VECHTA. Kinder entwickeln erstaunliche wissenschaftliche Denkfähigkeiten schon ab sechs Jahren. Eltern beeinflussen diese Entwicklung erheblich.
Wissenschaftliches Denken, also systematisch und logisch vorzugehen, Hypothesen zu formulieren und zu testen sowie Schlussfolgerungen auf Basis von Beobachtungen und Beweisen zu ziehen, prägt moderne Gesellschaften und wird zusehends wichtiger, sich darin zurechtzufinden. Schon Sechsjährige sind zu erstaunlichen, wissenschaftlichen Denkleistungen fähig. Wenn Kinder beispielsweise experimentieren, Daten interpretieren oder wissenschaftliche Fragen beantworten, zeigen sie häufig Herangehensweisen, die wissenschaftlichem Denken zugeschrieben sind.
„Während bestimmte Kinder allerdings schon früh geschickt darin sind, sinnvolle Experimente durchzuführen, Muster in Daten zu deuten oder wissenschaftliche Fragen zu erkennen, offenbaren andere Kinder ein begrenztes Verständnis in diesen Bereichen“, stellt Christopher Osterhaus von der Universität Vechta fest. In einer aktuellen Studie hat Osterhaus gemeinsam mit seiner Kollegin Susanne Koerber von der Pädagogischen Hochschule Freiburg untersucht, wie stark Eltern das wissenschaftliche Denken ihrer Kinder beeinflussen.
Über einen Zeitraum von fünf Jahren untersuchten Osterhaus und Koerber dazu 161 Grundschulkinder im Alter von 6 bis 10 Jahren. Jährlich testeten sie die Kinder auf ihre wissenschaftlichen Denkfähigkeiten sowie ihre Sprachkompetenz und Intelligenz. Gleichzeitig erfassten sie zentrale Merkmale der Familien, wie das Bildungsniveau der Erziehungsberechtigten, ihren sozioökonomischen Status sowie relevante Überzeugungen und Einstellungen. Dabei stellte sich heraus, dass „erkenntnistheoretische“ Vorstellungen der Eltern über Wissen – was sie beispielsweise von Wissenschaft halten und was ein Mensch ihrer Meinung nach überhaupt wissen kann – sich darauf auswirken, wie gut ihre Kinder wissenschaftlich denken. Und dies galt Osterhaus und Koerber zufolge auch, wenn die Einflussfaktoren Bildung der Eltern und die kognitiven Fähigkeiten der Kinder herausgerechnet wurden.
Schule gleicht Elternhaus weniger aus als gedacht
„Was uns wirklich überrascht hat“, so Osterhaus, „war die langanhaltende Wirkung der elterlichen Einstellungen. Kinder, deren Eltern ein Verständnis davon hatten, dass sich Wissen ändern kann und dass es abhängig ist von sozialen und kulturellen Bedingungen, waren nicht nur vor Eintritt in die Schule besser, sondern zeigten über den gesamten Zeitraum der Studie eine bessere Entwicklung beim wissenschaftlichen Denken im Vergleich zu ihren Altersgenossen aus Familien mit weniger unterstützenden Einstellungen.“
Dies deute darauf hin, dass die Schule nicht in dem Maße ausgleichend zum Elternhaus wirkt, wie allgemein angenommen wird. „Die Effekte der elterlichen Einstellungen auf das wissenschaftliche Denken werden durch schulische Einflüsse nicht vollständig ausgeglichen.“
Förderprogramme und Bildung zuhause verbessern
Osterhaus sieht eine große Bedeutung der Ergebnisse besonders für Eltern und Erziehungsberechtigte. Die Studie zeige deutlich, dass es nicht allein darum gehe, was Kinder in der Schule lernen. Ein unterstützendes Umfeld könnte so besonders beim wissenschaftlichen Denken entscheidend sein, indem es das wissenschaftliche Entdecken zu Hause fördert und somit die wissenschaftlichen Denkfähigkeiten der Kinder erheblich stärkt. Je bewusster sich Eltern und Betreuende über ihren jeweiligen Einfluss seien, umso besser könnten sie aktiv zur Entwicklung ihres Kindes beitragen.
„Wir möchten mit unserer Forschung Gespräche über den Wert eines unterstützenden Umfelds für die forschende Haltung von Kindern zu Hause anregen“, so Osterhaus. „Dieser Dialog kann Eltern dazu befähigen, eine aktivere Rolle bei der Förderung der Neugier, des kritischen Denkens und der Problemlösungsfähigkeiten ihrer Kinder zu spielen, was letztendlich eine solide Grundlage für lebenslanges Lernen und Erfolg im 21. Jahrhundert schafft.“
Langfristig ziele diese Forschung darauf ab, Bildungspraktiken und Förderprogramme zu optimieren, die die wissenschaftlichen Denkfähigkeiten von Kindern stärken sollen. Um zu erforschen, ob die Ergebnisse auch auf andere kulturelle und sozioökonomische Kontexte übertragbar sind, plant Osterhaus in Zusammenarbeit mit der Universität Kagoshima eine Studie mit japanischen Grundschulkindern. (pm)
Kinder können schon früh wissenschaftlich denken (wenn sie dabei gefördert werden)
