BERLIN. So manches Kind weist beim Schulstart sprachliche Defizite auf – was sich im Verlauf der gesamten Bildungskarriere negativ auswirken kann. Der Berliner Senat will nun (wie es unlängst der CDU-Bundesvorstand als Modell für Deutschland beschlossen hat) frühzeitig dafür sorgen, dass sich daran etwas ändert: mit einem verpflichtenden «Kita-Chancenjahr» für Kinder, die bei der sogenannten Sprachstandsfeststellung durchfallen. Die Sache hat einen doppelten Haken: Erstens erscheint die Maßnahme viel zu klein – zweitens fehlt es an Kita-Personal, das eine zusätzliche Förderung stemmen könnte.
Die Sprachförderung für Berliner Kinder vor dem Start in die Schulzeit soll besser werden. Künftig müssen Kinder, die nicht richtig deutsch sprechen und bis dato nicht in einer Kita betreut wurden, ein verpflichtendes «Kita-Chancenjahr» absolvieren. Sie müssen also mindestens ein Jahr vor der Schule eine Kita oder vergleichbare Sprachförderangebote freier Anbieter besuchen – und zwar für jeweils 35 Stunden pro Woche. Ziehen die Eltern hier nicht mit, droht im schlimmsten Fall ein Bußgeld.
Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) und Staatssekretär Falko Liecke stellten das Konzept nun vor (das einem jüngst gefassten Beschluss des CDU-Bundesvorstands entspricht, News4teachers berichtete). Demnach sollen ab dem Kita-Jahr 2025/2026 alle Kinder im Alter von drei Jahren automatisch einen Kita-«Willkommensgutschein» zugesandt bekommen. Für Kinder, die daraufhin nicht in eine Kita gehen und später bei der sogenannten Sprachstandsfeststellung Defizite aufweisen, greift dann das «Kita-Chancenjahr». Das gilt auch für Kinder, die nicht an diesem Sprachtest teilnehmen, der im Alter von etwa 4,5 Jahren stattfindet.
Nach Angaben der beiden Politiker stehen bei dem neuen Vorgehen nach jetzigem Stand jährlich um die 2.000 Kinder im Fokus, die keine Kitas besuchen. Nach allen Erfahrungen haben um die 80 Prozent davon sprachliche Defizite. Die Umsetzung des Vorhabens beinhaltet unter anderem Gesetzesnovellen und zahlreiche andere Änderungen auch in Abstimmung mit den Bezirken, was in der Summe längere Zeit in Anspruch nehme. Dass dadurch sich kaum etwas ändern würde, machen schon die Zahlenverhältnisse deutlich: Rund 200.000 Kinder im Kita-Alter gibt es in Berlin – die 2.000, auf die die Maßnahme nun zielt, sind lediglich ein Prozent davon. In Berlin kann aber jeder dritte Drittklässler kaum lesen und rechnen.
Das ist das Ergebnis von Vergleichsarbeiten in der dritten Jahrgangsstufe im vergangenen Schuljahr, wie im August bekannt wurde (News4teachers berichtete auch darüber). Danach erreichten in Deutsch-Lesen knapp 35 Prozent der Berliner Schülerinnen und Schüler nicht die Mindeststandards. In Deutsch-Sprachgebrauch waren es sogar 46 Prozent. In Mathematik kamen 37 Prozent nicht auf das Mindestniveau.
Ziel des neuen Vorgehens seien mehr Chancengleichheit und eine höhere Qualität frühkindlicher Bildung, sagte nun gleichwohl Günther-Wünsch. Zudem wolle der Senat die Zugänge zu den 2900 Berliner Kitas und damit zu frühkindlicher Bildung verbessern und auch Vorbehalte abbauen, die es in manchen Familien noch gebe. Das «Kita-Chancenjahr» sei ein Schlüsselthema im Bildungsbereich. In Berlin gibt es bereits Regelungen für Kinder, die nicht richtig deutsch sprechen können: Diese sind eigentlich verpflichtet, in den 18 Monaten bis zur Einschulung eine Sprachförderung an einer Kita zu besuchen. In der Praxis wird die Regelung aber nur wenig umgesetzt, schon gar nicht nach einheitlichen Standards.
«Es ist ein wichtiger Schritt, frühzeitig Sprachdefizite bei Kindern zu erkennen, zu adressieren und jene hier gezielt zu stützen und zu fördern, um ihre schulische Vorbereitung zu verbessern»
«Wir wollen, dass die schulgesetzlich verpflichtende Förderung für Kinder mit Sprachförderbedarf endlich zielgerichtet und konsequent umgesetzt wird», sagte die Senatorin dazu. Mit dem «Willkommensgutschein» sollten sämtliche Familien bereits sehr früh auf die kostenfreien Betreuungsmöglichkeiten in Kitas hingewiesen werden.
Der Verband der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger (VKMK) in Berlin begrüßte die Pläne. «Es ist ein wichtiger Schritt, frühzeitig Sprachdefizite bei Kindern zu erkennen, zu adressieren und jene hier gezielt zu stützen und zu fördern, um ihre schulische Vorbereitung zu verbessern», erklärte Geschäftsführer Lars Békési. Nach seinen Worten legt der VKMK besonderen Wert darauf, die Beschäftigten ergänzender Sprachfördergruppen, die es derzeit außerhalb der Kitas gebe, bei dem neuen System einzubeziehen. Ohne diese Fachleute gäbe es noch mehr Kinder ohne erfolgversprechende Bildungsperspektiven in den Schulen, erklärte er.
Wichtig sei nun, Fort- und Weiterbildungsangebote für diese Personen zu schaffen und ihnen eine Übernahme in die multiprofessionellen Kita-Teams zu ermöglichen. «Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Kita-Chancenjahr nicht den notwendigen Erfolg erzielen kann, da schlichtweg das benötigte pädagogische Fachpersonal fehlt.»
Auch IHK-Vizepräsident Stefan Spieker bewertete das Vorgehen des Senats positiv. «Kinder, die ohne ausreichende Sprachkompetenz eingeschult werden, haben vom ersten Schultag an geringere Chancen auf erfolgreiche Bildungsteilhabe. Das kann eine Gesellschaft im Interesse der Kinder, aber auch im Interesse des Standorts nicht hinnehmen», erklärte er. «Allerdings stellt sich die Frage, ob für das ehrgeizige Vorhaben genügend Kapazitäten vor Ort vorhanden sind. Dies gilt vor allem in den Bezirken mit besonders hohem Migrationsanteil und aktuell geringer Teilhabequote an der Kita-Betreuung. Hier muss sicher noch nachgelegt werden, damit das Ziel auch erreicht wird.»
«Viele Beschäftigte verlassen die Kitas und kehren dem Beruf ganz den Rücken»
Tatsächlich hatte der VKMK erst im September von Günther-Wünsch ein entschiedenes Vorgehen gegen den Fachkräftemangel in Kitas gefordert. Dieser habe sich zuletzt weiter verschärft, sagte Geschäftsführer Békési. «Gleichzeitig ist der Anteil von Kindern mit besonderem Förderbedarf dramatisch angestiegen.» Es sei nicht nur schwer, neue Erzieherinnen und Erzieher und andere Mitarbeiter zu finden, schilderte Békési. «Viele Beschäftigte verlassen die Kitas und kehren dem Beruf ganz den Rücken.» Stress, hohe Belastung und hoher Druck hätten auch zur Folge, dass der Krankenstand beim Kita-Personal laut einer neuen Umfrage unter Verbandsmitgliedern weiter zugenommen habe. «Das alles ist alarmierend.»
Laut Bildungsverwaltung arbeiten in 2.902 Berliner Kindertageseinrichtungen etwa 36.400 Beschäftigte (Stand 30. Juni). Der Erziehermangel sei bundesweit eine der größten Herausforderungen, räumte eine Sprecherin ein. Ziel sei daher, das Berufsfeld attraktiver zu machen, etwa durch die Entwicklung eines Konzeptes zur Arbeit in multiprofessionellen Teams. Der Senat verfolge diverse Projekte, um mehr Absolventen wie auch mehr Quereinsteiger für Kitas zu gewinnen, um Aus- und Weiterbildung zu verbessern. Man setze dabei früh an: Schon für Schüler würden Berufspraktika angeboten.
Die aber, so viel ist sicher, werden die zusätzliche Sprachförderung im «Kita-Chancenjahr» kaum leisten können. News4teachers / mit Material der dpa
