„Privatschulfreiheit heißt nicht absolute Freiheit“: Scheitert Sudbury Schule vor Gericht?

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MÜNCHEN. Das deutsche Schulsystem steht immer wieder in der Kritik. Zu starr, zu wenig individuell, zu viele Kinder bleiben zurück. Eine «demokratische» Privatschule in Bayern will einen anderen Weg gehen – und kämpft um diesen nun vor Gericht. Ihre Chancen scheinen schlecht zu stehen.

Das Gericht hat zu entscheiden. Foto: Shutterstock

Kein Lehrplan, keine Prüfungen, keine Noten, keine Zeugnisse – und Bewertungen nur auf ausdrücklichen Wunsch: Lernen Kinder an einer solchen Schule genug? Mit dieser Frage hat sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) am Dienstag befasst. Dort kämpfen die Gründer einer privaten, «freien und demokratischen» Schule um die staatliche Genehmigung.

Die Behörden hatten der «Sudbury Schule» am Ammersee diese Genehmigung nicht verlängert. Nur zwei Jahre nach dem Start musste die Grund- und Mittelschule 2016 darum schon wieder schließen – zum völligen Unverständnis des Betreibervereins.

Der kämpft seit Jahren darum, die Schule, in denen die Schüler ihr Lernen komplett selbst organisieren und Lehrer Lernbegleiter genannt werden, wieder eröffnen zu können. Nachdem das Verwaltungsgericht München die Klage abgewiesen hatte, ist inzwischen die zweite Instanz, der Verwaltungsgerichtshof, am Zug.

Dort streiten sich am Dienstag Vertreter der Schule, die 45 Schüler hatte, als sie 2016 geschlossen wurde, nun mit einem vom Gericht eingesetzten Sachverständigen.

Der Schulpädagogik-Professor Thomas Eberle von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg geht in seinem vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten davon aus, dass bei dem eingereichten Schulkonzept «nicht zu erwarten» sei, dass die Mehrheit der an der Schule unterrichteten Schülerinnen und Schüler zum Ende der vierten oder neunten Jahrgangsstufe die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben.

Laut dem vorgelegten Schulkonzept, für das der Verein die Genehmigung anstrebt, steht es den Schülern komplett frei, welche Abschlüsse sie anstreben, wie und auch was sie lernen. Gerade diese große Freiheit führe dazu, dass sie sich ermutigt fühlten, auch in den Fächern besonders zu arbeiten, in denen sie Schwierigkeiten haben – es ist nur eine der Annahmen in dem Konzept, die der Experte bezweifelt.

«Es ist natürlich nichts gegen einen demokratischen Ansatz zu sagen», betont er. Allerdings sei die Rolle der «Lernbegleiter» zu passiv angelegt und es insgesamt unklar, was mit Schülern geschehe, die es eben nicht schafften, sich und ihr Lernen selbst zu organisieren.

Wie viele Anträge auf Genehmigung einer Privatschule pro Jahr in Bayern genehmigt oder abgeleht werden, weiß das Kultusministerium nicht, wie ein Sprecher auf Anfrage sagt. Das liege daran, dass unterschiedliche Stellen für die Genehmigung zuständig seien und es keine übergeordnete Statistik dazu gebe.

Im vergangenen Schuljahr gab es nach Ministeriumsangaben in Bayern rund 620 allgemeinbildende Schulen mit rund 145 000 Schülerinnen und Schülern eines privaten Schulträgers, Wirtschaftsschulen eingeschlossen.

In anderen Bundesländern wie Berlin und Hamburg seien solche freien, demokratischen Schulformen durchaus genehmigt worden, sagt Schul-Mitgründerin Simone Kosog im Gespräch. Die Anwältin des Vereins spricht von zwei erfolgreichen Genehmigungsanträgen von Sudbury-Schulen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Bayern erscheine da besonders streng.

Mindeststandards sind aber bundesweit die Voraussetzung dafür, dass eine Privatschule in Deutschland zugelassen werden kann, wie die Vorsitzende Richterin betont. Ein Urteil spricht sie zunächst zwar noch nicht. Die Entscheidung soll den Beteiligten in den nächsten 14 Tagen mitgeteilt werden. Aber ihre Einschätzung scheint deutlich: «Privatschulfreiheit heißt ja nicht absolute Freiheit.» Von Britta Schultejans, dpa

Flucht aus dem staatlichen Schulsystem: Die Privatschulen erleben einen Nachfrage-Boom (stoßen aber an Grenzen)

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Achin
8 Monate zuvor

Wohlhabende Erwachsene, die seit ihrer Geburt von den Errungenschaften der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung profitieren, fühlen sich plötzlich als unterdrückte Freiheitskämpfer…