KÖLN. Die Schulschließungen während der Corona-Pandemie sowie die übermäßige Nutzung digitaler Medien der Jugendlichen haben entscheidend zu den stark gesunkenen Schülerkompetenzen in Deutschland beigetragen. Dies war vermutet worden – und wird nun durch eine aktuelle Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) bestätigt. Betroffen sind vor allem Kinder mit Migrationshintergrund. Die Rede ist von einer „verheerenden Bilanz“.
Die PISA-Studie hat gezeigt, dass zwischen 2012 und 2022 der Anteil an Schülern, die in Mathematik nicht die geforderten Mindeststandards erreichten, von knapp 18 auf fast 30 Prozent angestiegen ist, während sich der Anteil der Top-Performer von fast 18 auf unter 9 Prozent halbiert hat. Der Rückgang in den Kompetenzen fällt bei den Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund höher aus als bei Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund, vor allem bei denjenigen aus der ersten Zuwanderergeneration. Diese Entwicklung korreliert damit, dass der Anteil der 15-jährigen mit Zuwanderungshintergrund von knapp 26 Prozent 2012 auf fast 39 Prozent 2022 angestiegen ist.
Die Bildungsforscher des IW haben nun die neusten PISA-Ergebnisse sowie weitere internationale Studien ausgewertet und wichtige Einflussfaktoren auf die PISA-Ergebnisse untersucht.
Ein zentraler Treiber für den Negativtrend waren Schulschließungen während der Corona-Pandemie. Besonders Kinder aus bildungsfernen Schichten hatten weniger Unterstützung durch die Eltern, konnten dem Fernunterricht schlechter folgen und wurden in geringerem Maße von den Schulen unterstützt. Negativ beeinflusst werden die PISA-Ergebnisse außerdem, wenn die Kinder und Jugendlichen sehr viele Stunden am Tag mit digitalen Medien wie Videospielen oder sozialen Netzwerken verbringen. Entsprechend weniger Zeit steht dann für andere Aktivitäten wie Schulaufgaben, Lesen oder Sport zur Verfügung.
Ein weiterer wesentlicher Grund für das sinkende Bildungsniveau sind die fehlenden Deutschkenntnisse bei immer mehr Kindern aus Zuwandererfamilien. Der Anteil der zugewanderten Jugendlichen, bei denen zu Hause Deutsch gesprochen wird, ist laut PISA von 72 Prozent im Jahr 2012 auf unter 52 Prozent im Jahr 2022 gesunken. Bei den Schülerinnen und Schülern der ersten Zuwanderergeneration wird sogar nur noch zu knapp 13 Prozent zu Hause Deutsch gesprochen.
Die Analyse zeigt, dass die fehlenden Sprachkenntnisse auch die Ergebnisse dieser Gruppe im PISA-Test beeinflussen. Solche familiär benachteiligten Jugendlichen wurden von coronabedingten Schulschließungen besonders stark getroffen.
So heißt es in dem Papier: „Insgesamt kann gezeigt werden, dass während der Corona-Pandemie Leistungsdefizite insbesondere bei Kindern aus sozio-ökonomisch benachteiligten Haushalten und bei Kindern mit Migrationshintergrund, die zu Haus nicht die deutsche Sprache sprechen, entstanden sind. Diese gilt es schnellstmöglich auszugleichen, da Bildung ein kumulativer Prozess ist und Lerndefizite sich im Laufe der Zeit verfestigen können.”
Daher sollten den Autor*innen zufolge Maßnahmen ergriffen werden, um die Lernlücken zu reduzieren und den Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischer Herkunft und Bildungserfolg zu verringern und damit die Startchancengerechtigkeit zu erhöhen – nämlich: „Förderprogramme, um die Corona-Lernlücken zu verringern, die Qualität in Kindertageseinrichtungen und bei den Ganztagsangeboten zu erhöhen, mehr multiprofessionelle Teams einzusetzen, die Elternpartnerschaften und Familienzentren auszubauen, mehr Mentoring-Programme aufzulegen, die Bildungsangebote stärker nach einem Sozialindex finanziell auszustatten, wie es im Rahmen des Startchancenprogramms geplant ist.”
Thorsten Alsleben, INSM-Geschäftsführer, kommentiert: „Die Bilanz der Corona-Politik für Kinder und Jugendliche ist verheerend: Sie hat den seit Jahren zu beobachtenden Trend des sinkenden Bildungsniveaus verstärkt und dabei Kinder aus bildungsfernen Schichten noch weiter benachteiligt.“ Alsleben fordert eine „Zeitenwende in der Bildungspolitik“.
„Wenn wir nicht vor Beginn der Schullaufbahn die Chancen der Kinder angleichen, werden sie ihr ganzes Leben benachteiligt sein“
Hilfreich wäre „gerade mit Blick auf die frappierend schlechten Zahlen unter Kindern mit Migrationshintergrund deswegen verpflichtende Sprachstandstests für alle Vierjährige und bei denen, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, ein verpflichtendes Vorschuljahr“. Alsleben: „Wenn wir nicht vor Beginn der Schullaufbahn die Chancen der Kinder angleichen, werden sie ihr ganzes Leben benachteiligt sein. Die Kosten werden später um ein Vielfaches höher sein.“
Deutschland, so Alsleben, verliere in vielen Bereichen den Anschluss an die Weltspitze, seit einigen Jahren auch in der Bildungspolitik. Alsleben: „Bildung ist der Schlüssel, um Deutschland aus der Abwärtsspirale zu holen. Bund und Länder müssen jetzt handeln und vor allem in frühkindliche Bildung investieren.“
Axel Plünnecke, Bildungsexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft, betont: „Die Ungleichheit der Bildungschancen ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Auf Basis von flächendeckenden Vergleichsarbeiten sollten die entstandenen Lücken identifiziert und mit gezielten Fördermaßnahmen geschlossen werden. Gleichzeitig sollten die Teilhabechancen für alle Kinder an digitaler Bildung gesichert werden.“ News4teachers
Hier geht es zu der vollständigen Analyse.
Neuer Pisa-Schock: Deutschlands Schüler schneiden so schlecht ab wie nie
