Armut stagniert auf hohem Niveau: Jedes vierte Kind in Berlin betroffen

4

BERLIN. In Berlin lebt rund ein Viertel aller Kinder in einer Familie, die Sozialleistungen empfängt. Dabei gibt es zwischen den einzelnen Bezirken erhebliche Unterschiede, wie aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie auf eine Anfrage der Linke-Abgeordneten Katrin Seidel hervorgeht.

Die Armut in Deutschland stagniert: Häuserzeile in Berlin. Foto: Shutterstock

Demnach gab es Ende 2022 in Berlin insgesamt 632.890 Menschen unter 18 Jahren, davon 154.889 in Familien, die auf Sozialleistungen angewiesen waren. Das entspricht einem Anteil von 24,5 Prozent. Bei der Kinderarmut habe es in den vergangenen Jahren kaum positive Veränderungen gegeben, sagte Seidel am Freitag. «Das ist erschütternd.»

Im Vergleich zu 2021 sind die Werte fast gleich geblieben: Die Zahl der Minderjährigen in Berlin, die in Armut leben, ging um gerade mal 889 (0,6 Prozent) zurück. Innerhalb Berlins klaffen die Zahlen weiterhin deutlich auseinander, wobei sich durchaus Verschiebungen erkennen lassen. Der Anteil der Kinder in Sozialleistungen beziehenden Familien lag Ende 2022 im Bezirk Neukölln bei 37,9 Prozent und damit berlinweit am höchsten. In Mitte war er mit 35,2 Prozent allerdings nur unwesentlich niedriger. In Spandau lag er bei 33,5 Prozent, in Reinickendorf bei 30,4 Prozent.

Die niedrigsten Werte hatten Steglitz-Zehlendorf mit 11,4, Pankow mit 11,5 Prozent und Charlottenburg-Wilmersdorf mit 17,6 Prozent. In Treptow-Köpenick war er mit 19,2 Prozent ungefähr halb so hoch wie im benachbarten Neukölln.

«Es gibt eine große Grauzone von Menschen, die kein Anrecht auf Sozialleistungsbezug haben»

Die tatsächliche Zahl von Kindern in Armut sei berlinweit noch größer, sagte Seidel, die familien- und jugendpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion im Abgeordnetenhaus ist. Statistisch erfasst würden nur Kinder und Jugendliche im Zusammenhang mit Transferleistungen. «Es gibt aber eine große Grauzone von Menschen, die kein Anrecht auf Sozialleistungsbezug haben.» Das gelte etwa für Menschen, die trotz Arbeit arm seien.

Seidel forderte, angesichts des hohen Niveaus an Kinderarmut, Familienzentren und Kita-Sozialarbeit weiter auszubauen. Gerade weil sich Armut nicht vollständig erfassen lasse, seien das kostenlose Schüler-Ticket für den ÖPNV, die gebührenfreie Kita, das kostenloses Mittagessen an Grundschulen und kostenfreie Lernmittel umso wichtiger. «Das ist etwas, das Familien unglaublich entlastet», sagte sie. «Ich erwarte vom Senat, dass das weitergeführt wird. Und wir werden in den kommenden Haushaltsberatungen auch sehr darauf aufpassen, dass das Rad hier nicht zurückgedreht wird.»

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie teilte am Freitag auf Anfrage mit, die Daten zeigten, dass es weiter notwendig sei hinzusehen und zu handeln. «Nach herausfordernden Zeiten wie Corona-Pandemie, Inflation und Preissteigerungen, Fluchtbewegungen dürfen wir die Armut der Familien nicht aus dem Blick verlieren.»

Für die Reduzierung von Kinderarmut sei zunächst einmal eine Verbesserung der Einkommenssituation der Familie wesentlich sowie eine gute Arbeitsmarktintegration. Ein wichtiger Aspekt sei auch die Entwicklung einer existenzsichernden Leistung für Kinder, wie beispielsweise aus der Kindergrundsicherung.

«Der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ressorts kommt hierbei besondere Bedeutung zu, damit Unterstützungsstrukturen noch besser funktionieren»

Die zuständige Bildungssenatorin (und KMK-Präsidentin) Katharina Günther-Wünsch sagte, die Situation armer Kinder und Jugendlicher mache sie sehr betroffen. Es sei angesichts der aktuellen Entwicklung wichtig, für ganz Berlin passende und niedrigschwellige Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien in allen Bereichen anbieten können.

«Der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ressorts kommt hierbei besondere Bedeutung zu, damit Unterstützungsstrukturen noch besser funktionieren», so die CDU-Politikerin. «Auch gute Begleitung armer Familien mit Kindern ist ein wichtiger Baustein, um Armutsfolgen bestmöglich zu vermeiden. In der Berliner Landeskommission zur Prävention von Kinder- und Familienarmut arbeiten wir kontinuierlich daran.»

Die Linke-Abgeordnete Seidel fragt den Senat seit Jahren regelmäßig nach der Entwicklung bei der Kinderarmut. Die Antworten zeigen durchaus leichte Veränderungen innerhalb Berlins. So lag der Anteil der Kinder in Familien, die Sozialleistungen beziehen, Ende 2021 in Neukölln noch bei 40, in Mitte bei 38 und in Spandau bei 34 Prozent. In allen drei Bezirken ist der Wert im vergangenen Jahr etwas gesunken. In Steglitz-Zehlendorf und Pankow am anderen Ende der Skala, wo er 2021 bei jeweils 11 Prozent lag, ist er gestiegen. News4teachers / mit Material der dpa

In vier Bundesländern ballt sich die Kinderarmut – Brennpunkt-Schulen dort kämpfen auf verlorenem Posten

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

4 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Georg
11 Monate zuvor

Der Anteil wird noch weiter steigen, weil die Mieten in Berlin so hoch sind, dass Familien mit normalem Einkommen sich diese nicht mehr leisten können. Es bleiben also sehr gut verdienende Menschen ohne Kinder oder Bürgergeldempfänger mit tendenziell mehr Kindern.

Realist
11 Monate zuvor
Antwortet  Georg

Werden viele erst kapieren, wenn es sie persönlich betrifft. San Francisco, New York, Paris, Lissabon und viele weitere Metropolen lassen grüßen… dort ist die „arbeitende“ Mittelschaft, sofern nicht Finanzindustrie oder High-Tech, schon verdrängt und pendelt täglich stundenlang zum Arbeiten in die Stadt. Wer kann, macht Homeoffice. Polizisten, Krankenpfleger, Lehrer usw. können das nicht (Homeoffice)…

Marc
11 Monate zuvor
Antwortet  Georg

Die Bevölkerungsentwicklung ist auch entscheidend. Durch Migration wird sicher auch nochmal die Armutsquote stark gestiegen sein, da Flüchtlinge natürlich unter die Armutsdefinition fallen. So verwundert es nicht dass die Zahl der armen Kinder steigt.

DerDip
11 Monate zuvor
Antwortet  Marc

Natürlich ist es so. Das hängt aber mit Georgs Argument zusammen.

Auf der einen Seite eine Zuwanderung armer Menschen, die Teilweise keine Arbeitserlaubnis erhalten oder aber für die sich arbeiten nicht rechnet (im Vergleich zu dem Sozialleistungen).
Auf der anderen Seite sind die Bedingungen für Investitionen in Neubauten einfach nicht attraktiv (strenge Auflagen, Bürokratie, gestiegene Material und Finanzierungskosten)

Folge: Zunahme armer Menschen trifft auf sehr angespannten Wohnungsmarkt. Die Konsequenzen dieser Mischung sind dann auch keine Überraschung.