Biologe: Bildschirm-Licht abends bringt innere Uhr durcheinander – Schüler stark betroffen

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ESSEN. Nach wie vor nimmt die Nutzung von Kommunikations- und Unterhaltungstechnik stetig zu. Inwieweit das unsere innere Uhr beeinflusst, hängt besonders von der Nutzungszeit ab. Der Biologe Thomas Kantermann untersucht in einem Projekt die Desynchronisation des Alltags durch Bildschirmmedien.

Eine junge blonde Frau schläft auf Unterlagen gesunken auf einem Schreibtisch.
Viele Schülerinnen und Schüler kämpfen morgens mit Übermüdung (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Herr Professor Kantermann, wie weit hat sich unser Alltag bereits von unseren angeborenen inneren Uhren – dem sogenannten zirkadianen Rhythmus – entfernt?

Thomas Kantermann: Wir nutzen zunehmend künstliche, technische Geräte, die es erlauben, unsere inneren Uhren zu beeinflussen. Entscheidend ist hierbei vor allem die Uhrzeit, zu der wir diese Geräte nutzen. Unsere inneren Uhren sind maßgeblich daran beteiligt, dass wir tagsüber wach sind und nachts schlafen. Der Wechsel von Schlafen und Wachsein ist natürlicherweise mit dem Sonnenaufgang und -untergang synchronisiert. Aufwachen und Einschlafen müssen hierbei nicht zeitgleich damit zusammenfallen, aber die Sonne koordiniert diese Vorgänge auf körperlicher Ebene über die innere Uhr.

Die Signale zur Synchronisation erhält die innere Uhr über die Augen in Form von Licht. Unsere Augen, die wir im Alltag vor allem mit dem Vorgang des Sehens verbinden, haben ihren Ursprung in Sinneszellen, die da waren, um einem Organismus dabei zu helfen vorherzusagen, ob Tag oder Nacht ist. Im Laufe der Evolution haben sich daraus erst die Augen entwickelt, die wir heute auch zum Sehen nutzen. Die primäre Funktion war allerdings die Verarbeitung von Lichtinformation der Umwelt zur Synchronisation zirkadianer Rhythmen. Die Sehinformation ist an die bewusste Wahrnehmung gekoppelt, wir sehen, ob es hell oder dunkel ist. Diese Sehinformation dient jedoch nicht der Synchronisation der inneren Uhr, denn diese verläuft wiederum ohne bewusste Wahrnehmung. Dies bedeutet, dass wir Menschen keinen Sinn dafür haben, ob unsere innere Uhr „gut“ gestellt ist oder nicht.

Wofür wir Sinne haben, ist ein Teil der Prozesse, die durch die innere Uhr geregelt werden. Prominent ist hierbei der Wechsel von Wachsein und Schlafen zu nennen. Wir spüren es, wenn wir müde sind. Und an dieser Stelle kommt die Technik rein, die uns befähigt, das Gefühl von Müdigkeit zu überschreiben. Es gibt Menschen, die müde sind und wissen, dass sie schlafen sollten und es am Folgetag bereuen werden, zu diesem Zeitpunkt nicht schlafen gegangen zu sein. Dies ist eine – bewusste – Ignoranz gegenüber einem uralten biologischen Programm.

Laut unseren Daten zeigen dieses Verhalten circa 39 Prozent der Menschen in unserer repräsentativen Stichprobe an 2000 Personen ab 18 Jahren in Deutschland. An der Spitze der Gründe für diese Bettzeitprokrastination steht der Fernseher, gefolgt vom Internet. Die dazu nötigen künstlichen Geräte sind Lichtquellen – darauf reagieren innere Uhren – und Inhalte, die uns wachhalten. Unser Alltag ist geprägt von der Nutzung von Technik zur Kommunikation und zum Entertainment. Diese Nutzung hat seit Beginn der Covid-19-Pandemie zugenommen. Einflussreich für unsere inneren Uhren ist besonders der Gebrauch in den Abend- und Nachtstunden, der eben laut unseren Erhebungen 39 Prozent der Menschen künstlich von ihren inneren Uhren entkoppelt, wodurch sie zum Teil deutlich zu wenig Schlaf bekommen.

Lässt diese Entwicklung negative Folgen für die Gesundheit befürchten?

Thomas Kantermann: Ja. Störungen der inneren Uhr können eine ganze Reihe an Störungen der Gesundheit zur Folge haben. Diese umfassen Störungen von Schlaf, Stoffwechsel, Herz-Kreislaufsystem und der Gemütsverfassung bis – in extremen Fällen wie der Schichtarbeit – zur Möglichkeit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Krebserkrankungen. Es gibt nicht die Störung der Gesundheit, die exklusiv durch eine Störung der inneren Uhr bedingt ist. Es ist vielmehr so, dass übliche „Volkskrankheiten“ mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auftreten, wenn die innere Uhr herausgefordert ist. Vor allem dann, wenn eine Herausforderung lange anhält.

Das bedeutet, dass eine einzelne Nachtschicht oder ein durchgemachtes Wochenende für sich nicht das Problem darstellen. Wenn aber die innere Uhr wiederholt im Alltag herausgefordert wird, dann können deutliche Folgen für die Gesundheit auftreten. Wir müssen verstehen, dass die Gesundheitsprobleme, über die wir in diesem Kontext reden, alle Menschen betreffen. Entweder unmittelbar als Primärbetroffene oder mittelbar als Sekundärbetroffene, für die wir als kollektive Gesellschaft im Rahmen steigender Gesundheitskosten und Sozialleistungen aufkommen.

Welche Primärbetroffenen sind laut Ihren Untersuchungen besonders gefährdet?

Thomas Kantermann: Menschen unterscheiden sich darin, inwieweit ihre inneren Uhren durch Technik – vor allem im Kontext von Lichtexposition am Abend und in der Nacht – gestört werden. Aktuell läuft auch hierzu Forschung in unterschiedlichen Laboren, um über diese Unterschiede mehr zu erfahren. Grundsätzlich empfiehlt sich für Menschen, die bereits Störungen der Gesundheit, egal welcher Art, aufweisen, auf Folgendes zu achten: sich tagsüber viel dem Tageslicht auszusetzen und dafür zu sorgen, dass ihre Nächte dunkel sind.

Als besonders gefährdet sehe ich Menschen an, die dafür nicht selbstständig sorgen können, wie beispielsweise Kinder, Senioren mit Pflegebedarf und generell all diejenigen, die nicht eigenständig ihre Lichtexposition gestalten können, beispielsweise weil sie nachts arbeiten. Hier kommen oftmals zwei Faktoren zusammen: zum einen zu viel Licht und entsprechende Wachheit am Abend oder in der Nacht. Zum anderen ein zu frühes Ende des Schlafes am Morgen. Stichwort ist hier der Wecker, weil Schule oder Arbeit oftmals zu früh beginnen. (Interview: Yasmin Lindner-Dehghan Manchadi)

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6 Kommentare
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447
3 Monate zuvor

Meine innere Uhr sagt 0600 anfangen, 1315 Schluss bitte.

Schule umbauen jetzt!

Augenrollen intensiviert sich…

Sporack
3 Monate zuvor
Antwortet  447

Bei 6 Uhr Unterrichtsanfang müsste zumindest hier um 4 Uhr aufgestanden und losgegangen werden. Ich bin eher für 9 Uhr Unterrichtsbeginn. Und globales Internetausschalten ab 20 Uhr.

Erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als es nur noch Schnee und Rauschen im Antennen TV zusehen gab?

PaPo
3 Monate zuvor
Antwortet  447

Ich würde auch drei Stunden später anfangen, und dafür fünf Min. länger, also bis 13:20 Uhr bleiben. ^^

Ich bin definitiv ’ne Eule, dieses schon um Mitternacht ins Bett gehen und dann schon um 06:15 Uhr Aufstehen für die Arbeit, das schmälert meine Lebensqualität sehr.

Nein, keine Satire.

Lisa
3 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Für Eulen ist der Lehrerberuf erschwert, da fühle ich mit Ihnen.

Realist
3 Monate zuvor
Antwortet  447

Wie wäre es mit einem Kompromiss:

Um 6 Uhr anfangen und um 18 Uhr aufhören.

Dann haben sowohl Lerchen als auch Eulen einen Teil ihres Wunsches erfüllt.

Und die Glorreichen und die SWK drücken den „Gefällt mir“-Button.

Lisa
3 Monate zuvor

Ich kenne sehr viele Leute, die vorm Fernseher ( weniger PC) einschlafen. Was passiert da mit der inneren Uhr?