Weniger Kunst und Musik statt Kürzungen beim Fach Religion – mit dieser Entscheidung hat das bayerische Kabinett für eine erregte Debatte gesorgt. Nun hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Entscheidung vom Dienstag verteidigt, mit der nach dem schlechten Abschneiden Deutschlands bei der PISA-Studie die Fächer Mathematik und Deutsch an Grundschulen gefördert werden sollen (News4teachers berichtete). Religionsunterricht stärke Herz, Geist und Charakter junger Menschen, sagte Söder bei der Amtseinführung des neuen Erzbischofs Herwig Gössl in Bamberg. «Deshalb steht der Freistaat weiter zum Religionsunterricht.»
Weniger Kunst, Musik und Werken, damit die Kinder künftig besser schreiben, lesen und rechnen können? «Dieser Ansatz ist Quatsch», kritisierte etwa der Astrophysiker Harald Lesch, Träger des Bayerischen Verdienstordens, in der «Süddeutschen Zeitung». «Ausprobieren wird in Kunst, Musik und Werken unglaublich befeuert – wenn man die Kinder machen lässt und schaut, wie weit sie mit ihren Fähigkeiten kommen.»
Lesch verwies auf Herausforderungen wie den Klimawandel oder den Frieden in Europa. «Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Wir wissen nicht, welche Lösung die richtige ist. Wir müssen eine Menge ausprobieren und Irrtum zulassen. Das lernen Kinder in kreativen Fächern.» Auch Werken sei für Kinder wichtig, «damit sie erfahren, dass sie mit den Händen mehr bewegen können als eine Tastatur, dass sie etwas bauen können».
Schon in einem früheren Interview mit dem Magazin «Bildungsthemen» hatte Lesch betont: «Die wichtigen Fächer in der Schule sind Kunst, Sport und Musik. Da wird Kreativität, da wird die Lust am sich Austoben stimuliert und genau diese Lust braucht man auch bei den MINT-Fächern. Es hat überhaupt keinen Sinn, die Schulausbildung so überzuakademisieren, weil wir mit jungen Menschen zu tun haben, die sich entwickeln.»
«Kann jemand mal vorrechnen, welche Temperatur man braucht, um jemanden zu beamen?»
Interesse an den Naturwissenschaften werde mit Kreativität geweckt – nicht mit Stoffhberei: «Wenn ich zum Beispiel in der Schule das Projekt mache ‚Die Physik von Science-Fiction-Filmen‘ dann klingt das doch ganz anders, als wenn ich sage: ‚Das geht hier um Physik.‘ Darauf hat keiner Lust. Science Fiction ist klasse, Filme sind gut. Und dann kann man anfangen, mit den Schülern zu spekulieren. Kann jemand mal vorrechnen, welche Temperatur man braucht, um jemanden zu beamen?»
Lesch kritisierte dabei auch die Entwicklung des Mathematikunterrichts. «Viel zu wenig Kopfrechnen, viel zu wenig Prozentrechnen. Die elementaren Rechenoperationen werden nicht mehr unterrichtet, stattdessen irgend so ein abgespacetes Zeug über Mengenlehre, das kein Mensch wirklich braucht. Es wird nicht genügend Geometrie gemacht, räumliche Orientierung wird viel zu wenig gemacht, dafür viel zu viel Algebra. Das braucht kein Mensch. Da steckt viel zu viel Drill dahinter, zu wenig Kreativität. Projekte muss man machen mit den Schülern, das ist das, was bei den MINT-Fächern am ehesten dazu führt, dass Kinder und Jugendliche sich mit dem Thema auseinandersetzen.»
In die gleiche Kerbe schlägt Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, im «Fränkischen Tag». Seiner Meinung nach sollte sogar mehr Platz für Kunst, Musik und auch Sport geschaffen werden – Fächer, in denen Kinder lernen würden, wie man kooperiert, reflektiert und in denen sie ihre Persönlichkeit entwickeln könnten. Zierer spricht sich stattdessen für eine «Entrümpelung» der Fachlehrpläne aus. So habe etwa die Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Grundschule «keinerlei lebensweltliche Relevanz» für die Kinder. Würde man solche Inhalte zugunsten des Wesentlichen reduzieren, sagt er, «hätte es keine zusätzlichen Mathematikstunden gebraucht», dasselbe gelte für Deutsch.
«Wer die Musik so ins Abseits stellt, wird seiner politischen Verantwortung nicht gerecht und versündigt sich an der Zukunft unserer Kinder»
Entsetzen auch beim Deutschen Musikrat über die Entscheidung der bayerischen Staatsregierung. «Musikalische Bildung öffnet Herz und Geist für das Miteinander und für die Auseinandersetzung mit den Ungewissheiten unserer Zeit. Denn Musik erreicht den Menschen in einer beispiellosen Breite und Tiefe – Söder und seine Bildungsministerin offenbar nicht», hatte Generalsekretär Christian Höppner erklärt. «Wer die Musik so ins Abseits stellt, wird seiner politischen Verantwortung nicht gerecht und versündigt sich an der Zukunft unserer Kinder.»
Der Musikpädagogik-Professor Daniel Mark Eberhard von der Katholischen Universität (KU) Eichstätt sprach sich dafür aus, Musik fächerübergreifend zu berücksichtigen. «Durch Musik können nicht nur Lernvorgänge in allen Fächern unterstützt, sondern auch außermusikalische Zielsetzungen, etwa im Bereich persönlicher und sozialer Kompetenzen gestärkt werden», heißt es in einer Mitteilung auf der Internet-Seite der KU.
Anders als Söder hatte Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) Abstriche im Fach Religion nicht ausgeschlossen, das in den Klassen drei und vier mit jeweils drei Wochenstunden unterrichtet wird. Doch die CSU erhob sofort Einspruch. In der Folge wurde deshalb beschlossen, bei Kunst, Musik und Werken oder beim Englischunterricht zu kürzen. News4teachers / mit Material der dpa, Titelfoto: , Wikimedia Commons, CC BY 4.0