STUTTGART. Schülerinnen und Schüler sind zunehmend unzufrieden mit der Demokratie in Deutschland. Das geht aus einer Studie im Auftrag des baden-württembergischen Kultusministeriums unter Neuntklässlern in dem Bundesland hervor. Demnach sagten nicht einmal ein Drittel aller Befragten (27 Prozent), sie seien zufrieden mit der Demokratie. Zwei Jahre zuvor hatte sich noch fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent) zufrieden oder sehr zufrieden mit der Demokratie hierzulande gezeigt. Auch das Vertrauen in Politikerinnen und Politiker ging zurück.
Für die repräsentative Untersuchung befragten Forscher der Universität Stuttgart gut 2.000 Neuntklässlerinnen und Neuntklässler aller Schularten in Baden-Württemberg, mit Ausnahme der Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren. Die Befragung fand zwischen Februar und Mai 2024 statt und wurde mit einem Online-Fragebogen durchgeführt. Unter der befragten Schülerschaft haben knapp 44 Prozent einen Zuwanderungshintergrund.
Der Studie zufolge genießt die demokratische Staatsform zwar nach wie vor einen großen Rückhalt der Jugendlichen, zugleich steigt die Sympathie für autokratische Regierungsformen oder Expertenregierungen. So bezeichneten 87 Prozent der Schülerinnen und Schüler ein demokratisches politisches System als gut oder sehr gut. 42 Prozent zeigten aber auch Sympathie für einen starken Staatschef, der sich nicht um ein Parlament oder um Wahlen kümmern muss. Zwei Jahre zuvor hatte dieser Wert noch bei 30 Prozent gelegen. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) fände es gut oder sehr gut, wenn anstelle einer Regierung Expertinnen oder Experten entschieden, was das Beste für das Land sei.
„Bei den Bewertungen der Regierungsformen kann ein Bildungseffekt beobachtet werden“, so stellen die Autorinnen und Autoren der Studie fest: Gymnasiasten und Gymnasiastinnen lehnen den „starken Staatschef“ häufiger ab. 64 Prozent bezeichneten diesen als sehr schlecht oder schlecht – in der Vergleichsstudie 2022 lag dieser Wert noch bei 80 Prozent. Bei Schülerinnen und Schülern, die eine Haupt- und Werkrealschule besuchen, liegt dieser Wert lediglich bei 34 Prozent – 2022 waren es noch 60 Prozent, die den „starken Staatschef“ als sehr schlecht oder schlecht taxierten.
Das Interesse an Politik ist unter Schülerinnen und Schülern mäßig ausgeprägt – Tendenz sogar noch sinkend
Die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler wünschen sich der Studie zufolge aber auch – ein Widerspruch? – mehr direkte Einflussmöglichkeiten auf die Politik. 78 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass die Bürgerinnen und Bürger regelmäßig nach ihrer Meinung gefragt werden. 2022 hatte dieser Wert noch bei 65 Prozent gelegen. Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sind hier die stärksten Befürworterinnen und Befürworter direkter Mitsprache der Bevölkerung (über 80 Prozent), während lediglich 46 Prozent der Schülerinnen und Schülern der Haupt- und Werkrealschulen dies ausdrücklich begrüßen.
Gleichzeitig allerdings ist das Interesse an Politik mäßig ausgeprägt – Tendenz sogar noch sinkend: Wie schon bei der Jugendstudie 2022 zeigt die aktuelle Jugendstudie im Allgemeinen ein mittleres bis geringes Interesse an Politik. Als „mittel“ bezeichneten 39 Prozent der Befragten ihr Interesse, nur 14 Prozent gaben an, sich stark oder sehr stark zu interessieren. Insgesamt 47 Prozent gaben an, sich wenig bis überhaupt nicht für Politik zu interessieren. 2022 hatten sich noch 20 Prozent stark oder sehr stark für Politik interessiert haben und nur 39 Prozent wenig bis gar nicht.
Auch dabei gibt es Unterschiede zwischen den Schularten: Bei den Schülerinnen und Schülern, die eine Hauptschule oder Werkrealschule besuchen, gaben nun rund 55 Prozent an, sich wenig oder überhaupt nicht für Politik zu interessieren. Lediglich knapp acht Prozent meinten, sich sehr stark oder stark für Politik zu interessieren. Bei Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ist das Interesse deutlich höher: 18 Prozent interessieren sich sehr stark oder stark für Politik, während sich rund 38 Prozent wenig oder überhaupt nicht für Politik interessieren.
Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper sprach von „beunruhigenden Entwicklungen“. Man wolle diesen etwa mit einem Ausbau der Jugendbeteiligung entgegnen, so die Grünen-Politikerin. Mit Jugendkonferenzen wolle man junge Menschen aktiv in den Meinungsbildungsprozess einbeziehen. „So erfahren sie nicht nur passiv, was Demokratie heißt, sondern gestalten sie aktiv mit“, sagte Schopper.
Weitere Ergebnisse:
- Mehr Jugendliche haben Sorgen als 2022. Am häufigsten wurden große oder sehr große Sorgen bezüglich steigender Preise (64 Prozent) sowie Krieg und Terror (61 Prozent) genannt. „Dies zeigt, dass aktuelle politische Themen einen großen Einfluss auf die Jugendlichen haben“, schlussfolgern die Autorinnen und Autoren.
- Trotz des medial präsenten Fachkräftemangels besteht bei vielen auch die Sorge, keine Arbeit zu finden. Diesbezüglich machen sich 26 Prozent sehr große, 23 Prozent große Sorgen. Befragte mit Zuwanderungshintergrund machen sich darüber deutlich mehr Sorgen (Mittelwert 3,6 vs. 3,1). „Dass diese Sorgen berechtigt sind, zeigen auch Studien zu Berufseinmündungsprozessen und der Benachteiligung von zugewanderten Personen“, so schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
- Etwa 80 Prozent der Jugendlichen hatten innerhalb der letzten Woche mindestens manchmal das Gefühl, dass alles, was sie tun, anstrengend ist; 25 Prozent sogar meistens, 14 Prozent fast immer und 10 Prozent immer, nur 5 Prozent hatten das Gefühl nicht. Der Mittelwert, der Werte zwischen 1 und 6 annehmen kann, liegt hier mit 3,5 bei den Belastungen am höchsten (ein Wert von 1 entspricht „nie“, der Wert 6 „immer“).
- Als zweithäufigste Belastung wird unruhiger Schlaf angegeben (Mittelwert 3,3). Über 80 Prozent der Jugendlichen hatten in der Woche vor dem Befragungszeitpunkt unruhig geschlafen; rund 67 Prozent mindestens manchmal, nur 16 Prozent gaben an, dass dies bei ihnen nie der Fall war.
- Aber auch positive Gefühle waren zu finden: In der Woche vor der Befragung haben sich 96 Prozent glücklich gefühlt und fast ebenso viele das Leben genossen. Für 27 Prozent bzw. 33 Prozent war dies nach eigenen Angaben „immer“ oder „fast immer“ der Fall, für 13 Prozent bzw. 15 Prozent jedoch „nie“ oder „fast nie“. Der Mittelwert liegt hier bei 3,8 für glücklich sein und 3,9 für das Leben genießen.
„Auch wenn diese Durchschnittswerte die höchsten sind und damit zeigen, dass positive Emotionen häufiger sind als Belastungen, so sind die Unterschiede im Mittel doch besorgniserregend klein“, so stellen die Forscherinnen und Forscher fest. News4teachers / mit Material der dpa
Hier lässt sich die vollständige Jugendstudie herunterladen.
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