Jüdischer Student krankenhausreif geschlagen: Verharmlost Senatorin den Fall?

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BERLIN. Der Fall des Studenten, der einen jüdischen Kommilitonen krankenhausreif geschlagen und getreten haben soll, schlägt weiter hohe Wellen. Eine Senatorin gerät unter Druck.

Nach der Attacke gegen einen jüdischen Studenten wächst die Kritik auch an der FU Berlin. Foto: shutterstock

Die Debatte über den Umgang mit dem tatverdächtigen Studenten im Fall Lahav Shapira wird schärfer: Berlins Wissenschaftssenatorin sieht sich nach Äußerungen im RBB Rücktrittsforderungen ausgesetzt. Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle warf der SPD-Politikerin Ina Czyborra am Mittwoch Verharmlosung und «Schönfärberei» vor: «Es bleibt nur der Rücktritt.»

Während von mehreren Seiten eine Gesetzesänderung gefordert wird, um Hochschulen in solchen Fällen auch eine Exmatrikulation zu ermöglichen, hält Czyborra an der Linie eines Hausverbots fest. «Es müssen, bevor über schärfere Maßnahmen diskutiert wird, die bisherigen Mittel ausgeschöpft werden, auch wenn dies am Ende gerichtlich verhandelt werden muss», teilte sie mit. Ein Hausverbot in dem aktuellen Fall nannte sie «dringend erforderlich».

Regierungschef Kai Wegner (CDU) forderte eine schnelle und harte Bestrafung. Der Rechtsstaat werde bei antisemitischen Straftaten mit aller Härte durchgreifen. «Die Hochschulen, in diesem Fall die Freie Universität und ihre Leitung, sind aufgefordert, zu handeln und antisemitische Vorfälle nicht länger zu dulden oder kleinzureden», schrieb Wegner auf der Plattform X (früher Twitter). Die Hochschulen bräuchten Instrumente, um konsequent und schnell handeln zu können. «Wenn dazu eine Änderung des Hochschulgesetzes erforderlich sein sollte, werden wir in der Koalition darüber sprechen.»

Äußerungen Czyborras in der Kritik

Die Kritik an Czyborra entzündete sich an Äußerungen in der RBB-«Abendschau» vom Dienstag. Sie nannte Argumente gegen eine Exmatrikulation, wie das Grundrecht auf freie Berufswahl. «Exmatrikulation aus politischen Gründen lehne ich auch grundsätzlich ab.» Und weiter: «Die Wissenschaft lebt von Austausch, lebt von Internationalität, lebt von internationalen Studierenden. Und natürlich gibt’s auch dann mal Konflikte auf dem Campus. Und die müssen wir eindämmen.»

Der Bruder des Opfers, Comedian Shahak Shapira, hatte die Wortwahl auf X, früher Twitter, bereits scharf kritisiert. «WHAT? „Konflikt“? Er hätte beinah an einer Hirnblutung sterben können», schrieb er. Auch einige Politiker kritisierten die Äußerungen in der «Bild»-Zeitung als verharmlosend.

Am Mittwoch teilte Czyborra zu ihrer Sicht mit: Es müsse grundsätzlich unterschieden werden zwischen einerseits Gewalttaten, Antisemitismus und Volksverhetzung und andererseits politischen Meinungsäußerungen. «Exmatrikulationen aufgrund politischer Meinungen lehne ich weiterhin ab. Eine Demokratie muss innerhalb dieses Rahmens unterschiedliche politische Meinungen aushalten.»

Nach Angaben der Freien Universität (FU) ist nach derzeitiger Rechtslage in Berlin eine Exmatrikulation von Studierenden aus Ordnungsgründen nicht möglich. Eine entsprechende Regelung war 2021 abgeschafft worden. FU-Präsident Günter Ziegler sagte der «Abendschau»: «Ich habe den Eindruck, dass wir nachschärfen müssen, zumindest in den Hilfsmitteln, die wir haben.» Und dass das bisher mögliche, auf drei Monate begrenzte Hausverbot möglicherweise für die vorliegenden Situationen nicht reichen werde.

Kundgebung an FU steht bevor

Der FU steht am Donnerstag eine Kundgebung unter dem Titel «Solidarität mit Palästina» bevor. Eine Privatperson habe (für 12.00 bis 14.00 Uhr) 100 Teilnehmer angemeldet, sagte eine Polizeisprecherin. Ort sei die Otto-von-Simson-Straße 26, wo sich die große FU-Mensa befinde. Im Titel der angekündigten Veranstaltung heißt es laut Polizei auch, die Kundgebung richte sich «gegen die selektive Solidarität der Universitätsleitung und Einschränkung demokratischer Rechte».

In sozialen Medien kursiert zum gleichen Termin ein Demoaufruf von einem «Palästinakommitee FU Berlin», unter anderem mit der Aufschrift «Freiheit für Palästina!». Die FU teilte auf Anfrage mit, dass sie aufgrund von Inhalten von Plakaten mit dem Aufruf zur Kundgebung Strafanzeige gestellt habe.

Die Uni steht von mehreren Seiten in der Kritik, nachdem der 30 Jahre alte, jüdische Student Lahav Shapira am Wochenende mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gekommen war. Ein 23 Jahre alter propalästinensischer Kommilitone soll ihn im Ausgehviertel in Berlin-Mitte geschlagen und getreten haben. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte danach dem «Tagesspiegel», die Leitung der Uni sei «viel zu tolerant». Unter anderem eine Hörsaalbesetzung einer Gruppe namens «FU Students for a Free Palestine» hatte im Dezember für Aufsehen gesorgt.

Lior Steiner von der Jüdischen Studierendenvereinigung Berlin sagte am Dienstag im RBB, sobald Israel das Existenzrecht abgesprochen werde und klar antisemitische Botschaften nach außen getragen würden, habe dies mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun. Mehrere Studierendenvereinigungen fordern zusammen den Ausschluss und das Verbot antisemitischer und extremistischer Gruppierungen am Campus.

Bundesministerin: Unis keine rechtsfreien Räume

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) rief Universitäten zu einem konsequenten Durchgreifen auf. Antisemitismus müsse klare Konsequenzen haben, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch). «Hochschulleitungen müssen daher von allen ihnen rechtlich zustehenden Möglichkeiten Gebrauch machen.» Hochschulen seien zwar Orte maximaler Freiheit, aber keine rechtsfreien Räume.

Im Krankenhaus wurde der verletzte Lahav Shapira bestohlen, wie sein Bruder Shahak Shapira auf X berichtete. Hinweise auf eine gezielte Tat gibt es aber wohl nicht. «Leider ist es unbefugten Personen gelungen, auf eine eigentlich verschlossene Station zu gelangen und bei insgesamt drei Patienten Eigentum zu entwenden», zitierte die «B.Z.» einen Charité-Sprecher. Wie Shahak Shapira am Mittwoch auf Anfrage mitteilte, gehe es seinem Bruder «den Umständen entsprechend», dieser sei jetzt aus der Klinik entlassen worden.   News4teachers mit Material der dpa

Schärfere Sanktionen gegen Antisemitismus an Hochschulen gefordert

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JoS
2 Monate zuvor

«Exmatrikulation aus politischen Gründen lehne ich auch grundsätzlich ab.»

Was für eine abstoßende Verharmlosung. Es geht hier nicht um eine etwas hitzigere politische Diskussion, sondern um eine antisemitisch motivierte Gewalttat. Dass Sie die Gelegenheit zur Klarstellung nicht genutzt hat und stattdessen verharmlosende, pseudodifferenzierende Phrasen absondert, lässt einen doch sehr an ihrer Einsichtsfähigkeit zweifeln.

Meinetwegen
2 Monate zuvor
Antwortet  JoS

Nein, sondern Rechtsstaat. Die Körperverletzung soll zur Anzeige gebracht werden. Gerichte sollen urteilen in Abwägung aller Umstände. Dafür haben wir sie. Eine Körperletzung kann mit bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden.

I

JoS
2 Monate zuvor
Antwortet  Meinetwegen

Wo ist der Bezug zu meinem Kommentar? Dass sich ein Gericht mit dieser Tat befassen soll, ist doch unabhängig davon zu sehen.
Wenn ein Schüler aus meiner Klasse einen Mitschüler zusammenschlägt, sagen wir doch auch nicht achselzuckend „dafür ist die Justiz alleine verantwortlich“, es gibt unabhängig von der Strafverfolgung eine Klassenkonferenz mit entsprechenden Maßnahmen bis hin zum Verweis von der Schule.

Meinetwegen
2 Monate zuvor
Antwortet  JoS

Der Bezug ist ziemlich klar. Sie und andere greifen die Senatorin an und erwarten von ihr die Exmatrikulation des „Täter-Studenten“. Ich verweise auf den Rechtsstaat und diejenigen, die für eine Bestrafung zuständig sind. Ich möchte nicht, dass Politiker Straftäter bestrafen, ich möchte, dass das weiterhin die Gerichte/Richter tun. Das nennt sich Gewaltenteilung. Ich verteidige diese.

potschemutschka
2 Monate zuvor
Antwortet  Meinetwegen

Es gibt aber in vielen Institutionen noch ein „Hausrecht“, wer z. B. beim Ladendiebstahl erwischt wird, kann Hausverbot erteilt bekommen.

Kaffeetasse
2 Monate zuvor
Antwortet  potschemutschka

Sie sagen es: Hausrecht. Darf ein Laden jemandem Hausverbot erteilen, der in einem anderen Laden etwas gestohlen hat?

Es wäre schön, wenn wir all die Gedankenakrobatik beiseite lassen und unsere Justizorgane ihre Arbeit machen lassen.

Ich stimme zu, dass Politiker keine Gerichtsurteile fällen sollen!

JoS
2 Monate zuvor
Antwortet  Meinetwegen

Sie sollten an Ihrer Lesekompetenz arbeiten. Ich habe die Verharmlosung einer Gewalttat kritisiert, nicht mehr und nicht weniger. Das ist eine politisch-moralische Frage, keine juristische.
Der zweite Schritt, ob ggf. die Regeln zur Exmatrikulation von Hassverbrechern verschärft werden müssen, ist davon erstmal unberührt.

Inselbegabung
2 Monate zuvor
Antwortet  JoS

Sie lavieren herum. Sie haben die Aussage der Senatorin zitiert, dass jemand nicht aus politischen Gründen exmatrikuliert wird und diese Aussage fanden sie eine abstoßende Verharmlosung, das bedeutet schon in der logischen Folge, dass Sie eine Exmatrikulation befürwortet hätten. Sie deuten es in Ihrem neuen Kommentar eben ja wieder an. Ansonsten bitte klarer ausdrücken (Schreibkompetenz).

Ich bin für Rechtsstaatlichkeit. Ich möchte nicht, wie die @Kaffeetasse schreibt, dass Politiker Gerichtsurteile fällen und also auch schon gar nicht Otto und Erna Normalverbraucher.

Die Politik soll sich bitte aus der Judikative heraushalten – abgesehen von der Gesetzgebung. 5 Jahre Freiheitsentzug sieht das Gesetz vor. Ein Gericht möge bitte entscheiden, nicht JoS.

JoS
2 Monate zuvor
Antwortet  Inselbegabung

Bevor Sie mir Lavieren vorwerfen, hätte ich eine Frage an Sie: Ist Ihnen der Unterschied zwischen einer politischen Meinungsäußerung und einer politisch motivierten Gewalttat klar? Falls ja, sollte Ihnen eigentlich klar sein, dass es hier nicht um die Frage einer Exmatrikulation „aus politischen Gründen“, also wegen einer bloßen Meinungsäußerung geht, sondern um eine antisemitisch motivierte Gewalttat. Und natürlich muss man dann auch schauen, ob im akademischen Umfeld direkte Gewaltaufrufe und andere antisemitische Äußerungen getätigt werden, die anders zu behandeln wären als beispielsweise eine offene, kontroverse Diskussion zur Siedlungspolitik oder der Frage des „Rückkehrrechts“.