BOCHUM. Der Iglu-Schock macht aktuell den riesigen Förderbedarf in den Grundschulen deutlich (News4teachers berichtete) – doch wer soll die Förderung leisten? Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK empfiehlt angesichts des Lehrkräftemangels den Einsatz von Studierenden. Und tatsächlich gibt es ein erfolgreiches Projekt, das Studierende in Grundschulen bringt: “students@school” der Bildungsinitiative RuhrFutur aus Nordrhein-Westfalen. Die Bilanz ist hervorragend. Nur: Im Juni läuft die vom Land geförderte Initiative aus. Wir sprachen mit dem Verantwortlichen der beteiligten Ruhr-Universität Bochum, Dr. Henning Feldmann, Geschäftsführer der dortigen Professional School of Education.

News4teachers: Wie beurteilen Sie students@school – kurz vor Schluss?
Feldmann: Wir haben hier eine Win-Win-Win-Situation: Die Schulen profitieren von dem Einsatz der Studierenden, die Studierenden profitieren von der Möglichkeit, an Schulen tätig zu sein und wir profitieren davon, den Studierenden hier ein gutes Angebot machen zu können. Dann haben wir natürlich noch ein viertes Win, das ist sogar das Wichtigste: dass die Schüler*innen am Ende profitieren. Was mich umtreibt ist, dass wir das Projekt jetzt in eine gute Struktur und in einen guten Prozess gebracht haben – und nun soll es enden. Das finde ich wirklich schade und ich glaube, dass das Potenzial, was da drin steckt, noch gar nicht ausgeschöpft ist für alle beteiligten Akteure. Das finde ich sehr, sehr bedauerlich, weil ich glaube, dass da wirklich viel Musik drin ist.
News4teachers: Was war Ihr Beitrag an dem Projekt?
“Lernbegleitung ist eine andere Form von Arbeit in Schule, die auch wichtig ist – aber kein Ersatz für den Unterricht”
Feldmann: Sieben Universitäten beteiligen sich in einem Netzwerk an dem Programm. An den Universitäten haben wir den Zugang zu den Studierenden und wir sind diejenigen, die die Studierenden in einer Art Supervisionsmodell während ihres Einsatzes pädagogisch, erziehungswissenschaftlich, fachdidaktisch betreuen. Bei uns läuft das so, dass die Studierenden zu bestimmten Sitzungen zusammenkommen, wir haben es Peer Café genannt. Dorthin bringen sie Fälle mit, die sie in der Schule erlebt haben und dann mit ihren Peers, also mit den anderen students@school-Studierenden sowie unseren Mitarbeiter*innen diskutieren: Was ist passiert, was habt ihr gemacht, woran liegt das wohl, was sind angemessene Handlungsmöglichkeiten? So, dass die Studierenden nicht einfach nur agieren, sondern immer auch ein Reflektionsangebot bekommen. Das haben sie in der Schule auch, aber manchmal möchte man Ereignisse vielleicht nochmal in einem anderen Kontext besprechen. Und wir haben uns um die Qualifizierung mitgekümmert, indem wir zum Beispiel sehr viel digitales Material zum Thema Spracherwerb oder zu bestimmten primarschulpädagogischen Fragen zusammengetragen haben, sodass die Studierenden die Möglichkeit hatten, sich auf die Rolle als Lernbegleiter*innen vorzubereiten. Das war unser Beitrag.
New4teachers: Haben sich Studierende vom Erstsemester bis kurz vor dem Examen beteiligt?
Feldmann: Das Idealprofil ist eine Lehramtsstudierende oder ein Lehramtsstudierender mit einem mathematischen und oder sprachlichen Schwerpunkt. Und bestenfalls jemand, die oder der schon das erste Schulpraktikum im Studium absolviert hat, damit schon Grundkenntnisse didaktischer oder pädagogischer Art vorhanden sind. Aber wir haben dann auch Leute mit reingenommen, die nicht auf Lehramt studieren oder die ein bisschen früher im Studium waren. Und das hat im Ergebnis sehr gut funktioniert.
News4teachers: Wie ist denn die Nachfrage unter den Studierenden?
Feldmann: Groß. Wir haben allein aus Bochum rund 140 ins Rennen gebracht. Für die Studierenden ist das interessant.
News4teachers: Weil sie Praxiserfahrung als angehende Lehrkräfte machen können?
Feldmann: Man muss aufpassen, dass das nicht zu sehr unter der Überschrift läuft. Wir haben immer erklärt, hier geht es um Lernbegleitung, nicht ums Unterrichten. Lernbegleitung ist eine andere Form von Arbeit in Schule, die auch wichtig ist – aber kein Ersatz für den Unterricht.
Die Diskussion um den Lehrkräftemangel passt schon dazu. Aber eben nicht in dem Sinne, dass der Unterricht nun von studentischen Ersatzkräften geleistet würde, sondern dass die Arbeitsbedingungen an Schule maßgeblich verbessert werden können – was den Beruf einer Lehrkraft attraktiver machen kann. Das ist der entscheidende Faktor. Den Unterricht müssen schon die Lehrkräfte machen, aber die Lehrkräfte können mithilfe der Studierenden individuelle Förderung viel besser organisieren. Die Lehrkräfte können auf bestimmte Schwerpunkte nochmal ganz anders eingehen, weil sie an anderer Stelle entlastet werden. Und sie können dafür auf qualifizierte Begleiterinnen und Begleiter zurückgreifen. Es geht hier nicht um Lehrkräfte zweiter Klasse, die herbeigeschafft werden, um den Unterrichtsausfall zu kompensieren. Das muss betont werden.
News4teachers: Was ist mit dem Einwand, in solchen Projekten würden Studierende verheizt. Sie kämen nicht mehr richtig zum Studieren, weil sie in den Schulen wären, sie würden letztlich aber auch den Lehrkräften nicht wirklich helfen, weil sie ja eben den Unterricht nicht übernehmen können – und am Ende hätte keiner was davon. Wie sind denn die Rückmeldungen der Studierenden?
Feldmann: Es gab Anlaufschwierigkeiten. Am Ende haben wir aber die Rückmeldung von den Studierenden bekommen, dass es dann gut funktioniert, wenn es den Schulen gelingt, diese zusätzliche Ressource sinnvoll einzusetzen. Das mussten die Schulen, glaube ich, selbst erst einmal lernen. Unterschiedliche Modelle sind dabei herausgekommen – dass der oder die Studierende bei Gruppenarbeiten oder bei bestimmten Förderbedarfen im Klassenraum direkt mit den Schülerinnen und Schülern arbeitet oder mit einer kleineren Gruppe in einen anderen Raum geht und den Schülerinnen und Schülern sagt, wir machen jetzt nochmal schriftliches Multiplizieren, ganz in Ruhe nur für euch, oder dass der bzw. die Studierende ganz mit einem Einzelfall befasst ist.
News4teachers: Die Schulen sind in aller Regel ja auch nicht gewohnt, mit Lernbegleitern zu arbeiten…
“Das ist das, was ich so schade finde: dass wir eigentlich mit students@school in der Lage wären, dieses Rollenbild der Lernbegleitung über einen längeren Zeitraum zu profilieren”
Feldmann: Genau. Da war auf einmal jemand da – und die Lehrkraft wusste nicht so ganz genau, wie man die Person am besten einsetzt. Aber als es dann einmal stattgefunden hat, die Erfahrungen sprechen sich ja auch herum, die Schulen sind ja auch, zumindest regional, miteinander vernetzt und im Kontakt – dann klappt das wirklich gut. Das ist das, was ich so schade finde: dass wir eigentlich mit students@school in der Lage wären, dieses Rollenbild der Lernbegleitung über einen längeren Zeitraum zu profilieren. Mit diesem Rollenbild könnte man das Projekt auch bundesweit ausrollen. Jobben tun Studierende sowieso, dann sind sie doch in dem Job als Lernbegleiterin oder Lernbegleiter meines Erachtens besser aufgehoben, als wenn sie im Supermarkt Regale einräumen.
News4teachers: Können Sie sich das auch obligatorisch vorstellen, dass jeder und jede Lehramtsstudierende neben dem Studium eine solche Praxistätigkeit als Lernbegleitung absolviert?
Feldmann: Obligatorisch würde ich das nicht machen. Ich bin ein Freund davon, den Studierenden Möglichkeiten zu eröffnen, ihre Profilbildung so zu gestalten, wie sie es für richtig halten. Das kann Lernbegleitung sein, aber für eine spätere Berufstätigkeit im pädagogischen Bereich gibt es viele andere Möglichkeiten, sich vorzubereiten: ehrenamtlich tätig sein oder im Verein arbeiten oder künstlerisch tätig sein. Unsere Aufgabe an den Universitäten ist es, den Studierenden vielfältige Optionen anzubieten. Schule profitiert ja auch davon, dass auch mal andere Eindrücke reinkommen. Wenn wir irgendwann nur noch Studierende haben, die nur noch Schule, Schule, Schule um sich herum haben, dann ist das, glaube ich, für das System auch nicht gerade gesund.
News4teachers: Students@school ist also nicht die Lösung des Lehrkräftemangels?
Feldmann: Nein, definitiv nicht. Wenn wir junge Menschen in den Schuldienst bekommen wollen, dann müssen wir dort so gute Bedingungen schaffen, dass die Leute gerne ins Studium kommen und gerne den Lehrer*innen-Beruf ergreifen. Und nicht irgendwie an Schrauben drehen, die nur an der Symptomatik ansetzen. Das mag politisch gesehen nett wirken, da habe ich als Kultusministerin oder Kultusminister für ein paar Jahre Ruhe. Aber das fällt uns irgendwann wieder auf die Füße. Wir brauchen gleichermaßen mehr Lehrkräfte an den Schulen, die dann konstruktiv und im Sinne der Schülerinnen und Schüler mit Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern zusammenarbeiten.
News4teachers: Gibt es ein Feedback von den Schulen?
Feldmann: Das belastbarste Feedback ist eigentlich, wenn die Schule sagt, es ist uns eine Lernbegleitung abhandengekommen, weil zum Beispiel die Masterarbeit anstand oder das Studium zu Ende gegangen ist – wo kriege ich sofort jemand Neues her. Das haben wir häufig gehört. Also scheint das zu funktionieren. Das machen die Schulen ja nur, wenn sie merken, dass auch das passiert, was sie sich erhofft hatten.
News4teachers: Sie haben gerade angedeutet, dass Sie sich auch ein eigenes Berufsfeld für Lernbegleitung vorstellen könnten. Wie sähe das konkret aus?
Feldmann: Wir haben in unserem Bildungssystem, finde ich, ein Problem, nämlich dass wir die Bildungsbiografien der Kinder institutionell zu stark trennen. Es gibt Erzieher*innen in der vorschulischen Phase, es gibt die Grundschulpädagogik, dann gibt es einen Riesencut – in die weiterführenden Schulen. Und diese Übergänge sind institutionell zu wenig abgestimmt und stellen zum Teil eine große Hürde für die Kinder dar, das halte ich für hochproblematisch und ich glaube, dass wir mehrere andere Berufsbilder in den Schulen etablieren müssten. Das ist auf der einen Seite in dem Bereich Technik, IT. Also wenn Schulen digital arbeiten wollen, kann es nicht immer sein, dass gerade die Mathe-Lehrkraft, die nicht bei drei auf dem Baum war, für den gesamten Server, für die IT-Sicherheit, für die Internetseite und so weiter zuständig ist. Dann ist Management, Fundraising und institutionelle Schulentwicklung ein anderes Thema. Das landet bislang immer in Personalunion bei den Lehrkräften und muss neben dem Kerngeschäft, dem Unterricht, stattfinden. Und dann wäre da eben der Bereich Lernbegleitung, die eben emotionale, soziale Aspekte bedienen kann, Elternarbeit erledigen kann, Lernstrategien für einzelne Kinder aufzeigen kann. Das ist für mich schon ein pädagogischer Beruf, dafür sind Kenntnisse über entwicklungspsychologische Prozesse nötig, auch didaktisches, pädagogisches Know-how und auch Grundlagen aus der Sozialarbeit. Lernbegleitung könnte ein festes Aufgabenfeld in der Schule haben, das sich rundum das Schaffen guter Lernbedingungen bewegt – auf der individuellen Ebene der Kinder, um ihnen zum Beispiel das Lernen beizubringen, Stichwort: Lernen lernen, Problembewältigungsstrategien zu vermitteln, Resilienz aufzubauen, mit den Eltern zu arbeiten, außerschulische Akteuren einzubeziehen. Ich würde es nicht nur bei der Lernbegleitung lassen, es geht um die Lernkontextgestaltung in Kooperation und auf Augenhöhe mit den Lehrkräften.
News4teachers: Und dafür bietet students@school eine Menge praktische Erfahrungen?
Feldmann: Genau. Da sieht man vielleicht auch ein paar gute Beispiele und denkt sich, ja cool, das haben die gut gemacht an der Schule, wo ich da damals war, das nehme ich später auch mal mit. Andrej Priboschek, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.
