Vier Klassen übersprungen: Hochbegabte 13-Jährige studiert schon mal Mathematik

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HANNOVER. Schon mit vier Jahren beschloss Adela Poteri, Astronautin zu werden. Mit fünf vertiefte sie sich in Bücher über das Universum. An der Uni Hannover fühlt sich das hochbegabte Mädchen richtig wohl.

Als hochbegabt gelten Menschen mit einem IQ von über 130 – als höchstbegabt von über 145. Illustration: Shutterstock

Chillen, Shoppen, Serien gucken – solche Aktivitäten gelten als typisch für Teenager, doch Adela Poteri kann damit nichts anfangen. Die 13-Jährige beschäftigt sich lieber mit Chinesisch, Quantenmechanik oder den Büchern des weltberühmten Astrophysikers Stephen Hawking. «Er ist mein Lieblingswissenschaftler», erzählt die Schülerin in einer Cafeteria der Universität Hannover. Adelas Augen strahlen, wenn sie durch den Lichthof des Uni-Hauptgebäudes geht. Unter den Studierenden fühlt sich die 13-Jährige wohl – auch optisch unterscheidet sich die junge Frau mit den lockigen, langen Haaren kaum von ihren weit älteren Studienkolleginnen.

Adela Poteri ist hochbegabt und damit nach Experten-Definition schlauer als der Großteil der Bevölkerung. Laut Mensa, dem bundesweit größten Netzwerk für Hochbegabte, spricht man ab einem Intelligenz-Quotienten von 130 von Hochbegabung. Rund 2,2 Prozent der Menschen erreichen das in Deutschland. Nach Angaben von Sabrina Henning, Vize-Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind, gibt es bundesweit etwa 300.000 hochbegabte Schülerinnen und Schüler. Rund 11.000 lassen sich Henning zufolge als höchstbegabt einstufen. Sie hätten einen IQ von über 145.

Adela hat vier Klassen übersprungen und würde am liebsten sofort ihre Abiturprüfungen schreiben. Jedoch ist dafür in Niedersachsen eine zweijährige Qualifikationsphase notwendig, die erst nach den Sommerferien beginnt. Parallel zur Oberstufe ist die Teenagerin seit dem Wintersemester 2022/2023 als Juniorstudentin für Mathematik eingeschrieben. Die Klausur «Analysis 1» hat sie bestanden, jetzt folgt «Stochastik».

Die Scheine kann sie sich später anrechnen lassen, Adela will Mathe und Physik studieren, in beiden Fächern eine Doktorarbeit schreiben und eine Pilotenausbildung machen. «Vor neun Jahren habe ich beschlossen, Astronautin zu werden», sagt sie. Lesen konnte die Vierjährige damals schon, mit fünf Jahren wünschte sie sich von ihrer Mutter Bücher von Hawking über das Universum.

«In der Unterforderung ist die Langeweile eine Qual. Die Betroffenen quälen sich durch die Schulzeit»

Kinder mit so vielen Interessen und Talenten werden manchmal argwöhnisch betrachtet oder sind mit Vorurteilen konfrontiert. Werden sie nicht um eine unbeschwerte Kindheit gebracht? Stehen sie angesichts der vielen Lernprojekte besonders unter Stress?

Im Gegenteil, sagt Henning. Die ständige Unterforderung in der Schule sei Stress für höchstbegabte Kinder und könne sogar krank machen: «In der Unterforderung ist die Langeweile eine Qual. Die Betroffenen quälen sich durch die Schulzeit.» Elsbeth Stern, Professorin für Psychologie an der ETH Zürich, ergänzt: «Das ist so, als ob wir auf Dauer wieder in einer Grundschule sitzen müssten, wo das Alphabet geübt wird.»

Adela ist glücklich, wenn ihr Wochenplan, den sie auf ihrem IPad verwaltet, gut gefüllt ist. Ihre Eltern finanzieren ihr Online-Unterricht in mehreren Sprachen, darunter Chinesisch, Koreanisch sowie Montenegrinisch, die Muttersprache ihrer Mutter und Bosnisch, die Muttersprache ihres Vaters. Darüber hinaus spielt die Jugendliche Klavier, Saxofon und Gitarre, singt und zeichnet gerne. «Mit meinem Papa jogge ich mehrmals pro Woche», erzählt sie.

«Adela hat einen sehr hohen IQ, den viele andere Menschen auch haben. Bei ihr kommt hinzu, dass sie ein enormes Erkenntnisstreben, eine enorme Neugier hat»

Etwa zweimal im Jahr trifft sich Adela mit Klaus Urban und tauscht sich mit ihm aus. Als Professor für Sonderpädagogische Psychologie an der Universität Hannover hat er schon in den 1970er Jahren zum Thema Hochbegabung geforscht.

«Adela hat einen sehr hohen IQ, den viele andere Menschen auch haben. Bei ihr kommt hinzu, dass sie ein enormes Erkenntnisstreben, eine enorme Neugier hat», sagt der Wissenschaftler. Die 13-Jährige sei sehr diszipliniert, was das Lernen betrifft. «Sie ist sehr strukturiert und zielorientiert. Gleichzeitig sind ihre Freundlichkeit, ihre Herzlichkeit und ihre soziale Seite ganz bemerkenswert», schwärmt Urban.

Bemerkenswert und richtig sei auch, wie Adela auf ihr Ziel hinarbeite, Astronautin zu werden. Viele Menschen, die später Exzellenz in einem bestimmten Bereich erreichten, hätten ihre Ziele vom Kindesalter an verfolgt, sagt Urban. «Für begabte Kinder ist Lernen wie Spielen.»

Den Überfliegern werden in der Schule allerdings manchmal Hindernisse in den Weg gestellt. «Generell ist in Deutschland alles sehr bürokratisch», kritisiert Intelligenzforscherin Stern. Wenn ein Kind eine Klasse überspringen möchte, müssten Anträge bei den Schulbehörden gestellt werden. «Aus meiner Sicht sollte dies eher in den einzelnen Schulen von Psychologen, die sich mit Lernen auskennen, entschieden werden.»

Adela hat an ihrer bisherigen Schule negative Erfahrungen gemacht, über die sie im Interview an der Uni nicht reden möchte. Sie geht nach den Sommerferien auf ein anderes Gymnasium und blickt mit Optimismus und Vorfreude auf das neue Schuljahr. Lieber spricht sie über Astronaut Alexander Gerst, dem sie 2019 geschrieben und eine Postkarte zurück erhalten hat. «Ich würde ihn so gerne einmal treffen. Aber sein Zeitplan ist sicherlich mindestens so voll wie meiner», vermutet Adela. Von Christina Sticht, dpa

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Ureinwohner Nordost
9 Monate zuvor

Das ist das, was in der BRD fehlt:
Begabten-Förderung.

Das versuche ich die letzten Monate meiner Arbeit.

Drei, Vier gab es bis jetzt.
Das Resultat ist ernüchternd:
2 Bioinformatiker,
ein Physiker.
Ansonsten Ärzte, Anwälte…
das Übliche.
Oberstufenklientel halt.
😉

Ich freue mich für die Absolventen, natürlich.

Palim
9 Monate zuvor

Was hätten Sie sich denn vorgestellt, was es geben müsste?
Und was setzen Sie jetzt in den letzten Monaten um, das sie in den vergangenen Jahren nicht aufgegriffen hätten?

Es gibt Begabten-Förderung in den meisten BL,
sie dürfte aber von Beginn an besser ausgestattet sein – wie so vieles.

Finagle
9 Monate zuvor

Währendesssn… muss jedes Mal in Förderkonferenzen eine Kollegin gebremst werden, die jedes Kind als hochbegabt diagnostiziert, dass aktiv am Unterricht teilnimmt und Hausaufgaben und Arbeitsaufträge vollständig und fristgemäß erledigt… die lokalen Umstände verschieben die Relationen schon auf üble Weise…

Lisa
9 Monate zuvor

Cool, alles Gute 🙂 und viel Erfolg

Maja
9 Monate zuvor

Das Mädchen spielt drei Musikinstrumente, zeichnet gern und geht Joggen. Ich drücke ihr fest die Daumen, dass sie sich in ihrem neuen Gymnasium (Niedersachsen=G9?) wiederfindet.

Georg
9 Monate zuvor
Antwortet  Maja

Sie muss dort wohl nur aus formalen Gründen zwei Jahre lang hin. Das fachliche Niveau wird für sie sowohl quantitativ als auch qualitativ komplett lächerlich sein.