernumgebungen schaffen und Prozesse automatisieren, sodass die Tutorinnen und Tutoren mehr Zeit mit den Schülerinnen und Schülern verbringen können”, so der GoStudent-CEO.

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Auch wenn die Nachhilfe durch Menschen weiterhin im Mittelpunkt stehe, räumt Ohswald ein, dass ein KI-Tutor wesentlich kostengünstiger sein könnte. Langfristig wolle das Unternehmen einen Tutor entwickeln, der auf der Grundlage der Erfahrungen der Kundinnen und Kunden geschult ist. Dies werde nicht zuletzt sicherstellen, dass das Angebot zu einem weitaus niedrigeren Preis erhältlich ist, um ein breiteres Spektrum von Familien zu bedienen und ein größeres Marktpotenzial zu erschließen.

Doch auch die menschlichen Tutoren sollen profitieren, etwa durch einen KI-gestützten Unterrichtsplan-Generator, der jedem Tutor durchschnittlich 15 Minuten pro Unterrichtsstunde spare. Über Bots könnten aber auch den Tutorinnen und Tutoren Auffrischungskurse angeboten werden, um sich weiterzubilden. Das österreichische Unternehmen GoStudent galt lange als Europas wertvollstes Bildungs-Start-up. Die Plattform vermittelt vor Ort Nachhilfe und videobasierten 1:1-Unterricht. Go Student beschäftigt derzeit rund 23.000 Tutorinnen und Tutoren als freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (zab, pm)

GEW-Landeschef Strömer: Künstliche Intelligenz im Unterricht nutzen – fürs Selbstlernen

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Georg
10 Monate zuvor

Ein Nachhilfeinstitut sieht darin eine kostengünstige Methode, individuelle Matheaufgaben zu basteln, die Gruppen zu vergrößern und so Kosten bei gleichem Umsatz zu sparen.

Against Fremdbetreuung
10 Monate zuvor
Antwortet  Georg

Würde doch in der Schule sicher auch klappen 😉

Georg
10 Monate zuvor

Wenn man sich auf den Anforderungsbereich 1 beschränkt, schon.

Michael S.
10 Monate zuvor

„Schüler werden immer dümmer“ – zu großen Teilen „wegen ihrer Display-Sucht“ attestieren Winterhoff und Spitzer. Was da hilft?! Natürlich noch mehr Zeit vor dem Display. Was für eine Farce!

Aber lukrativ ist es natürlich, bei den bereits „misshandelten“ Kindern einfach nochmal abzusahnen.

PaPo
10 Monate zuvor
Antwortet  Michael S.

Manfred Spitzer – der neoludditische „Pädagoge mit dem Holzhammer“ – sagt ja Bildschirmmedien per se diabolische Effekte zu. Den sollte man einfach ignorieren.

Tigrib
10 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Und einfach weiterdaddeln? Prima, noch mehr Bildschirmsüchtige.

PaPo
10 Monate zuvor
Antwortet  Tigrib

Der Bildschirm per se ist nicht das Problem, sondern exzessive (was auch immer das konkret mangels Relationswerten heissen soll) Nutzung von Bildschirmmedien allenfalls ein Symptom anderer Probleme und ggf. unter den Gesichtspunkten von Opportunitätskosten zu problematisieren (wenn ich N Stunden in A investiere fehlt mir diese Zeit für B).

Oder im Detail:
Zur entalarmisierenden Versachlichung des Problemthemas „Computer-“ resp. „Videospiel-sucht“ hier ein paar Informationen: Bereits gegen Ende der 2000er boten bspw. die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und das Universitätsklinikum Tübingen Ambulanzen resp. Präventions- und Interventionsprogramme für eine vmtl. Computerspielsucht an und 2010 präsentierte die Kinderklinik auf der Bult in Hannover als erstes dt. Krankenhaus eine stationäre Therapie gg. eine Computer- resp. Computerspielsucht. Indes hat die Weltgesund-heitsorganisation eine Computerspielsucht aber erst im Mai 2019 in die International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD) aufgenommen (s. ICD-11), vulgo zur Krankheit erklärt. Diese Pathologisierung des Computerspielspielens erfolgte aber tatsächlich entgegen dem einschlägigen Forschungsstand und hat dementsprechende Kritik evoziert: Bspw. artikulierte die globale Computerspielbranche ihre Bedenken über die Entertainment Software Association (ESA) als Sprachrohr, einen US-amerikanischen Branchenverband: „‚Gaming disorder‘ is not based on sufficiently robust evidence to justify inclusion in one of the WHO’s most important norm-setting tools“ (Pressemitteilung v. 25.05.2019). Gestützt ist diese Stellungnahme auf die einschlägige Forschung, die geltend macht, dass Computer-spielspielen sich kategorisch nicht als Gegenstand einer substanzungebundenen Abhängigkeit eigne und dass gängige Diagnoseinstrumente für solche Abhängigkeiten nicht verfangen könnten resp. in systematischen Verzerrungen resultierten. Allenfalls könne pathologisches Spielen Symptom anderer psychologischer Probleme, nicht aber deren Ursache sein: „Evidence suggests that gaming disorder isn’t a disorder at all, but a symptom of other mental health issues, such as depression, anxiety or ADHD. Games are simply a coping mechanism for people with other conditions, so the psychiatric focus on gaming is largely misguided. […] The inclusion of gaming disorder in the ICD is a red flag. It’s time to reevaluate the degree to which psychiatry has invaded normal life, and examine the conflicts of interest—particularly the financial and political—that explain why this has occurred. […] Gaming disorder does indeed represent a crisis for an industry. However, it is a crisis for the industry of manufacturing mental disease, not for the entertainment industry“ [Ferguson, Christopher J. (2019b): Gaming Disorder: The World Health Organisation Jumps the Shark. Online: https://areomagazine.com/2019/06/11/gaming-disorder-the-world-health-organisation-jumps-the-shark/?fbclid=IwAR0Q45Zn5XHByeTFQw2NRWuI4A1CIHpIKkXKPnXYSFFFvCCBG7sP0b-Ejrc, Stand: 26.07.2019].
Ein paar weitere Lesetipps zum aktuellen Stand der einschlägigen Forschung (inkl. Abstracts):
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With proposals to include “gaming disorder” in both the Diagnostic and Statistical Manual (DSM) and International Compendium of Diseases (ICD), the concept of video game addiction has gained traction. However, many aspects of this concept remain controversial. At present, little clarity has been achieved regarding diagnostic criteria and appropriate symptoms. It is unclear if symptoms that involve problematic video gaming behavior should be reified as a new disorder, or are the expression of underlying mental conditions. Nonetheless, the recent proposals around gaming disorder from respected bodies such as the World Health Organization and the American Psychiatric Association seem to lock much of the applied research into a confirmatory trajectory. Since the DSM–5 proposal, research is increasingly focused on the application of the proposed criteria, as opposed to broadly testing validity and necessity of the overarching construct. This raises multiple concerns. First, the current approaches to understanding “gaming addiction” are rooted in substance abuse research and approaches do not necessarily translate to media consumption. Second, some research has indicated that “video game addiction” is not a stable construct and clinical impairment might be low. Third, pathologizing gaming behavior has fallout beyond the therapeutic setting. In light of continuing controversies, it is argued that the currently proposed categories of video game addiction disorders are premature.
Bean, A. M., Nielsen, R. K. L., van Rooij, A. J., & Ferguson, C. J. (2017). Video game addiction: The push to pathologize video games. Professional Psychology: Research and Practice, 48(5), 378–389. https://doi.org/10.1037/pro0000150

Internationally, several policies have been designed to prevent pathological or “problematic” gaming issues in youth, commonly referred to simply as “game addiction.” Particularly following the release of the World Health Organization’s “gaming disorder” diagnosis, policymakers may be inclined to enact further policies on this matter. With new data reflecting lack of success for South Korea’s shutdown policy, the efficacy of current policy efforts remains in doubt. Given continued controversies regarding whether pathological gaming or gaming disorder is best conceptualized as a unique disorder rather than symptomatic of other, underlying mental illnesses, little data has emerged to encourage policy interventions. By contrast, policy interventions at this juncture may risk doing considerable harm and wag the dog in the sense of reifying a pathological gaming disorder construct that remains problematic and under contentious debate in the field. We advise caution, ethnographic and qualitative research approaches, open science, etiological comprehension, and more time to fully understand whether pathological gaming is the best target for policy interventions and informing clinicians.
Ferguson, C. J., Bean, A. M., Nielsen, R. K. L., & Smyth, M. P. (2019). Policy on unreliable game addiction diagnoses puts the cart before the horse. Psychology of Popular Media Culture. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/ppm0000249

Mental health professionals, policy makers and the general public continue to debate the issue of pathological video gaming. Scholars disagree on the prevalence and diagnostic criteria for this potential new disorder. The current meta-analysis considers existing scholarship to examine how differing measurement methods influence prevalence rates and associations with other mental health problems. Thirty three published studies and doctoral dissertations were analyzed in meta-analysis. Prevalence rates and comorbidity with other mental health problems were examined according to measurement method. Prevalence estimates and comorbidity with other problems varied widely between studies. Measurement which attempted to replicate „pathological gambling“ approaches produced higher prevalence estimates and lower comorbidity estimates than methods which focused on the interfering nature of pathological gaming. The most precise measures produce an overall prevalence rate of 3.1%. Diagnostic analogies with pathological gambling may produce spuriously high prevalence estimates, potentially over identifying non-pathological players as pathological. Diagnostic approaches focused on the interfering nature on other life needs and responsibilities may have greater validity and utility.
Ferguson, C. J., Coulson, M., & Barnett, J. (2011). A meta-analysis of pathological gaming prevalence and comorbidity with mental health, academic and social problems. Journal of Psychiatric Research, 45(12), 1573-1578. https://doi.org/10.1016/j.jpsychires.2011.09.005

We greatly appreciate the care and thought that is evident in the 10 commentaries that discuss our debate paper, the majority of which argued in favor of a formalized ICD-11 gaming disorder. We agree that there are some people whose play of video games is related to life problems. We believe that understanding this population and the nature and severity of the problems they experience should be a focus area for future research. However, moving from research construct to formal disorder requires a much stronger evidence base than we currently have. The burden of evidence and the clinical utility should be extremely high, because there is a genuine risk of abuse of diagnoses. We provide suggestions about the level of evidence that might be required: transparent and preregistered studies, a better demarcation of the subject area that includes a rationale for focusing on gaming particularly versus a more general behavioral addictions concept, the exploration of non-addiction approaches, and the unbiased exploration of clinical approaches that treat potentially underlying issues, such as depressive mood or social anxiety first. We acknowledge there could be benefits to formalizing gaming disorder, many of which were highlighted by colleagues in their commentaries, but we think they do not yet outweigh the wider societal and public health risks involved. Given the gravity of diagnostic classification and its wider societal impact, we urge our colleagues at the WHO to err on the side of caution for now and postpone the formalization.
Van Rooij, A. et al. (2018). A weak scientific basis for gaming disorder: Let us err on the side of caution. J Behav Addict. 2018 Mar; 7(1): 1–9. doi: 10.1556/2006.7.2018.19

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Lesetipp:
Gray, Peter (2018): Sense and Nonsense About Video Game Addiction.
What does research really tell us about the brain effects of video gaming?
Online: https://www.psychologytoday.com/us/blog/freedom-learn/201803/sense-and-nonsense-about-video-game-addiction

tl:dr
Computerspielsucht in der Form gibt es nicht… ist ähnlich suchtevozierend wie Fußball, Lesen oder Stricken. Es kommt auf die Person an.

Also bitte nicht indifferent das ‚Daddeln‘ diabolisieren und auf keinen Fall populistischen Bauernfängern wie Manfred Spitzer folgen.

Teacher Andi
10 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Ich denke, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen, man sucht sich natürlich die Studien heraus, die das eigene Meinungsbild unterstützen. Herrn Spitzer als populistischen Bauernfänger zu titulieren ist meines Erachtens eine unverschämte Anmaßung. Wen will er denn „fangen“?
Also wenn ich beobachte, wie Leute z.B. bei Ballerspielen am Bildschirm kleben und alles um sich herum vergessen, 5-6 Stunden nicht ablassen können, dann ist das in meinen Augen extrem krankhaft. Was denken Sie, warum viele Schüler mit Augenringen in die Schule kommen und fast am Tisch einschlafen? Alles schon erlebt. Die „attention span“ konzentriert sich nur noch auf Berieselung, das eigenständige Denken geht immer mehr zurück. Und das kann man gut beobachten.

PaPo
10 Monate zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Wozu soll es unterschiedliche Meinungen geben? Ob Computerspielsucht ein reales Phänomen oder bestenfalls Moralpanik ist, das ist keine Frage von Meinungen, sondern eine Frage wissenschaftlicher Studien. Und diesbzgl. habe ich (exemplarisch) die fachwissenschaftliche(!) Kritik, welche die evidenten Probleme der einschlägigen Forschung (vulgo die fehlende empirische Evidenz des fraglichen Phänomens) und des Agens der WHO in dieser Angelegenheit thematisiert, präsentiert, mithin angemerkt, dass man zwischen Ursachen und Symptomen differenzieren muss. Dort bietet eine Meinung, bieten Anekdoten keinerlei argumentatives Gegengewicht. Mithin werden Sie selbst wohl kaum fünf bis sechs Stunden lang Ihrerseits (a priori) als computerspielsüchtig klassifizierte „Leute“ kontrolliert(!), d.h. unter adäquatem Einsatz der einschlägigen Methoden und Techniken empirischer Forschung beobachtet haben, um hier Aussagen bzgl. der evtl. Kausalzusammenhänge, etc. treffen zu können

Erlauben Sie mir bitte, dass ich vermute, dass Sie derartiges nicht „beobachte[t]“ haben können, außer in nichtrepräsentativen Einzelfällen (z.B. bei den eigenen Kindern), bei denen Sie dies gem. aller Wahrscheinlichkeit auch nicht (hinreichend) kontrolliert getan haben werden (können), sondern dass Sie hier bspw. von Ihren alltäglichen Beobachtungen Ihrer eigenen Kinder, Ihrer Schüler im Unterricht, in den Pausen etc., wo diese entsprechend an ihren Bildschirmen zu „kleben“ scheinen, u./o. von entsprechenden Erzählungen der Kollegen, von Erzählungen der Eltern (aus dem beruflichen Kontext, dem Freundes- u./o Bekanntenkreis) etc. über das Medienrezeptionsverhalten der eigenen Kinder (vulgo vom Hörensagen), salopp auf eine Computerspielsucht schließen.

Dass es sich hierbei nicht um objektive Beobachtung handelt, muss ich hoffentlich nicht erläutern. Wie wollen Sie hier eine Sucht(!) sicher identifizieren können?

Die Quantität der Medienrezeption, dass „Leute“ auch über Stunden „am Bildschirm kleben und alles um sich herum vergessen“ o.ä., ist in keiner Definition von Sucht hinreichend (beachten Sie bspw. auch das Phänomen des Erlebens von Flow, wie es initial Mihaly Csikszentmihalyi thematisierte). Und muss man wirklich auch immer wieder bspw. eine Lanze für den Eskapismus über Bildschirmmedien brechen, der dort problematisch, aber in Printmedien wünschenswert sein soll? Mithin, würden Sie es auch entsprechend problematisieren, wenn „Leute“ bspw. fünf bis sechs Stunden basteln, malen, schnitzen, musizieren, schreiben, Fußball spielen u./o. anderen Formen der Zerstreuung entsprechend frönen, an (gedruckten) Büchern „kleben und alles um sich herum vergessen, […] nicht ablassen können“ etc.? Soll dies auch „extrem krankhaft“ sein? Wenn nicht, warum erscheint Ihnen dann das Spielen am Bildschirm als besonders problematisch? Auch dann werden Schüler übrigens „mit Augenringen in die Schule kommen und fast am Tisch einschlafen“, ebenfalls wenn sie Tag für Tag im Ganztag ausharren, (entgegen dem JArbSchG) im familiären Haushalt, Familienbetrieben o.ä. arbeiten müssen, die Erziehung jüngerer Geschister übernehmen, weil die Eltern den ganzen Tag arbeiten o.ä. – hier die Schuld primär den Bildschirmmedien zu überantworten begründet sich wie? Und dort, wo die Bildschirmmedien für entsprechende Schlafdefizite sorgen, ist tendenziell wohl nicht das Spielen von „Ballerspielen“ (was auch immer das sein soll) das Problem, sondern der soziale Aspekt des Spielens mit Freunden und analog insb. das Phänomen, dass mittlerweile Handys und damit die sozialen Medien, insb. die ständige Erreichbarkeit mittels dieser, ein ubiquitäres Phänomen selbst bei jüngeren Kindern geworden sind. Aber auch damit wären wir nicht mehr beim Thema vermeintl. (genuin) inhärenter Suchtwirkungen von Bildschirmmedien, sondern bei Phänomenen sozialer Interaktion, bei der Problematisierung ihrer Gratifikationsmechanismen, bei Integrations- und Exklusionsfunktionen von sozialen (online-)Netwerken i.V.m. mit der Ubiquität sozialer Medien.

Und als Ergänzung: In solchen medienkritischen Diskursen über vermeintl. Computerspielsucht u.ä. werden ja regelmäßig auch fragwürdige Indizien thematisiert, die diese Sucht belegen sollen, bspw. aggressive Reaktionen bei fremdbestimmter (geforderter) Beendigung des Spielens o.ä., und auch diesbzgl. muss (abermals) erwähnt werden, dass dies nicht hinreichend ist und die Frage von Ursachen (z.B. generelle Erziehungsdefizite, mangelnde Impulskontrolle o.ä.) und Symptomen unbeantwortet lässt. Sorry, aber hier salopp eine Computerspielsucht zu attestieren, das ist lediglich DIY-Sozialwissenschaft (also gar keine Wissenschaft),

Und auch dass die Aufmerksamkeitsspanne unserer Schüler zu erodieren scheint, ist ja nichts, dem hier widersprochen würde (hier beschweren sich btw regelmäßig erwachsene Kommentatoren, dass meine Kommentare zu umfangreich seien, um sie noch rezipieren zu können, die Reduktion der „attention span“ ist also kein exklusives Phänomen der Jugend). Allerdings ist der Schluss, dass unsere Schüler (ausschl. oder zumindest primär) diesbzgl. Opfer ihres Medienrezeptionshabitus resp. des entsprechenden (bzgl. einer raschen Konsumierbarkeit otimierten) Bildschirmmedienangebots seien, m.E. zu simpel und entspricht nicht dem Stellenwert innerhalb des Sozialisationsprozesses, den die (und das ist nicht zu vergessen) insg. doch extrem diverse Medienlandschaft, die ja auch nicht isoliert von anderen sozio-kulturellen Phänomenen (z.B: die generelle Tendenz zur Schnellebigkeit in der postmodernen Arbeitswelt) betrachtet werden kann, hat. Eine Tendenz zur instantanen Bedürfnisbefriedigung (egal ob in puncto Unterhaltung, Information, Problemlösung etc.) wird ja bspw. wohl zuerst (und im Wesentlichen erheblich wirkmächtiger) in der familiären Erziehung kultiviert.

Und nun zu Manfred Spitzer:

Inwiefern sollte sich Manfred Spitzer bzgl. der gegenständlichen Thematik irgendeinen Respekt verdient haben, dass meine Kritik an ihm eine „unverschämte Anmaßung“ darstellen soll? Manfred Spitzer ist Neurowissenschaftler und Psychiater, das macht ihn aber nicht zur Koryphäe beim Thema der vermeintl. Computerspielsucht, auch wenn ich persönlich das Gefühl habe, dass Neurowissenschaftler hierzulande ein besonderes Prestige haben und man ihnen im Laiendiskurs ad verecundiam bzgl. aller möglichen Theman blind vertraut.

Was exakt sollte bei mir Ehrfrucht ihm ggü. evozieren? Er ist promoviert, ja gar zweimal (Dr. med. und Dr. phil.), ja sogar habilitiert. Bin ich auch, wenngleich ‚nur‘ einmal (Dr. phil.) und ohne Habilitation, dafür aber in einem einschlägigen Thema (und Vernetzung mit ausgewiesenen Experten zu dieser Thematik). Er hat m.W.n. ein einziges Mal zum Thema Computerspielsucht (mit u.a. Christian Pfeiffer, Regine Pfeiffer, Bert T. Te Wild etc. – Ziegenböcke als Gärtner und so…) publiziert: Spitzer, Manfred (2015): Entwicklungspsychopathologische Aspekte der Medien- und Computersucht. Internet- und Computersucht. In: Möller, Christoph (2015) (Hg.: )Internet- und Computersucht: Ein Praxishandbuch für Therapeuten, Pädagogen und Eltern Ein Praxishandbuch für Therapeuten, Pädagogen und Eltern. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer, S. 89-98. Kurzgefasst. Auch dieser Beitrag entspricht nicht dem (meinerseits hier präsentierten) Stand der Wissenschaft (was auch für einige der anderen Beiträge in diesem Sammelband zutrifft). Was er sonst so zum Thema Computerspiele publiziert hat, insb. Spitzer, Manfred (2005): Influence of violent media on children and adolescents. In: The Lancet; H. 365, S. 1387-1388, entsprach ebenfalls schon damals nicht dem Stand der Forschung.

Fachzeitschriften, wissenschaftliche Sammelbände und Co. sind auch nicht die Medien, in denen er seine neoludditischen, populistischen Tiraden ggü. Bildschirmmedien artikuliert, sondern Publikationen wie Spitzer, Manfred (2005) Gewalt im Fernsehen – aus medizinischer Sicht. In: Hänsel, Rudolf & Hänsel, Renate (2005) (Hg.): Da spiel ich nicht mit! Auer: Donauwörth, S. 88-104 oder – wahrscheinl. Eines seiner bekanntesten Pamphlete, Spitzer, Manfred (2005): Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicjklung, Gesundheit und Gesellschaft. München: dtv, grauenerregend polemische Machwerke (und nur zwei von bedauerlicherweise einer Rihe weiterer Pamphlete) voller Falsch- und Fehldarstellungen, unzähliger unsubstantiierter Behauptungen. Es fehlen zuswm massig Quellenreferenzen und dort wo sie präsentiert werden oder rekonstruierbar sind, sind die Behauptungen, die Manfred Spitzer auf ihrer Basis artikuliert, gänzlich falsch, durch Dekontextualisierungen und Auslassungen im Sinne seiner Agenda verfälscht, u./o. entsprechen nicht dem Stand der Forschung, wobei er ohnehin genau das betreibt, was Sie mir hier vorwerfen wollen: cherry picking. Es finden sich u.a. Behauptungen, dass Bildschirmmedien per se(!) dick, krank, dumm, traurig und gewaltbereit machen würden, dass das Gros oder gar alle Schulamokläufer exzessive Spieler Gewalt darstellender Computerspiele gewesen sei (auch dies sit faktisch falsch), die US-Armee „Soldaten mit Hilfe von Computerspielen die Tötungshemmung ab[gewöhnen]“ würde (ein populärer Mythos, der auf Falschdarstellungen von Dave. Grossman zurückgeht), der Zusammenhang zwischen der Mediengewaltexposition der Probanden und ihrem aggressivem Verhalten so groß wie oder gar noch größer als der zwischen (aktivem) Rauchen und Lungenkrebs sei, dass Studien, die die evidenten (endemischen) Defizite der Mediengewaltwirkungsforschung kritisieren, von der Industrie gekauft seien u.ä. – alles nachweisbare Falschbehauptungen.

Das Thema Computerspielsucht ist nur die nächste Sau, die Manfred Spitzer hier durch das Dorf treibt, mit ähnlich abenteuerlichen Behauptungen.

Was Manfred Spitzer artikuliert, ist pure Verachtung für Bildschirmmedien, denen er alleine bereits aufgrund ihrer Gattung (konkrete Inhalte sind lediglich subsidiär) miasmatische, ja anomische Wirkungen andichtet… und leider bei einer gewissen Menge selbst an Multiplikatoren im Erziehungs- und Bildungssektor reüssieren kann, weil man dort bona fide dem Neurowissenschaftler, der ja auch eine TV-Persönlichkeit ist glaubt, weil man es ja selbst auch meint immer schon gewusst zu haben, wie schlimm Bildschirmmedien sind o.ä. Dort fängt er sehr erfolgreich, wie es scheint. Das hat bereits bei einem Neil Postman geklappt, da ist auch heute noch das Bildungsbürgertum, sind Lehrer und andere Pädagogen leider genau die Zielgruppe.

Inwiefern soll es also unverschämt, ja anmaßend sein, ihn als Populisten, als Bauernfänger zu bezeichnen? Der mann ist nicht nur nicht sakrosankt, er ist offensichtlich auch in keiner Weise ein Experte für die Thematik oder sonst irgendwie qualifiziert, sich diesbzgl. zu äußern – im Gegenteil, er hat sich aktiv diesbzgl. dauerhaft disqualifiziert –, wird aber immer wieder als vermeintl. Experte geladen.

Das einzige, wobei ihm beizupflichten ist, und was ich auch oben bereits artikulierte, ist zugleich eine Binsenweisheit: Der Bildschirm per se ist nicht das Problem, sondern exzessive (was auch immer das konkret mangels Relationswerten heissen soll) Nutzung von Bildschirmmedien allenfalls ein Symptom anderer Probleme und ggf. unter den Gesichtspunkten von Opportunitätskosten zu problematisieren (wenn ich N Stunden in A investiere fehlt mir diese Zeit für B). Und ja, dahingehend problematisiere ich das Medienrezeptionsverhalten unserer Jugend durchaus, da auch ich es als problematisch erachte, dass unsere Schüler bspw. gar nicht mehr lesen (können). In seinen besten Momenten realisiert Manfred Spitzer zumindest das Letztere, darüber hinaus verbreitet er allerdings nur medienfeindlichen, z.T. konspirativen Unsinn, mit dem er aber gute Gewinne einfahren dürfte. Also leiber eigenständig denken, statt sich von Manfred Spitzer berieseln zu lassen, weil es den eigenen Ressentiments ggü. den Medien und der Jugend entspricht.

Ureinwohner Nordost
10 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Sehr geehrter Dr. phil.

können Sie bitte in einer Zusammenfassung Ihre Thesen in kurzer, knapper Form darlegen?
Ihrem Redeschwall kann und möchte ich nicht folgen.

Den naturwissenschaftlichen Aspekten von Prof. Spitzers Arbeiten kann ich sehr gut folgen. Die sind Stand der Wissenschaft.
Zu philosophischen Fragen halte ich mich lieber zurück. (Wegen meiner Vorprägung 😉 )

PaPo
10 Monate zuvor

Meinen Sie, dass Ihr pejoratives „Redeschwall“, gerade auch i.V.m. mit Ihrem ostentativen Unwillen einen längeren Text zu lesen, garniert mit kaum verholener Abwertung für alles, was keine naturwissenschaft ist, besonders motivierend ist, Ihnen auf Augenhöhe antworten zu wollen?

Trotzdem:
Ist Ihnen eigtl. überhaupt bewusst, dass einerseits…

… (a) Fragen evtl. Medienwirkungen keine Fragen der Natur- sondern der Sozialwissenschaften sind, insb. der Psychologie, der Soziologie, der Kómmunikationswissenschaft etc. (so Sie nicht ausdrückl. neurobiologische Wirkungen infolge der Medienrezeption postulieren und entsprechend analysieren wollen)?

… (b) dass diese Frage nach evtl. Medienwirkungen primär eine Frage quantitativer Forschung ist?

… (c) dass entsprechende (quantitative) empirische Studien bzgl. ihrer Struktur und auch ihrer essenziellen Methoden und Techniken interdisziplinär in den natur- und sozialwissenschaften im Wesentlichen identisch sind? Zur Einordnung: Sie diskutieren hier mit einem (tendenziellen) Vertreter eines naturwissenschaftlichen Methodenideals im Gros der Sozialwissenschaft (ohne hier den Methodenstreit in den Sozialwissenschaften thematisieren zu wollen) und ausdrückl. Kritiker qualitativer Forschung. Sozialwissenschaften sind keine ausschl. hermeneutischen, qualitativen o.ä. Phänomene;

… (d) dass sich bspw. die Psychologie, die ja eine besonders einschlägige Disziplin bzgl. der Frage nach den evtl. Wirkungen von Medien (und z.B. auch einen inhaltlichen und methodischen Zulieferer der interdisziplinären Neurowissenschaften) darstellt, sich entsprechend ggf. auch neurowissenschaftlicher Forschungergebnisse und eines einschlägigen Instrumentariums zur Datengenerierung (EEG, fMRT etc.) bedient (und vice versa)?

… (e) dass Ihr overter Versuch einer Dichotomisierung, in der Sie offensichtlich den vermeintl. „naturwissenschaftlichen Aspekten von Prof. Spitzers Arbeiten“ (diesbzgl. s.u. und eigtl. auch bereits oben in dem beitrag, den Sie hier kommentiert haben) besondere Wertigkeit, wenn nicht sogar als Einziges entsprechende Wissenschaftlichkeit, ja Wahrhaftigkeit, attestieren wollen, während Sie gleichzeitig die „philosophischen Fragen“ wohl auch als „Redeschwall“ resp. nicht wirklich wissenschaftlich (fundiert) diskreditieren wollen, nicht verfängt?

… (e) dass wir bzgl. der Fragen nach den Wirkungen von Medien auf Jahrzehnte einschlägiger (sozialwissenschaftlicher, quantitativer) Forschung blicken können?

… (f) dass es angesichts der tatsächlichen Forschungslage und btw auch bereits hinsichtlich basaler theoretischer Überlegungen in den Fachdiskursen, abseits von unsubstantiierten Medienressentiments, Aversionen ggü. Bildschirmen, neoludditischen Ideologien, naiv-fehlsamen Medieninformationskonzepten und Antrophologien, unstrittig ist, dass (I) nicht Mediengattungen genuine Wirkungen auf ihre Rezipienten zu zeitigen imstande sind, sondern allenfalls konkrete Medieninhalte, und dass (II) auch Medieninhalte keine genuinen Wirkungen zeitigen (so die Prämisse des antiquierten, inadäquaten Stimulus-Reaktions-Modells), die allenfalls von Charakteristika der Rezipienten modifiziert werden )Stimulus-Objekt-Reaktions-Modell (so die Prämisse des gleichermaßen antiquierten, inadäquaten Stimulus-Reaktions-Modells), sondern dass (III) die Charakteristika der Rezipienten auch i.V.m. den konkreten Rezeptions-/Mediennutzungssituationen erst für die für jeden Rezipienten idiosynkratischen(!) Wirkungen konstituierend sind?

… und dass andererseits Manfred Spitzer, wie ich Ihnen bereits erläutert habe (und wie Sie auch hier nachlesen können) keinerlei wissenschaftliche Arbeiten zur Frage der Wirkung von BIldschirmmedien veröffentlicht hat, sondern allenfalls (und das bleibt ein Euphemismus) populärwissenschaftliche Pamphlete, wo er. insofern er überhaupt einmal konkrete Quellen nennt oder diese auch ohne expl. Nennung rekonstruierbar sind, eben auf die anscheinend Ihrerseits geschmähten Ergebnisse soziwalwissenschaftlicher Studien rekurrieren will, diese essenziell falsch u./o. fehlsam präsentiert, die Forschungscorpora resp. den Forshcungsstand insg. gleichermaßen ignoriert u./o. falsch resp. fehlsam präsentiert, unzähligen logical falalcies in seinen Argumentationen erliegt und ohnehin Unmengen an Behauptungen artikuliert, die insg. gar keine Fundierung haben.
Wo er dann vermeintl. „naturwissenschaftlich[e] Aspekt[e]“ thematisiert, ist dies auch keine wissenschaftliche Expertise, die er artikuliert, sondern gleichermaßen unzulässig reduziert, interpretiert und extrapoliert, entspricht meist lediglich baslaen Binsenweisheiten.

Ich wiederhole:
Das einzige, wobei ihm beizupflichten ist, und was ich auch oben bereits artikulierte, ist zugleich eine Binsenweisheit: Der Bildschirm per se ist nicht das Problem, sondern exzessive (was auch immer das konkret mangels Relationswerten heissen soll) Nutzung von Bildschirmmedien allenfalls ein Symptom anderer Probleme und ggf. unter den Gesichtspunkten von Opportunitätskosten zu problematisieren (wenn ich N Stunden in A investiere fehlt mir diese Zeit für B). Aber auch dies schrieb ich konkret Ihnen bereits hier bei N4T jüngst an anderer Stelle.
Bei Manfred Spitzer sind das aber keine Opportunitätskosten, dass man B nicht lernt, weil man seine Zeit für A nutzt, sondern er unterstellt B eine konrkete Wirkung, dass man alles, was man zu A, C, D, E etc. konnte, dank der Nutzung von A nicht mehr kann. Das ist einfach absurd. Ich verstehe nicht, wei man als Akademiker diesen unsinn von Manfred Spitzer noch in Schutz nehmen kann.

A.J. Wiedenhammer
10 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Bitte, schreiben Sie doch einfach ein Buch…

PaPo
10 Monate zuvor

Niemand zwingt Sie, hier zu mitzulesen.

Hauke Kruse
10 Monate zuvor

Spannender Input. Aus der Dozentenschaft gab es bereits Rückmeldungen, dass erste Mitwettbewerber begonnen haben auf ChatGPT Basis KI-Tutoring anzubieten.