„Die KMK muss effizienter werden“ – Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot über ihre Ziele als KMK-Präsidentin

11

BERLIN. Fachkräftegewinnung, Digitalisierung, Chancengerechtigkeit: Im Bildungsbereich gibt es derzeit viele Baustellen. Die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Saarlands Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), hat sich vorgenommen, Herausforderungen mutig anzugehen. Und dazu gehört auch, die Arbeit der KMK kritisch zu hinterfragen. Ein Interview über Bildung in Zeiten des Wandels.

Die Saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) hat in diesem Jahr die Präsidentschaft der KMK übernommen. Foto: MBK / Holger Kiefer

News4teachers: Das Motto Ihrer Präsidentschaft lautet „Bildung in Zeiten des Wandels – Transformation mutig gemeinsam gestalten“. Wofür brauchen Sie Mut?

Christine Streichert-Clivot: Mutig zu sein heißt für mich, neue Wege zu denken und nicht immer die gleichen Antworten zu finden. Aber auch, stärker in die KMK zu tragen, was in einem Land gut funktioniert und was nicht. Ich habe lange darüber nachgedacht, unter welches Motto ich die Präsidentschaft stelle und aufgrund der vielen Herausforderungen, die wir uns in diesem Jahr stellen müssen, wollte ich mich nicht auf ein Thema festlegen. Wir beschäftigen uns in diesem Jahr mit der Ausbildung der Fachkräfte, die wir an den Schulen brauchen, die Umsetzung des Startchancenprogramms und der Fortsetzung des Digitalpaktes. Wir tun dies alles, damit junge Menschen in Deutschland ein gutes und zeitgemäßes Bildungsangebot erhalten. Das möchte ich in meiner Amtszeit beherzt angehen.

News4teachers: In einem anderen Interview haben Sie gesagt, dass junge Menschen „Transformationskompetenzen für die Zukunft“ brauchen. Was benötigen wiederum Schulen, damit dieses Ziel erreicht werden kann?

Streichert-Clivot: Unsere Gesellschaft als Ganzes befindet sich mitten in einer tiefgreifenden Transformation. Alle gesellschaftlichen Entwicklungen und auch internationale Krisen und Konflikte spiegeln sich unmittelbar in unseren Bildungseinrichtungen wider. Wie können junge Menschen zu aktiven Gestalter:innen dieser Transformation werden? Sich selbst einzubringen und den Wandel voranzubringen, aktiv und demokratisch mitzugestalten, das sind Kompetenzen, die es heute und in Zukunft braucht. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir nicht zu hohe Erwartungen an die Schulen stellen, die sie nicht erfüllen können.

Nehmen wir das Beispiel Armut: Wenn Kinder von Armut betroffen sind, dann kommen sie mit einem vollgepackten Rucksack an Problemen in die Schule, der sie daran hindert, mit freiem Kopf und klaren Gedanken zu lernen. Das Problem der Armut können Schulen nicht alleine lösen. Armut entsteht ja nicht in der Schule, sondern hat komplexe Ursachen. Daher brauchen wir in der Bildungspolitik hier Bündnispartner. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, bei dem alle an einem Strang ziehen müssen.

News4teachers: Sie haben es bereits angesprochen: Eine der größten Herausforderungen derzeit ist der Fachkräftemangel. Wie genau wollen Sie das Thema Fachkräftegewinnung angehen?

Streichert-Clivot: Starke Kinder erhält man durch starke Lehrerinnen und Lehrer und durch multiprofessionelle Teams. In der ersten KMK-Sitzung im März haben wir uns deshalb mit den Vorschlägen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) zur Lehrkräftegewinnung und -qualifizierung auseinandergesetzt. Zum einen müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir Lehrerinnen und Lehrer gewinnen. Zum anderen geht es jetzt um die Frage, wie wir die Praxis in der ersten Ausbildungsphase stärken können. Das ist ein entscheidender Diskussionspunkt, zu dem Wissenschaft und Politik zum Teil auch unterschiedliche Auffassungen haben. Ich nehme wahr, dass angehende Lehrkräfte in der Ausbildung ein hohes Bedürfnis nach mehr Praxisorientierung haben, um bestens vorbereitet zu sein. Wichtig ist mir, dass die Länder je nach Situation vor Ort handlungsfähig sind, um neue Wege ins Lehramt zu eröffnen.

News4teachers: Eine andere Großbaustelle ist das Thema Digitalpakt. Noch ist unklar, ob es eine Fortsetzung geben wird. Was erwarten Sie vom Bund?

Streichert-Clivot: Ich habe die Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger bisher immer so verstanden, dass sie der Weiterführung des Digitalpakts eine große Bedeutung beimisst. Sie hat im Rahmen der Einigung zum Startchancen-Programm von Bund und Ländern ein deutliches politisches Zeichen für einen Digitalpakt 2.0 gesetzt. Der Digitalpakt ist das Infrastrukturprogramm für die Kommunen und wir haben die Mittel auch in diesem Sinne im Saarland zielgerichtet eingesetzt. Die KMK hat sehr deutlich gemacht, dass wir dieses Programm fortsetzen wollen. Wir sind ja bei der Digitalisierung jetzt auf einem sehr guten Weg. Aber Digitalisierung ist eine Daueraufgabe und hier hat der Bund meines Erachtens auch den Auftrag, für gleiche Lebensverhältnisse zu sorgen und dafür Sorge zu tragen, dass sich die Kommunen bedeutsame Zukunftsinvestitionen auch in Zukunft weiter leisten können.

News4teachers: Die Finanzierung des Startchancenprogramms ist hingegen geklärt. Schon im nächsten Schuljahr sollen rund 4.000 Schulen in schwieriger sozialer Lage finanziell unterstützt werden. Ist dieser Zeitplan weiterhin realistisch?

Streichert-Clivot: Der Zeitplan ist sehr ambitioniert. Aber wir müssen, auch im Interesse von Kindern und Jugendlichen, die sich in sozial herausfordernder Lage befinden, gute Lösungen für unsere Schulen auf den Weg bringen. Im Saarland werden rund 50 Schulen von dem Programm profitieren. Welche Schulen das konkret sein werden, wird nun anhand der Benachteiligungsdimensionen Armut und Migration ausgewählt. Da insbesondere in den ersten Schuljahren die entscheidenden Weichen für den Bildungserfolg gestellt werden, sollen rund 30 Schulen aus dem Primarbereich mit dem Startchancen-Programm gefördert werden. Bis zum Start des Programms im Schuljahr 2024/2025 müssen die in Frage kommenden Schulen ausgesucht, Förderrichtlinien erstellt und eine Bund-Länder-Vereinbarung getroffen werden. Wichtig ist, dass wir dabei eng mit der kommunalen Seite als Schulträger arbeiten. Wir setzen alles daran, das Startchancen-Programm zum nächsten Schuljahr an den Start zu bringen.

Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir nicht zu hohe Erwartungen an die Schulen stellen, die sie nicht erfüllen können.

News4teachers: Da sind wir auch schon beim Thema Chancenungleichheit. Die jüngst Pisa-Studie hat mal wieder angeprangert, dass im deutschen Bildungssystem die soziale Herkunft stark über den Bildungserfolg bestimmt. Wie kann das geändert werden?

Streichert-Clivot: Die Ergebnisse der Pisa-Studie waren nicht überraschend, aber sie wühlen mich immer noch sehr auf. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist für mich auch ein Anlass zu fragen: Wie stellen wir unsere Schulen auf, damit dieser Zusammenhang nachhaltig und effektiv reduziert werden kann. Das sind keine Aufgaben, die die Lehrkräfte alleine bewältigen können. Es braucht Kooperation und Miteinander, Veränderung in den pädagogischen Ansätzen. Wir müssen anerkennen, dass die Schulen je nach Lage unterschiedliche Bedürfnisse haben – und sie entsprechend ihrer Bedarfe ausstatten. Heute ist bei uns im Saarland beispielsweise die Jugendhilfe viel stärker an den Schulen als noch vor zehn oder 15 Jahren und wir haben die Schulsozialarbeit immer weiter ausgebaut – und sogar gesetzlich verankert.

News4teachers: Und eine letzte Frage zur KMK selbst: Eine Unternehmensberatung hat die Kultusministerkonferenz im vergangenen Jahr als zu bürokratisch und ineffektiv beschrieben. Wenn Sie während Ihrer Präsidentschaft Transformationen gestalten wollen, was bedeutet das für die Organisation und die Strukturen der KMK?

Streichert-Clivot: Die KMK muss insgesamt effizienter werden! Das wurde uns mit dem Gutachten von Prognos mitgegeben. Wir haben eine recht unübersichtliche Gremienstruktur und darin sind viele Menschen gebunden. Wir haben Gremien, die parallel an den gleichen Fragestellungen arbeiten. Das verschlingt Zeit und Ressourcen und ist alles andere als effektiv. Mein Ziel ist es, die KMK schneller, agiler und politischer in unseren Entscheidungen zu machen. Daher brauchen wir nicht nur eine Verschlankung der Gremienstruktur, sondern auch eine stärkere strategische Ausrichtung aller Bereiche der KMK (Schule, Hochschule und Kultur) auf die Belange von Kindern und Jugendlichen, Studierenden, Lehrkräften, multiprofessionelle Teams und Hochschulpersonal, sowie Kunst- und Kulturschaffenden. Das ist unser Kerngeschäft – und dem wollen wir auch gerecht werden. Laura Millmann, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.

Jede Menge Papier, wenig Relevanz – Unternehmensberatung durchleuchtet die internen Strukturen der KMK

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

11 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Lera
29 Tage zuvor

Es wird lange dauern, bis ich all die konkreten und innovativen Ideen gedanklich durchdrungen habe.

Allein schon der Hammer mir mehr Sozialpädagogen und multiprofessionelle Teams – einfach nur wow. Sowas hat man in den letzten 15 Jahren wirklich noch nie gehört. Echte Aufbruchsstimmung. Und dann noch die krassen Details, der konkrete Fahrplan, die genaue Finanzierung, die Roadmap: HYPE, Leute!

Hans Malz
28 Tage zuvor
Antwortet  Lera

Aber es wird „agiler“. Damit ist das krasse Buzzword ausgesprochen und alles wird gut.

potschemutschka
11 Tage zuvor
Antwortet  Lera

🙂

vhh
29 Tage zuvor

Ja, wir finden euch auch ganz toll und ein Motto für den Vorsitz ist sicherlich extrem wichtig, darüber muss man schon intensiv nachdenken!
„Bildung in Zeiten des Wandels – Transformation mutig gemeinsam gestalten“
Bildung – man lese die Lehrpläne in der zeitlichen Abfolge, kein weiterer Kommentar nötig
Zeiten des Wandels – bisher, in den letzten Jahrzehnten, hat kein Wandel, mag er gesellschaftlich oder technisch sein, zu echten Reaktionen geführt. Der größte Wandel war im Schulbereich die ‚Kompetenzorientierung‘. Wenn das ein Beispiel für Reaktion auf Zeiten des Wandels ist…
Transformation – s.o., bisher gab es die nicht, wie auch immer die neuen Herausforderungen aussahen
mutig – in der KMK, ja sicher
gemeinsam – ähm….
gestalten – ist nicht das Gleiche wie ’neue Anweisungen von oben umsetzen‘
Man muss unsere Chefs nur reden lassen, dann kann man wenigstens mit dem Text Bulls..t-Bingo spielen.
Die KMK ist ein Teil des Problems. nicht der Lösung.

Der Zauberlehrling
29 Tage zuvor

April, April! Die KMK und effizient.

Inselbegabung
29 Tage zuvor

Die KMK ist doch machtlos. Es wurde schon geschrieben, die hat vor einiger Zeit beschlossen, dass alle Kinder eine Schreibschrift erlernen sollen. Hält sich aber keiner dran. In jeder Klasse hast du Kinder, die keine Schreibschrift schreiben können. Das bestätige ich.

DerechteNorden
28 Tage zuvor

Die KMK kann ich nicht ernst nehmen, denn da sitzen lauter Leute, die kaum Ahnung davon haben, was wirklich an den Schulen in ihren eigenen Bundesländern vor sich geht.
Nach dem, was wir erleben, braucht es gar keine KMK. Das ist mMn eine reine Alibiveranstaltung.

kanndochnichtwahrsein
28 Tage zuvor

„Starke Kinder erhält man durch starke Lehrerinnen und Lehrer…Lehrkräftegewinnung und -qualifizierung…“
Jooo, und was ist mit denen, die schon/noch da sind???
Sollen die bleiben? Oder können die weg?

Wenn sie nicht weg können, wenn man sie noch braucht, damit die KMK wenigstens den Anschein erwecken kann, dass etwas in Schule funktioniert, dann muss man für die, die schon da sind und noch nicht geflohen, endlich etwas tun, damit sie bleiben bzw. bleiben können.

Wer/welcher Anteil von den Kollegen mit längerer Dienstzeit (vielleicht auch von denen mit kürzerer Dienstzeit…) kann sich vorstellen, unter den bisherigen und den für die nächsten Jahre absehbaren Umständen bis zur normalen Altersgrenze zu arbeiten bzw. durchzuhalten – wobei letzteres ja nur eine absplut suboptimale Lösung sein kann, auf die man nicht wirklich „gute“ Schule aufbauen kann…

Wir müssen was machen
28 Tage zuvor

Baustellen bei Lehrkräften:
Es kommen selten neue und die Qualität ist nicht immer vollumfänglich gegeben.
Wie bei der Bah auch, müssen wir mit Lockmitteln entgegenkommen.

Flexible Stundenpläne bzw. Arbeitszeiten, 4-Tage Woche, teilweise homeschooling ab Kl 5
um attraktiv zu bleiben

Ggf. auch Landprämien, Dienstwagen oder anständige Entlohnung bei 5 Tage Woche mit über 39 StundenWochen.

Mondmatt
26 Tage zuvor

Könnte aus jahrelanger, persönlicher Erfahrung von der Effizienz des Ministerium von S-K berichten.
Lasse ich aber besser.
Meine Blutdrucktabletten werden langsam knapp.

WiRi
11 Tage zuvor

Wo bleibt eigentlich die Qualität? Sind uns unsere Kinder, ist und unsere Zukunft so viel wert, dass jede/r Masterstudienabgänger/in ohne fundierte pädagogische Ausbildung auf diese losgelassen wird? Mir schaudert bei dem Gedanken.
Winfried Rindle, Realschulrektor i. R.