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Lehrermangel ade? Geburtenrate bricht ein – den Kitas und Grundschulen gehen (absehbar) die Kinder aus

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BERLIN. Von einem Notstand in den Überfluss? Jahrelang galt der Lehrkräftemangel als eines der drängendsten Probleme im Bildungssystem. Doch aktuelle Daten aus Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen lassen aufhorchen: Die Zahl der Kinder sinkt schneller als gedacht – und mit ihr perspektivisch auch der Bedarf an Lehrkräften in Deutschland. Könnte sich die Situation also bald grundlegend wandeln?

Bald Mangelware? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Deutlich zeigt sich der Wandel in Mecklenburg-Vorpommern: Wie die Landesregierung auf eine Parlamentarische Anfrage hin mitteilte, wird die Zahl der Schüler dort in den kommenden Jahren drastisch zurückgehen. Von derzeit rund 164.000 Kindern und Jugendlichen an allgemeinbildenden Schulen werden im Schuljahr 2040/41 voraussichtlich nur noch 128.400 übrig bleiben – ein Rückgang um fast 22 Prozent.

In den Grundschulen macht sich dieser Trend bereits bemerkbar: Von 14.616 Einschulungen im Sommer 2023 sollen es im Tiefpunktjahr 2030 nur noch 10.390 sein. Um kurzfristig trotzdem Unterrichtsausfälle zu verhindern, will das Land nun Grundschullehrkräfte in den weiterführenden Schulen der Klassen fünf und sechs einsetzen. „Bis zum Ende des Jahrzehntes wird ein sehr hoher Anteil an Lehrkräften aus der sogenannten Boomer-Generation den Schuldienst altersbedingt verlassen“, heißt es aus dem Bildungsministerium.

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Auch in Thüringen zeigt sich, wie stark die demografische Entwicklung das Bildungssystem verändert. Kitas werden geschlossen, Stellen gestrichen oder auf Teilzeit umgestellt. So plant etwa Weimar den Abbau von 500 Kita-Plätzen, im Altenburger Land schließen gleich drei Einrichtungen, und der Saale-Holzland-Kreis erwartet bis 2026 rund 1.000 freie Plätze.

„Ja, Ostdeutschland hat ein Demografieproblem“, sagt Bildungsminister Christian Tischner. Die Gründe reichen bis in die Nachwendezeit zurück, als viele junge Menschen abwanderten oder sich aufgrund wirtschaftlicher Unsicherheit gegen Kinder entschieden. Zwar hatte der Landtag mit einem verbesserten Personalschlüssel gegensteuern wollen, doch inzwischen stellt sich die Frage: Wird bald zu viel pädagogisches Personal da sein?

„Schon in fünf Jahren wird es sechs Prozent weniger Grundschüler in Deutschland geben – bis 2035 sogar rund 16 Prozent weniger“

Was in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen beginnt, ist kein regionales Phänomen. Laut Prof. Klaus Klemm, Bildungsforscher und langjähriger Berater von Bildungsinstitutionen, wird es bis 2035 bundesweit rund ein Sechstel weniger Grundschüler geben als heute. „Schon in fünf Jahren wird es sechs Prozent weniger Grundschüler in Deutschland geben – bis 2035 sogar rund 16 Prozent weniger“, prognostiziert Klemm einem Bericht des „Handelsblatts” zufolge.

Der Grund: Seit 2022 ist die Geburtenrate in Deutschland deutlich eingebrochen – von 795.000 Geburten im Jahr 2021 auf schätzungsweise 674.000 im Jahr 2024. Die Gruppe der Kleinkinder zwischen null und drei Jahren schrumpft laut Klemm bis 2035 um 500.000 auf dann noch 1,72 Millionen. Die Zahl der Kita-Kinder im Alter von drei bis unter sechs Jahren sinkt um 530.000 auf 1,84 Millionen.

Noch nie ist die Geburtenrate hierzulande in einem derart kurzen Zeitraum so schnell zurückgegangen wie in den vergangenen Jahre. Das hat vor allem einen Grund: Etliche Paare stellen laut einer Umfrage Kinderwünsche zurück – aufgrund mangelnder Betreuungsmöglichkeiten.

In der jüngsten Ausgabe einer jährlichen Yougov-Studie des Versicherers HDI erklärte ein Fünftel der bundesweit befragten Männer und Frauen, dass sie deswegen den Kinderwunsch allgemein oder den Wunsch nach weiteren Kindern hintenan gestellt hätten. Die Unzufriedenheit mit der Kinderbetreuung ist demnach hoch: Knapp die Hälfte (49 Prozent) der befragten Eltern hält demnach das Angebot an Kinderbetreuung in Deutschland für «gar nicht» oder «weniger» gut.

Deutlich wird auch, dass viele der Väter und Mütter Kinder zunehmend als Karrierenachteil empfinden: 43 Prozent sagten, dass in ihrem jeweiligen Unternehmen Beschäftigte, die sich um ihre Kinder kümmern müssten, schlechtere Aufstiegschancen hätten. Darüber hinaus beklagten 44 Prozent, dass sich ihr Arbeitgeber nicht ausreichend um Kinderbetreuung für die Belegschaft kümmere. Und gut vier von zehn befragten Eltern sagten auch, dass sie gern länger arbeiten würden, wenn es die entsprechende Kinderbetreuung gäbe.

Die Krisen tun ihr Übriges. „Der Krieg in der Ukraine, die gestiegene Inflation oder auch der fortschreitende Klimawandel haben die Menschen zusätzlich zur Pandemie verunsichert. In einer solchen Zeit multipler Krisen setzen viele ihren Kinderwunsch nicht um“, vermutet Prof. Dr. Martin Bujard, Mitverfasser der Studie.

Der Einbruch der Geburtenrate hat auch Folgen für den Schulbetrieb: Eine im vergangenen Jahr vorgelegte Prognose der Bertelsmann-Stiftung geht davon aus, dass bis 2035 rund 45.800 Lehrkräfte im Primarbereich mehr fertig ausgebildet sind als benötigt werden, um den Unterricht abzudecken. Den Berechnungen zufolge dürfte vielerorts bereits ab dem kommenden Schuljahr der lange herrschende Mangel an Grundschullehrerinnen und -lehrern überwunden sein, weil anders als noch 2023 mehr neue Lehrkräfte bereitstehen, als aus dem Beruf ausscheiden.

Mit ihrer Schätzung wich die Bertelsmann-Stiftung deutlich von der Ende 2023 vorgelegten Prognose der Kulturministerkonferenz (KMK) ab, die für das Jahr 2035 einen Überschuss von nur 6300 Absolventen im Primarbereich ermittelt hatte. Hintergrund sei vor allem eine Trendwende bei der demografischen Entwicklung, die sich in den KMK-Berechnungen noch nicht niederschlage: So sei der Rückgang der Geburten 2022 und 2023 um mehr als 100.000 deutlicher ausgefallen als in den statistischen Angaben der Länder vorausberechnet. Auch für die Folgejahre schrieben die Studienautoren der Bertelsmann-Stiftung die nach unten korrigierten Schülerzahlen entsprechend fort.

„Mehr Personal, kleinere Gruppen, mehr Zeit für einzelne Kinder – das war lange eine Utopie. Jetzt wäre es realisierbar. Wenn wir es wollen“

Noch Anfang 2023 hatte eine KMK-Kommission 20 Jahre Lehrermangel prognostiziert – inklusive kontroverser Vorschläge wie Hybridunterricht, größere Klassen oder Mehrarbeit für Lehrkräfte. Diese Perspektive wirkt heute überholt: Die kommenden Jahre werden von Übergangsphasen geprägt sein, in denen starke regionale Unterschiede bestehen. Grundsätzlich gilt: Mit Blick auf die nächsten zehn bis 15 Jahre steht das Bildungssystem offenbar vor einer historischen Chance – der demografische Wandel könnte nicht nur Druck aus dem System nehmen, sondern echte Verbesserungen ermöglichen.

Ein rechnerisches Überangebot an Absolventen bedeute nicht notwendigerweise Arbeitslosigkeit für die Pädagogen, betonen auch die Bertelsmann-Studienautoren Klaus Klemm und Dirk Zorn. Vielmehr bekomme die Politik den Spielraum für Qualitätsverbesserungen, der heute fehle. So könnten die Lehrkräfte für den Ausbau der Ganztagsangebote genutzt werden oder um mehr Personal an Schulen in sozial schwierigen Lagen einzustellen, empfehlen die Experten. Außerdem schlagen sie vor, Grundschullehrer auch für den Einsatz in den fünften und sechsten Klassen weiterzubilden.

Klemm: „Mehr Personal, kleinere Gruppen, mehr Zeit für einzelne Kinder – das war lange eine Utopie. Jetzt wäre es realisierbar. Wenn wir es wollen.“ Aus seiner Sicht eine große Chance: „Wenn weniger Kinder betreut werden müssen, ergeben sich Freiräume für eine bessere individuelle Förderung – und damit die Chance, den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg endlich zu schwächen.“

Niedersachsens Kultusministerium verlautete in dieser Woche: Die Landesregierung werde „ganz sicher nicht mit Blick auf sinkende Geburtenraten die Hände in den Schoß legen“ und darauf warten, dass sich die Lage von allein verbessere. Eine Sprecherin von Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) erklärte, wenn die Zahlen tatsächlich sinken sollten, könne das „ein wenig entspannen, es ist aber sicher kein Grund für Luftsprünge oder Gedanken, bis dahin tatenlos abzuwarten“. Die Bemühungen für eine gute Kita- und Unterrichtsversorgung würden unvermindert fortgesetzt. News4teachers / mit Material der dpa

Studie: Lehrermangel an Grundschulen schneller überwunden als gedacht – wegen Kindermangel

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