„Wir haben es mit einer aggressiveren Elternschaft zu tun“: Wie der neue Schulleiter in Burg gegen Rechtsextremismus ankämpft

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COTTBUS. Rechtsextreme Übergriffe an der Schule im brandenburgischen Burg sorgten im vergangenen Jahr bundesweit für Schlagzeilen. Seit August geht ein neuer Schulleiter den Vorkommnissen auf den Grund. Mit Analyse und Konzept – und mit einem unverblümten Blick auf die Realitäten.

Gilt als Sehenswürdigkeit in Burg: Der Bismarck-Turm von 1917. Foto: Shutterstock

Die Lehrkräfte Max Teske und Laura Nickel hatten im April einen Brandbrief verfasst, in dem sie die Zustände an der Grund- und Oberschule Mina Witkojc beschrieben. «Wir wenden uns an die Öffentlichkeit, da wir in unserem Arbeitsalltag als Schulpersonal an einer Schule im Spree-Neiße-Kreis täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert werden und nicht mehr länger den Mund halten wollen», heißt es in dem Schreiben.

Als Beispiele werden darin unter anderem die verfassungsfeindliche Verbreitung von rechtsextremen Symbolen, Schriften, Musiktiteln und Gewalt an der Schule genannt. Schulmobiliar werde mit Hakenkreuzen beschmiert, im Unterricht werde rechtsextreme Musik gehört, in den Schulfluren demokratiefeindliche Parolen gerufen. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft. Die beiden Lehrkräfte wurden von rechts angefeindet, bedroht und verließen schließlich die Schule (News4teachers berichtete).

Die damalige Schulleitung mochte kein echtes Problem erkennen. Angesprochen auf ein Gruppenfoto, auf dem Schülerinnen und Schüler ihre Arme zum Hitlergruß nach oben strecken, meinte sie, das seien nichts weiter als wichtigtuerische Draufgänger. Gegenüber der «Zeit» erklärte sie damals: «Diese Jungs sind Teenager, sie sind in der neunten Klasse und suchen ihren Platz. Sie wollen sich ausprobieren.» Im August wurde die Schulleitung abgelöst – «auf eigenen Wunsch», wie das Bildungsministerium verlautete.

«Nach meinem bisherigen Eindruck haben wir in jeder Klasse circa zehn Prozent Schülerinnen und Schüler, die demokratiefeindliche Gesinnungen pflegen»

Neu berufen wurde eine erfahrene Kraft: Der 63-jährige Markus Mandel war bisher stellvertretender Schulleiter an der Theodor-Fontane-Schule in Cottbus. Jetzt, nach vier Monaten im Amt, zieht er eine erste vorläufige Bilanz. Er sieht noch viel Arbeit in der Einrichtung. «Nach meinem bisherigen Eindruck haben wir in jeder Klasse circa zehn Prozent Schülerinnen und Schüler, die demokratiefeindliche Gesinnungen pflegen», sagt Mandel in einem Interview mit der Wochenzeitung «Die Zeit».

Das belege auch die Studie «Jugend in Brandenburg» der Universität Potsdam. Die Analyse, für die auch 75 Schülerinnen und Schüler aus der Burger Schule befragt wurden, habe gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mit rechtsextremen Einstellungen dort häufiger vertreten gewesen seien, als im Durchschnitt Brandenburgs, erklärt der Schuldirektor.

Mandel beschreibt, dass er das Lehrerkollegium zu seinem Start an der Schule zum Teil stark zerstritten vorgefunden habe. Und in einigen Klassen hätten sich Lager zwischen linken und rechten Anschauungen gebildet, so dass dort kaum noch unterrichtet werden konnte.  Die verfeindeten Lehrkräfte hätten inzwischen «eine Art friedliche Koexistenz» vereinbart, die Spannungen seien weniger geworden, schätzte der Schulleiter ein, der von einer «befriedeten» Einrichtung spricht. In vielen Klassen gelinge es, wieder miteinander zu reden. Allerdings: Manche Lehrkräfte benutzten immer noch unterschiedliche Lehrerzimmer, damit sie sich nicht begegnen müssten.

Wie stark rassistische und rechtsextreme Meinungen in der Schülerschaft wirklich vertreten sind, wie lange es diese Tendenzen an der Schule schon gebe und warum darauf nur unzureichend reagiert wurde – dazu verschafft sich der Direktor nach eigener Aussage gerade einen Überblick. «Wenn ich mir die Akten anschaue, fällt auf, dass es vor dem Brandbrief kaum offiziell registrierte rechtsextreme Vorfälle gab. Da stellt sich schon die Frage, warum die keiner gemeldet hat.»

«Die Schule wird als Dienstleister betrachtet. Der Lehrer hat sich zu rechtfertigen, wenn das Kind eine schlechte Note bekommt»

Zudem sei bekannt , dass Schülerinnen und Schüler zu Hause von ihren Eltern «zum Teil krude Thesen» zu hören bekämen. Mandel: «Wir haben es generell mit einer aggressiveren Elternschaft zu tun. Die Schule wird als Dienstleister betrachtet. Der Lehrer hat sich zu rechtfertigen, wenn das Kind eine schlechte Note bekommt. Der Einfluss der Familien ist gerade in den ländlichen Regionen recht groß. Da hat noch Gewicht, was Vater und Großvater sagen. Das glaubt man dann und plappert es einfach weiter. Den gewaltigsten Einfluss haben aber die sozialen Medien, viele Kinder und Jugendliche hinterfragen nicht, was sie auf TikTok sehen, können zwischen Wahrheit und Fake-News nicht unterscheiden.»

Nun werde ein Demokratiekonzept für die Schule erarbeitet. Es solle dafür sorgen, dass die politische Bildung fächerübergreifend einen größeren Stellenwert bekomme, so Mandel. Erste Aktionen dazu wurden dazu bereits angestoßen. So hätten im September alle zehnten Klassen die Gedenkstätte des KZ-Außenlagers Lieberose, Jamlitz, besucht. Sechst- und Siebtklässler hätten mit einem schwarzen Rapper einen Song erarbeitet, beschrieb der Schulleiter. Überdies sei ein Seminar mit einer Aussteiger-Initiative aus der rechten Szene durchgeführt worden. Mit den neunten Klassen sei in diesem Jahr eine Fahrt ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz geplant.

Die Behörden haben die Schule weiter im Blick. «Wir wissen seit ein paar Tagen, dass das Schulamt die Schule im neuen Jahr auf den Kopf stellen wird», sagt Mandel. «Alles, was wir hier machen, wird einer Bewertung unterzogen.» Das werde nicht nur angenehm fürs Kollegium. News4teachers / mit Material der dpa

Nach Hetzjagd-Aufrufen: Lehrkräfte, die gegen Rechtsextreme aufbegehrten, verlassen die Schule – die AfD triumphiert

 

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Dejott
3 Monate zuvor

Wie groß wird der Auftrieb für rechtsextreme Ansichten in der Schule erst sein, wenn die AFD einen Kultusminister stellt.
Im Herbst wird man sehen, ob dieses Szenario in den östlichen Bundesländern Realität wird. Den Umfragen nach ist das durchaus wahrscheinlich.
Grundsätzlich gilt: Vielleicht ist es keine besonders gute Idee, sich in Sachsen, Thüringen oder Sachsen-Anhalt verbeamten zu lassen. Kann man eigentlich momentan nur vor warnen.

Unfassbar
3 Monate zuvor
Antwortet  Dejott

Wir werden es sehen. Da nicht von einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit für die Afd auszugehen ist, muss sie erstens auch nur mit Wasser kochen, zweitens mit der Verfassung arbeiten und drittens mit der Kontrollfunktion des Bundes umgehen. Sie kann also längst nicht alles tun, was sie möchte. Die Kündigung des Rundfunkstaarsvertrages hätte aber was.

Fresh L
3 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Danke.
Interessant bzw. eher erschreckend ist auch die theoretisch denkbare wie auch praktisch umsetzbare Aushöhlung der Demokratie im Falle einer mehrheitlichen AfD Bundesregierung durch schleichenden aber verfassungsrechtlich legitimen Austausch der Bundesrichter.
Sehr anschaulich dargestellt in einer Folge der „Anstalt“.

Wutbürger
3 Monate zuvor
Antwortet  Fresh L

Wieso soll das eine Aushöhlung der Demokratie sein? Meines Wissens werden die Bundesverfassungsrichter für 12 Jahre berufen und danach durch die Politik, in der Regel sind damit die regierenden Parteien gemeint, neu besetzt. Die AfD würde also nur das tun, was alle andere auch schon seit immer gemacht haben.

Einer
3 Monate zuvor

Vor einem Schulleiter, der in dem Alter eine solche Schule übernimmt, kann man nur den Hut ziehen. Viele andere würden die letzten Jahre noch absitzen und Herr Mandel greift eine der schwierigsten Aufgaben an. Das ist für mich der Lehrer des Jahres.

Lisa
3 Monate zuvor

„Der Einfluss der Familien ist gerade in den ländlichen Regionen recht groß. Da hat noch Gewicht, was Vater und Großvater sagen. Das glaubt man dann und plappert es einfach weiter“ ….ist dem in diesem Bundesland wirklich noch so? Dann könnte man die Älteren mit ins Boot holen. In deren Generation war das schulische Verhalten bestimmt geregelter, dazu könnten sie dann ihre Enkel anhalten.
Die Großväter dürften etwa in meinem Alter sein, also Boomer, keinesfalls Leute, die das Dritte Reich noch miterlebt haben. Irgendwas stimmt an der Analyse im Artikel nicht.

Paus Kierer
3 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Es stellt sich auch die Frage, ob der Typus des ewig gestrigen Opas, Onkels, Vaters etc. nicht längst abgelöst worden ist. Wie viele der heutigen, in den 1970er- bzw. 1990er- Jahren sozialisierten Eltern- und Großelterngeneration mögen sich die Augen reiben ob ihrer reaktionären Nachkommenschaft?

JoS
3 Monate zuvor

Klingt so, als gäbe es dort nicht nur ein Problem mit rechtsextremen Schülern, sondern auch Lehrkräften. Warum nutzt das Land hier nicht seine Möglichkeit, diese aus dem Dienst zu entfernen oder zumindest auf weit entfernte Posten zu versetzen?

Ragnar Danneskjoeld
3 Monate zuvor
Antwortet  JoS

Sind Sie so naiv oder tun Sie nur so?

JoS
3 Monate zuvor

Was meinen Sie? Ich selbst wurde mal für ein halbes Jahr an eine andere Schulform und eine Dreiviertelstunde entfernt abgeordnet, als dort akuter Mangel herrschte. Also warum sollte man rechtsextreme Lehrkräfte nicht auch so piesacken können?

Sagerino
3 Monate zuvor
Antwortet  JoS

Ich tippe darauf, dass sie schlau genug sein werden unter dem neuen SL keinen Ton dahingehend mehr zu sagen und die alte SL offensichtlich nichts veranlasst hat.

Wutbürger
3 Monate zuvor
Antwortet  JoS

Also geht es Ihnen nur ums Mobbing?!

Einer
3 Monate zuvor
Antwortet  JoS

An welche Ecke eines Bundeslandes, dessen Bevölkerung leider in diesem Jahr mit an Sicherheit grenzender Wahrschnlichkeit, eine gesichert rechtsextreme Partei wählen wird sollten die Lehrer denn versetzt werden?

Scriptor
3 Monate zuvor
Antwortet  Einer

Zusatzfrage: wo bekommt man MOMENTAN aus dem Stand eine nennenswerte Zahl neuer Lehrer her, die sich in Anbetracht der aktuell reichlich vorhandenen Alternativen da hinsetzen lassen.

JoS
3 Monate zuvor
Antwortet  Einer

So weit, dass er irgendwann keine Lust mehr hat.

Wutbürger
3 Monate zuvor
Antwortet  Einer

Wieso Ecke des Bundeslandes? Als würde es in den angrenzenden Bundesländern anders aussehen und selbst der Westen der BRD scheint sich mit ein paar Jahren Verspätung immer mehr Ostdeutschland anzupassen.

Wutbürger
3 Monate zuvor
Antwortet  JoS

Irgendwie klingt das für mich extrem, wenn jemand fordert Lehrer „zu entfernen“, weil diese nicht links (darauf läuft es doch hinaus) sind. Das sind dann aber die gleichen Leute, die sich jetzt über das Einsetzen von Bundesverfassungsrichtern erregen (womöglich sogar,obwohl sie es wie aktuell die Regierung macht) durch die AfD, wenn/falls sie irgendwann, vielleicht oder vielleicht auch nicht in der Regierung stellen könnte…. Kannste dir nicht ausdenken.

Mondmatt
3 Monate zuvor

Egal ob psychische oder physische Gewalt gegen Lehrkräfte von rechtsradikalen, linksradikalen, islamistischen Eltern, Reichsbürgern oder einfach über motivierten „Supereltern“ ausgeht, eine Erkenntnis bleibt bei den Lehrern zurück.
Es ist erbärmlich in welcher Art und Weise der Dienstherr seine Fürsorgepflicht gegenüber den bedrohten oder gar angegriffenen Lehrern wahrnimmt.

Der Grad der Unterstützung für die Lehrer durch die Ministerien geht unter dem Strich gegen Null.

Für die Ministerien ist es fast immer einfacher auf sämtliche gesellschaftlichen Befindlichkeiten und Vorurteile gegen Lehrer ein zu gehen und so auf Kosten der Lehrer schlechte Presse und öffentliche Kritik zu vermeiden.

Lag die Schuld nicht doch am Ende bei einem Fehlverhalten des Lehrers?
Sind die angeblichen Vorfälle wirklich passiert? Kann nicht sein! So was gibt es an unseren Schulen nicht!!!

Bedrohungen und Angriff sind aus Sicht des Ministeriums inzwischen offensichtlich im Lehrer-Gehalt mit verrechnet.

Merke, andere Wange hin halten und vor allem Fresse halten.
An unseren Schulen ist alles, dank der hervorragenden Arbeit der Ministerien, in bester Ordnung.

HellaWahnsinn
3 Monate zuvor
Antwortet  Mondmatt

Dazu passt der allerletzte Satz im Artikel über das Kollegium:
„Die Behörden haben die Schule weiter im Blick. «Wir wissen seit ein paar Tagen, dass das Schulamt die Schule im neuen Jahr auf den Kopf stellen wird», sagt Mandel. «Alles, was wir hier machen, wird einer Bewertung unterzogen.» Das werde nicht nur angenehm fürs Kollegium.“

Unfassbar
3 Monate zuvor
Antwortet  HellaWahnsinn

Ich prognostiziere, dass abgesehen von Aktionstagen gegen Rechtsextremismus und ganz viel Dududu nichts nennenswertes passieren wird.

Walter Hasenbrot
3 Monate zuvor
Antwortet  Unfassbar

Was soll denn Ihrer Meinung nach passieren?

Primäre Aufgabe von Schulen ist es, pädagogisch auf die Schüler einzuwirken.

Dazu könne auch Projekttage gegen Rechtsextrmismus gehören.

Ansonsten ist eine klare Haltung des Kollegiums für Demokratie und gegen Rechtsextremismus nötig. Diese Haltung muss sich durch alle Fächer und alle Stunden ziehen.

Fresh L
3 Monate zuvor
Antwortet  Mondmatt

Da haben Sie generell sicherlich recht.
Nur hat in diesem speziellen Fall, wenn ich es richtig erinnere, auch der neue Schulleiter gesagt, er wundere sich, dass bis vor dem Eklat keine Vorfälle gemeldet wurden.
Also, gehe ich davon aus, dass auch die Schulämter und das Ministerium keine Ahnung hatten.
Grundsätzlich kann man vielleicht in diesem besonderen Fall sogar in der Tat von Fehlverhalten der Lehrkräfte sprechen, da sie untätig geblieben sind, aus welchen Gründen auch immer.
Möglich ist natürlich auch, dass sich die Vorfälle erst seit der Berufung der beiden Neu-Lehrkräfte, die nun wieder flüchten mussten. Wobei diese Annahme mMn sehr unwahrscheinlich ist.

447
3 Monate zuvor
Antwortet  Fresh L

Nicht erfolgte Meldungen meldepflichtiger Vorfälle – da kann es tatsächlich (auch juristisch und damit tatsächlich wirksam) „unangenehm“ werden. Und eindeutige Straftaten (Hitlergruss usw.) erfüllen das definitiv.

In Kombination mit der Aussage über das Kollegium (zwei Lehrerzimmer, damit man sicht sehen muss?) scheint da viel im Argen zu liegen, von dem wir wohl nie was erfahren werden.

pfk
3 Monate zuvor
Antwortet  Mondmatt

„Der Grad der Unterstützung…“
In jede Schule gehört mindestens plus dazu: ein Pförtner, eine Krankenschwester/Pfleger und ein/e oder zwei AnwältInnen, wegen dies und das, gibt genug zu tun. Pro 100 SuS 4 Sozialarbeiter. EuE und LuL nur noch im Mixed Double. Plus 2 extra Seki-Menschen und 2 Stellvertreter für den Direx, schlage ich vor. Viele Projekte, viel reden, absichtliche Dumme beschämen (war schon immer so/Vati(!) sagt/kein Bock auf lernen) evtl. Ignoranten strafen und belehren und viel, viel auf unterschiedliche Arten und Weisen lernen.
Diese ganze rechte/faschistoide Soße, egal ob Brandenburg, Sachsen, Thüringen oder Hubsi-Bayern, oder die, mit allem außer Hochdeutsch- Ba-Wü, es ist so räudig. Dass mehr als die halbe Welt gerade einfach nur mieseste Politik macht: Fremdschäm, Menschschäm. Iiih pfui Deibel. Sich ein Beispiel am größten A zu nehmen, wieso? Wozu? Man weiß es nicht…