KÖLN. Eine Woche nach Bekanntwerden eines Treffens rechtsextremer Aktivisten in Potsdam, darunter ranghohe AfD-Politiker, reißt die Debatte über den Umgang mit der AfD nicht ab. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) warnte eindringlich vor der Rechtsaußen-Partei. Unterdessen demonstrieren Zehntausende für ein Verbotsverfahren. Mittlerweile mehr als eine Million Menschen fordern zudem in einer Petition, dem Thüriger AfD-Chef Björn Höcke – freigestellter Lehrer mit Beamtenstatus – die Grundrechte zu entziehen. Das sieht das Grundgesetz tatsächlich als Möglichkeit vor.
«Es geht den Rechtsautoritären um einen Angriff auf das Wesen der Republik», sagte Habeck dem Magazin «Stern». «Sie wollen aus Deutschland einen Staat wie Russland machen.» Darauf bereiteten sie sich systematisch vor.
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: «Alle Vernünftigen, die bisher noch leise waren, müssen jetzt auch laut werden.» Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte dem RND: «Wir sind jetzt alle gefragt – in unserem persönlichen Umfeld, am Arbeitsplatz, beim Sport, beim Einkaufen – gemeinsam klarzumachen, dass man mit der AfD Rechtsextreme wählt, die eine Gefahr für die Demokratie darstellen.»
Das Medienhaus Correctiv hatte vorige Woche über das bis dahin nicht bekannte Treffen von Rechtsradikalen mit Politikern von AfD und CDU in einer Potsdamer Villa vom 25. November berichtet. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte dort nach eigenen Angaben über «Remigration» gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang. Heute will Correctiv seine Recherche im Berliner Ensemble vorstellen. Bei der szenischen Lesung sollen auch einige neue Details bekannt werden.
Wie News4teachers berichtete, fügen sich solche Deportationspläne, die sich offenbar auch gegen Parteikritiker richten, in schulpolitische Forderungen der AfD. So sprach sich der bayerische AfD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Bayern, Martin Böhm, öffentlich für einen getrennten Unterricht an Grund- und Mittelschulen von Kindern mit Deutsch als Muttersprache und den «anderen Kindern» aus, die nicht oder nicht so gut Deutsch sprechen. Letztere sollten «in ganz besonderen Klassen weitergebildet» werden – «keinesfalls mit Kindern, die die Sprache perfekt beherrschen. Weil immer wenn Sie zwei Flüssigkeiten zusammenschütten, dann erhalten Sie irgendwo eine Mischung.»
In den vergangenen Tagen gingen in verschiedenen deutschen Städten Zehntausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Am Dienstagabend demonstrierten in Köln Zehntausende gegen die AfD.
«Wir lassen nicht zu, dass die Rechtsradikalen entscheiden, wer deutsch ist und wer nicht»
Dröge bezeichnete derlei Demonstrationen als ermutigend. «Diese Menschen zeigen: Eine laute Minderheit am rechten Rand kann sich nicht darauf verlassen, dass die demokratische Mehrheit schweigt.» Klingbeil betonte: «Wir lassen nicht zu, dass in unserem Land wieder unterteilt wird in «die» und «wir». Wir lassen nicht zu, dass die Rechtsradikalen entscheiden, wer deutsch ist und wer nicht.» Die AfD wolle Menschen aus dem Land schmeißen, die fester Teil des Landes seien.
Infolge der Correctiv-Recherche nahm auch die Debatte über ein mögliches AfD-Verbot wieder Fahrt auf. Habeck sagte dem «Stern» auf die Frage, ob er für oder gegen ein AfD-Verbot sei: «Das ist keine Frage der politischen Haltung, sondern des Rechts.» Über ein Verbot entscheide allein das Bundesverfassungsgericht. Die Hürden seien zu Recht sehr hoch, und der Schaden durch ein gescheitertes Verfahren wäre massiv. «Daher müsste alles absolut gerichtsfest sein. Das muss man sehr genau bedenken.» So oder so müssten die demokratischen Parteien die AfD politisch schlagen.
Neben einem möglichen Verbotsantrag wird mittlerweile auch über einen Antrag auf Entzug der Grundrechte für herausragende Verfassungsfeinde diskutiert. Bis Mittwochmorgen verzeichnete eine Unterschriftensammlung, die sich namentlich gegen den Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschef Björn Höcke richtet, bereits mehr als 1,2 Millionen Unterschriften (hier geht es hin).
«Der Nazi Björn Höcke bewirbt sich seit Jahren initiativ darum, dass diese Paragrafen mal an ihm angewendet werden»
Der Thüringer AfD-Landesverband wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft, Höcke selbst als Rechtsextremist. Höcke ist verbeamteter Lehrer für Sport und Geschichte im hessischen Landesdienst, aber für sein Abgeordnetenmandat freigestellt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte im August an, Höcke den Weg zurück in den Schuldienst versperren zu wollen (News4teachers berichtete).
Juso-Chef Philipp Türmer sprach sich nun dafür aus, den Grundrechtsentzug gegen Höcke einzusetzen. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz könne man zudem das aktive und passive Wahlrecht verwirken, sagte Türmer dem «Tagesspiegel». «Der Nazi Björn Höcke bewirbt sich seit Jahren initiativ darum, dass diese Paragrafen mal an ihm angewendet werden.»
Der renommierte Rechtswissenschaftler Prof. Ulrich Battis – der auch schon Gutachten zur Lehrerarbeitszeit vorgelegt hat, News4teachers berichtete – sagte RTL/ntv: «Es ist plausibel, dass man gegen ihn (Höcke) ein solches Verfahren einleitet, weil er sich in besonderer Weise, wie wir sie vorher so in Deutschland in den letzten 40 Jahren nicht hatten, exponiert hat.» Battis betonte: «Im Moment haben wir eine Situation, wie wir sie bisher nicht hatten. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Verfahren Erfolg haben wird, eher größer einzuschätzen, als ich es je in der Vergangenheit beurteilt hätte.»
Wie die «Rheinische Post» berichtete, ist mittlerweile auch beim Petitionsausschuss des Bundestags eine Petition eingereicht worden, die fordert, Höcke Grundrechte zu entziehen. Sie müsse allerdings noch geprüft werden, bevor sie veröffentlicht werde, sagte die Ausschuss-Vorsitzende Martina Stamm-Fibich (SPD) der Zeitung. Ab 50.000 Unterstützern muss sich der Petitionsausschuss mit einer öffentlichen Petition befassen und Gelegenheit zur Anhörung geben.
Die Linke brachte noch eine weitere Forderung auf. Sie plädiert dafür, zunächst die Jugendorganisation Junge Alternative ins Visier zu nehmen. «Ein erster Schritt wäre ein Verbot der Jugendorganisation der AfD», sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert. «Ein Verbot der JA wäre deutlich einfacher und schneller möglich, da sie nicht durch einen Parteienstatus geschützt ist. Ein Verbot wäre hier durch einen einfachen Ministerialerlass möglich.» Die Junge Alternative war vom Bundesverfassungsschutz als «gesichert rechtsextrem» eingestuft worden, nach einer Klage wurde diese Einstufung zunächst zurückgenommen. Sie wird offiziell als «Verdachtsfall» geführt.
Der politische Kurs der JA, so NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), zeichne sich durch ein «völkisch-ethnisches Volksverständnis und Fremdenfeindlichkeit» aus. News4teachers / mit Material der dpa
