BURG IM SPREEWALD. Warum eigentlich erst jetzt? Nachdem zwei Lehrkräfte, die gegen Rechtsextreme an ihrer Schule in Brandenburg aufbegehrt hatten und nun – nach Anfeindungen – um ihre Versetzung gebeten haben, ist das Entsetzen groß. Auch der Bundespräsident schaltet sich ein und benennt den Zusammenhang zu den jüngsten Erfolgen der AfD. Die zeigt sich amüsiert. Und ätzt gegen die Lehrkräfte.
Der Rückzug zweier Lehrkräfte von ihrer Schule im Spreewald wegen rechter Anfeindungen hat bundesweit für Bestürzung gesorgt. Neben strafrechtlichen Ermittlungen soll der Kampf gegen Rechtsextremismus verstärkt werden, kündigte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) an. «Ob auf der Straße, in Vereinen, Schulen oder Betrieben: In Brandenburg darf es keinen Ort geben, in denen Rechte Ängste schüren und Andersdenkende vertreiben wollen.» Und er betonte: «Allen, die sich mit Engagement und mutig dem Rechtsextremismus entgegenstellen, gilt unsere Unterstützung.»
Damit bezog er sich auf die Lehrkräfte Max Teske und Laura Nickel. Sie hatten im April in einem Brandbrief öffentlich gemacht, dass sie an ihrer Schule in Burg im Spreewald täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert seien. Das Schreiben löste eine Debatte aus, die auch bundesweit verfolgt wurde. Die Lehrerin und der Lehrer waren danach zunehmend Anfeindungen ausgesetzt. In dem Ort waren in den vergangenen Tagen Aufkleber zu sehen, auf denen ein Foto der beiden zu sehen war, darunter stand: «#’pisst Euch nach Berl*in». Auf Instragram wurde zudem zur Jagd auf Teske und Nickel aufgerufen. Am Mittwoch wurde bekannt, dass nun beide die Schule verlassen.
«Dass diejenigen, die sich rechtsextremem Hass entschlossen entgegenstellen, mehr und mehr selbst zum Ziel rechter Gewalt werden, ist alarmierend»
Die Vorfälle sind in Brandenburg kein Einzelfall. Die Schulämter meldeten seit Bekanntwerden der rechtsextremen Taten in Burg mehr solcher Fälle. Und die Zahl politisch motivierter rechter Straftaten in Brandenburg insgesamt stieg im ersten Halbjahr dieses Jahres nach vorläufigen Zahlen des Innenministeriums um ein Drittel auf 1049.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht einen indirekten Zusammenhang zwischen den rechtsextremen Vorfällen in Burg und den jüngsten AfD-Wahlerfolgen. Es gebe einen Zusammenhang insofern, als dass die Vorteile einer Demokratie nicht überall wertgeschätzt würden, sagte Steinmeier bei einem Besuch in Werder/Havel. Man müsse wieder mehr Menschen davon überzeugen, dass die Demokratie nicht vom Himmel gefallen sei.
«Dass diejenigen, die sich rechtsextremem Hass entschlossen entgegenstellen, mehr und mehr selbst zum Ziel rechter Gewalt werden, ist alarmierend», sagte die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan. «Neben einer nachhaltigen Stärkung demokratischer und antifaschistischer Strukturen» gelte es, die Betroffenen besser zu schützen. In der geplanten Reform des Melderechts werde die Ampel-Koalition daher die Möglichkeit von Auskunftssperren vereinfachen. Ist eine solche Sperre eingetragen, erteilt die Meldebehörde keine Auskunft über die Adresse. Die Hürden für eine solche Sperre sind allerdings bislang relativ hoch. Sie muss zudem alle zwei Jahre neu beantragt werden.
In Brandenburg wird im kommenden Jahr ein neuer Landtag gewählt, in der jüngsten Umfrage des Instituts Insa für «Bild» kam die AfD bei der Sonntagsfrage auf 28 Prozent – vor der SPD mit 21 Prozent. Der Verfassungsschutz stufte den AfD-Landesverband dort 2020 als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, die AfD-Jugend Junge Alternative gilt seit Mittwoch als gesichert rechtsextremistisch.
Wegen der Bedrohungen aus der rechten Szene gegen die beiden Lehrkräfte prüft das Staatliche Schulamt Cottbus Strafanzeigen gegen unbekannt. «Dass Beamte oder Angestellte des Landes bedroht werden, ist inakzeptabel», sagte Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD). Das Schulamt sei in der Schule nach dem Brandbrief sofort tätig geworden. Es habe Gespräche mit Betroffenen, Eltern, Lehrern und Schülern gegeben. Die beiden hätten sich vor ihrer Entscheidung, die Schule zu verlassen, in der Sache aber weder an ihn noch an das Schulamt gewandt.
Die beiden Lehrkräfte gründeten im Frühjahr mit einem Pfarrer das Bündnis «Schule für mehr Demokratie». Am Donnerstag kritisierte das Bündnis, Teske und Nickel seien von der Landespolitik und der Schule nicht ausreichend unterstützt worden. Auch die Lehrergewerkschaft GEW hält eine weitere Aufarbeitung für nötig. Solche rechtsextremen Vorfälle seien aber kein Problem der Schule allein. Vielmehr seien die rechten Tendenzen eine Folge der gesellschaftlichen Entwicklung.
«Es ist verheerend für Brandenburg und schadet allem, was wir mühsam aufgebaut haben»
Brandenburgs Grünen-Fraktionschefin Petra Budke sprach von einem «Alarmsignal an die ganze Gesellschaft». Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Ludwig Scheetz, sagte: «Es ist verheerend für Brandenburg und schadet allem, was wir mühsam aufgebaut haben.» Linksfraktionschef Sebastian Walter sieht ein Versagen der Behörden: «An dieser Stelle haben die Rechten gewonnen, weil es ein Staatsversagen gab, weil es keine Zusammenarbeit gab.» Das Bildungsministerium habe die beiden vor Ort nicht ausreichend unterstützt – mehr als «warme Worte» habe es für sie nicht gegeben.
Auch der CDU-Landesvorsitzende Jan Redmann räumt ein, dass die Unterstützung durch das Land «nicht gereicht» habe und man in Zukunft mehr tun müsse, damit Lehrern in so einer Situation nicht das Gefühl vermittelt werde, alleine zu stehen.
Lediglich die AfD sieht keinen Grund zur Kritik an den Vorfällen in Burg. Stattdessen verharmlost sie die Anfeindungen gegen die Lehrkräfte und schiebt ihnen sogar die Schuld an der Eskalation zu. Lena Kotré, rechtspolitische Sprecherin der AfD-Landtagsfraktion, äußert sich gegenüber dem Sender rbb|24 «verwundert» darüber, dass die beiden Lehrer so «empfindlich» seien und nach «ein bisschen Gegenwind» die Segel streichen würden. Der Cottbusser AfD-Vorsitzende Jean-Pascal Hohm – der selbst wegen Verbindungen zu rechtsradikalen Organisationen im Fokus des Verfassungsschutzes steht – wurde deutlicher: «Bürgerliches Engagement wirkt: Linksradikaler Denunziant verlässt #Burger Schule», so schrieb er auf Twitter.
Der Verein Opferperspektive warnt unterdessen: «Das Problem, das Burg mit der extremen Rechten hat, verschwindet nicht, wenn niemand mehr da ist, um es zu thematisieren.» News4teachers / mit Material der dpa
