SPD: Zu wenig Teilhabe für Menschen mit Behinderung (auch in Schulen)

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DÜSSELDORF. Für Menschen mit Behinderung ist Gleichberechtigung in vielen Bereichen noch in weiter Ferne. In Schulen und auf dem Arbeitsmarkt sind die Defizite spürbar – wie die SPD beklagt.

Kein Zweifel: Es hakt bei der praktischen Umsetzung der Inklusion. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Die SPD-Opposition sieht in Nordrhein-Westfalen große Defizite auf dem Weg zur gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Vor allem im Bildungsbereich zeige sich, dass Schüler und Schülerinnen mit Handicap nicht dieselben Chancen hätten wie andere, sagte die Inklusionsbeauftragte der SPD-Landtagsfraktion, Silvia Gosewinkel.

Grundlage ist eine Antwort der Landesregierung auf eine große Anfrage mit mehr als 200 Fragen zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen in NRW. Gosewinkel und die SPD-Gleichstellungssprecherin Anja Butschkau kritisierten zudem geplante Kürzungen im Bereich der Inklusion um mindestens fünf Millionen Euro im Haushaltsentwurf der Landesregierung für 2025. Diese träfen besonders Arbeitsmarktmaßnahmen. Die Landesregierung müsse den inklusiven Arbeitsmarkt und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung an Lohn und Arbeit endlich wirksam voranbringen. «Ein Sparen bei den Schwächsten unserer Gesellschaft muss unbedingt verhindert werden.»

Fast jeder Fünfte ohne Schulabschluss

Die Zahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist demnach in den vergangenen vier Jahren um gut sechs Prozent auf fast 161.000 gestiegen. Davon wurden im vergangenen Schuljahr fast 69.600 an allgemeinen Schulen unterrichtet. Fast jeder fünfte Schüler mit Behinderung habe die Schule ohne Abschluss verlassen. Nur etwas über ein Prozent hätten das Abitur geschafft. In Zahlen waren das 198 Schülerinnen und Schüler.

Etwa 2.150 sonderpädagogische Fachkräftestellen seien unbesetzt. Der Fachkräftemangel sei hier mit etwa 8,5 Prozent etwas größer als der allgemeine Lehrermangel in NRW. Die große Anfrage zeige auch, dass viele Sonderpädagogen in absehbarer Zeit in Rente gingen. Im offenen Ganztag (OGS) müsse es ebenfalls therapeutische Möglichkeiten für Kinder wie Ergo- und Physiotherapie geben, forderte die SPD. Aktuell seien solche Angebote aber nur an Förderschulen im Ganztagsbetrieb verfügbar.

Nach Ansicht der SPD finden die sogenannten Schuleingangsuntersuchungen zu spät statt. Kinder müssten schon früher, mit viereinhalb Jahren, auf ihren Entwicklungsstand untersucht werden. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) hatte zu Schuljahresbeginn angekündigt, dass Kinder künftig früher als bisher standardisiert auf ihre Kompetenzen sowie den Förderbedarf getestet werden sollen. Darüber hinaus müsse über ein weiteres Screening für noch jüngere Kinder nachgedacht werden.

Gewalt gegen Menschen mit Behinderung

Menschen mit Behinderung müssen nach Ansicht der SPD besser vor Gewalt geschützt werden. Rund 1.100 Menschen mit Behinderung seien 2023 Opfer einer Gewaltstraftat geworden. Opfer seien etwa je zur Hälfte Frauen und Männer. Es gebe aber keine Erkenntnisse über das Dunkelfeld. Frauenhäuser müssten barrierefrei ausgebaut werden.

In NRW leben rund 2,3 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung. Das sind etwa 12,7 Prozent der Bevölkerung. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Handicap in NRW ist mit 13,8 Prozent doppelt so hoch wie die Quote insgesamt. Nur wenige schaffen den Sprung aus Behindertenwerkstätten auf den ersten Arbeitsmarkt. News4teachers / mit Material der dpa

Kein Grund zum Feiern: Seit zehn Jahren herrscht Stillstand bei der Inklusion (wie das Beispiel Sachsen-Anhalt zeigt)

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RainerZufall
1 Jahr zuvor

Was die Teilhabe betrifft wundere ich mich nicht allzu sehr. Die Inklusion selbst wird von nicht wenigen immer noch als optional dargestellt.

Aber bei der Gewalt… Wer sich wirklich gruseln will, wollte die Statistik zu sexuellen Übergriffen bei Kindern mit Behinderung lesen.
Es lässt mich ehrlichgesagt ein wenig verzweifeln, wie ich dies mit meinen Schüler*innen besprechen kann

Unfassbar
1 Jahr zuvor
Antwortet  RainerZufall

Von mir wird die Inklusion auch nicht als ideal dargestellt. Jede Art von zieldifferenter Beschulung in derselben Klasse ist für mich per def nicht inklusiv und je älter die Schüler sind, desto weniger.

Adele Horn
1 Jahr zuvor

Kann man den Prozentsatz an der Bevölkerung behinderungsspezifisch weiter aufschlüsseln? Also wiederum in Prozent, wieviele Gehörlose, wieviele Blinde, wieviele Querschnittsgelähmte, wieviele geistig Behinderte, usw. sich unter diesen 12,7% befinden? Evlt. sogar Mehrfachbehinderungen?

Denn Teilhabe setzt ja voraus, dass man erst einmal weiß, wer bzw. wieviele überhaupt was genau an Förderung und Assistenz benötigen (werden), um die passenden Strukturen zu schaffen. Ob nun im Beruf, in den Frauenhäusern oder sonstwo.

(Ich erinnere mich, dass die Stadt Dortmund vor ca. 30 Jahren in der Nähe des Rathauses einen recht großen Blindengarten angelegt hat. Der hatte nicht nur viele besonders intensiv duftende Pflanzen, sondern dessen Wege hatten auch unterschiedlichste Beläge: Pflastersteine, grober Kies, feiner Kies, Mulch, … War haptisch für die Blinden eine tolle Idee. Aber Rollstuhlfahrer kamen da kaum durch. Tja.)

Rainer Zufall
1 Jahr zuvor
Antwortet  Adele Horn

Schade, dass es nicht rollstuhlgerecht war, aber die Idee finde ich wunderbar 🙂

Adele Horn
1 Jahr zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Der Garten war auch tatsächlich ziemlich cool. Mit Metallschildern, auf denen in Braille Beschreibungen zu den Pflanzen standen. Viele dieser Pflanzen fühlten sich auch selbst interessant oder lustig an, waren besonders flauschig oder hatten eine spezielle Blattstruktur.

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  Adele Horn

“Der Garten war …” – Warum die Vergangenheitsform? Was ist damit passiert?

pfk
1 Jahr zuvor
Antwortet  Adele Horn

Es werden dazu nur wenige Zahlen erhoben und veröffentlicht
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/07/PD24_281_227.html

Aus guten Gründen. – Die einem Teil der Diskussion, eigentlich einer gerechten Bedarfsmessung und dem QM, widersprechen. – Aber eben aus Gründen, vor allem (aber nicht nur) wegen solcher Leute mit Reiterhosen aber ohne Pferd z.B. Siehe hier: https://encyclopedia.ushmm.org/content/de/article/euthanasia-program
Großes Stichwort T4
Und die Spezialvariante für Kinder: https://www.sciencespo.fr/mass-violence-war-massacre-resistance/fr/document/die-vernichtung-von-psychisch-kranken-und-geistig-behinderten-menschen-unter-nationalsozial.html

Vor allem, was würde passieren, wenn solche Zahlen den Harten aus dem Weidel-Höck`schen Garten mit Storch im Gau-Land Ekelhafdingens in die Hände fallen?

Sagenhaft schwieriges Thema. Kommt darauf an, wer darüber nachdenkt und was für Schlüsse gezogen werden und wer für wen und wie. Was werden uns z.B. die KM der letzten drei Landtagswahlen uns anderorts servieren?

Marie
1 Jahr zuvor

Und wieder gibt es beim Thema Behinderung das typische Bild eines lächelnden Rollifahrers.

Lisa
1 Jahr zuvor

Die Illustration ist nicht umfassend. Die nette und normal intelligente Rollstuhlfahrerin ist nämlich, sobald einige baulichen Veränderungen durch sind, schnell zu inkluieren. Bitte ein Bild von einem anonymisierten Kind, das nur noch halb bekleidet unterm Tisch sitzt, kreischt und alles Greifbare nach den Umherstehenden wirft.
Der GdB über 50, der eine Schwerbehinderung definiert, sagt darüber auch wenig aus, weil da alle Behinderungen zusammengefasst werden. Auch ein Migräniker, ein Rückenpatient beispielsweise kann ihn haben.

Adele Horn
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lisa

Das stimmt allerdings. Ich kenne jemanden, der diesen Status seit der Entfernung seiner Hypophyse hat. Würde man ihm im Leben nicht anmerken, wenn man nicht wüsste, wie heftig seine Medikation ausfällt.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lisa

Dann ist aber nicht klar, dass ein behindertes Kind gemeint ist 🙂

Rainer Zufall
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lisa

Was ist für Sie “normal intelligent”? Realschulabschluss wahrscheinlich, immerhin streben Förderschulen für lernbehinderte Kinder den Hauptsschulabschluss an …

Persönlich erlebte ich schon ein voll entkleidetes Kind (ihm war langweilig), aber da könnten sich auch alle beschweren, dass diese die Mehrheit (wer auch immer das ist) nicht repräsentiert.
Bei Gymnasien fordern wir ja auch keine Bilder von Schüler*innen, die am Stress zerbrechen, Drogen nehmen und im Internet den nächsten Amoklauf googlen =/
(Ich überspitze hier kleinere Gruppen als Repräsentant*innen des Ganzen, ich möchte hier NICHT Menschen mit geistiger Behinderung gleichsetzen mit Menschen die seelisch krank sind!)

Kritischer Dad*NRW
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lisa

Die Berücksichtigung der “Schwerbehinderung” beginnt bei 30 als GdB. mittels Gleichstellung.

Realist
1 Jahr zuvor

Die SPD-Opposition…”

Tipp an die SPD-Opposition: Dort wo man nicht Opposition ist, einfach einmal machen. Dann klappt’s auch wieder bei den Wahlen…

Hans Malz
1 Jahr zuvor

Ich bin froh, dass die SPD in NRW mit Einführung der Inklusion die Voraussetzungen für ein Gelingen in den Schulen geschaffen hat. Davon zehren wir noch heute. Danke!

Realist
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hans Malz

Sarkasmus immer kennzeichnen!