Geisterlehrer-Skandal: “Land hat nichts gespart, also kann es Schulen nichts zurückzahlen”

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STUTTGART. Die Panne um die Geisterlehrer ist nicht weniger als ein Skandal. Hintergründe, Folgen, Meinungen – was man zu dem Debakel jetzt wissen muss.

Geld? Welches Geld? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Verbände und Opposition sprechen vom «größten Bildungsskandal seit Jahrzehnten», von einer «Dysfunktionalität im Kernbereich staatlichen Handelns» und vom «bildungspolitischen Super-GAU». Was hinter dem Skandal um Geisterstellen in Baden-Württemberg steckt.

Was genau ist passiert? Wegen einer schweren IT-Panne sind 1.440 Lehrerstellen im Südwesten versehentlich nicht besetzt worden. Grund ist ein IT-Fehler, der bis auf das Jahr 2005 zurückgeht, wie das Kultusministerium und das Finanzministerium eingeräumt hatten (News4teachers berichtete). Der Grund liegt wohl bei der Datenübertragung von einer Software zur anderen vor 20 Jahren. Der Fehler ist über all die Jahre unbemerkt geblieben. Und das, obwohl die Schulen im Südwesten seit vielen Jahren über Personalmangel klagen.

Ist die IT-Panne also die Ursache für den Lehrermangel? Nein (laut Landesregierung), auch wenn etwa FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und Lehrkräfteverbände die Panne bereits als Grund ausmachen für übervolle Klassen und Unterrichtsausfälle der vergangenen Jahre. «Das ist eine absurde Behauptung», entgegnet der Ministeriumssprecher. Man hätte früher gar nicht die Bewerber gehabt, um die Geisterstellen zu besetzen.

Das allerdings ist eine seltsame Begründung: Lehrkräftemangel wurde von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der KMK erst 2023 als Problem auf breiter Front benannt. Bis 2017 wollte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sogar noch massiv Lehrerstellen abbauen, weil es zu viele davon gebe.

Was sind die Konsequenzen aus dem Debakel? Kultusministerium und Finanzministerium bilden mit dem Rechnungshof eine Arbeitsgruppe, um die Ursache des Fehlers zu finden und ein verbessertes Controlling im Bereich der Kultusverwaltung zu ermöglichen. Aber viel wichtiger: Die 1.440 freien Stellen sollen zügig nachbesetzt werden. Gestärkt werden sollen unter anderem die sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ), die Grundschulen und die Krankheitsreserve. Ob alle Stellen belegt werden, ist ungewiss. «Ich bin zuversichtlich, dass wir viele hinkriegen», sagt der Sprecher des Kultusministeriums.

Steht den Schulen im Land also ein Lehrerstellen-Segen bevor? Zu viel Hoffnung sollten sich Eltern und Schüler nicht machen. Denn auch wenn es um viele freie Stellen geht: Bei den 1.440 Stellen handelt es sich gerade mal um 1,5 Prozent des Personalbestands. Insgesamt gibt es 95.000 Stellen im Land, die sich auf 4.500 Schulen verteilen. Selbst wenn es das Kultusministerium schaffen sollte, für jede Stelle einen Bewerber zu finden, dann wäre das gerade mal ein Lehrer für jede dritte Schule. Der Realschullehrerverband spricht von zehn Wochenstunden pro Schule. «Das ist ein minimaler Effekt, da kommt nicht der große Regen», dämpft das Ministerium schon mal die Erwartungen.

Gibt es überhaupt genug Bewerber? Das ist ungewiss. Aber die Bewerberlage sei besser als früher, so das Kultusministerium – unter anderem, weil die Regierung mehr Studienplätze geschaffen habe. Man könne sich die Lehrer trotzdem nicht einfach herbeizaubern. Es gebe nach wie vor ein sehr «exklusives Mobilitätsverhalten» der Anwärter, sagt der Ministeriumssprecher. Viele Lehramtsbewerber wollten etwa nicht in den ländlichen Raum, sondern lieber in städtische Gegenden wie Freiburg. «In manchen Kreisen haben wir Absagen von 50 Prozent.»

Das Land hat wegen der Panne über lange Zeit viele Millionen Euro nicht ausgegeben – erhalten die Schulen nun das ganze Geld? Das fordert zumindest die Bildungsgewerkschaft GEW. Jeder Euro, der in den vergangenen Jahren auf Kosten der Kinder nicht an die Schulen geflossen sei, müsse in die Bildung zurückfließen. 1.440 Stellen würden pro Jahr laut Kultusministerium rund 120 Millionen Euro kosten. Aber auch aus einem Geldregen für die Schulen wird nichts. Denn für die Gehälter der Geisterlehrer ist nichts abgeflossen. «Das Geld lag nicht in irgendeinem Tresor», sagt der Kultussprecher. «Das Land hat kein Geld eingespart, deshalb kann es auch nichts zurückzahlen», sagt auch der Sprecher des Finanzministeriums.

Aber haben die Haushälter nicht Millionen zurückgehalten für die Stellen? Nein. Tatsächlich haben die Geisterstellen in der Haushaltsaufstellung überhaupt keine Rolle gespielt, für sie wurde kein Geld verplant. Bei der Haushaltsplanung schaue man nämlich nicht auf die Zahl der Ist-Stellen in der Kultusverwaltung, so der Sprecher des Finanzministeriums – sondern auf den Betrag, den die Kultusministerin in der Vergangenheit für die Stellen ausgegeben hat. Da kein Geld abgeflossen ist, wurden die Geisterstellen also bei der Finanzierung nicht berücksichtigt. Deshalb müssen die Stellen nun auch neu finanziert werden. Die gute Nachricht: Für solche Fälle habe die Regierung Reserven gebildet, sagt der Finanzsprecher. Der Topf für ungeplante Personalkosten nennt sich «Personalglobaltitel». News4teachers / mit Material der dpa

“Geister-Lehrkräfte”: Ist die Mega-Besetzungspanne bei Lehrerstellen ursächlich für den Absturz bei den Schülerleistungen?

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Karl Heinz
2 Monate zuvor

Hintergründe: interessant

Meinungen: darf jeder haben

Folgen: Man bildet eine “Arbeitsgruppe”
Ernsthaft? Das wars??
Ernsthaft! Das wars!

Softwarefehler.
Kann man nichts machen.

Braucht keiner erwarten, dass da Köpfe rollen (metaphorisch gesprochen).

Und dann wundert man sich, dass die Unzufriedenheit weiter steigt, die Glaubwürdigkeit des Systems weiter sinkt…
Wie konnte das passieren??

Realist
2 Monate zuvor
Antwortet  Karl Heinz

Was mir bei dem Ganzen nicht klar ist:

Es waren 1400 Stellen mehr vorgesehen, also offensichtlich im Haushalt eingeplant. Da diese Stellen nie besetzt wurden, wurde das Geld nicht abgerufen. Was ist mit dem Geld passiert? Einfach “nicht ausgegeben” (was wohl heißt weniger Kreditaufnahme)? Umgeschichtet? Wohin? Innerhalb des Kultusministeriums? Für andere Ministerien? Mit 100 Millionen im Jahr könnte man schon einiges anfangen… DAS ist für mich die alles entscheidende Frage. Wenn man pro Jahr 100 Millionen weniger Schulden machen muss oder 100 Millionen “für andere Zwecke” verwenden kann, da kann sich wohl jeder vorstellen, warum ca. 20 Jahre kein Interesse daran bestand, diese Lücke an Lehrerstellen genauer aufzuklären. Dass das Ganze niemand 20 Jahre lang bemerkt haben soll… naja, für einige falten Zitronenfalter ja auch Zitronen…

Konfutse
2 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es dort niemand gemerkt hat. Und ehrlich gesagt ist das m.E. noch viel schlimmer, als wenn es Absicht gewesen wäre….

dickebank
2 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Die haben ja nur festgestellt, dass die Schulen zu 11x% mit Lehrkräften überversorgt sind und zukünftig Planstellen gestrichen werden können. Die Haushaltsmittel für die tatsächlich im Dienst befindlichen Lehrkräfte sind ja über das LBV abgeflossen. In den folgenden Planungszeiträumen sind dann auslaufende Stellen nicht neu besetzt worden und die Zahl der Lehrkräfte geschrumpft. Rechnerisch lag die Versorgungsquote auf Grund der Datenpanne dann vermutlich bei annähernd 100% de facto war sie aber nur bei ca. 97%. (Cs. 3% entsprechen in etws den 2440 von Gesamtzahl aller Lehrkräfte in The Länd).

ed840
2 Monate zuvor
Antwortet  dickebank

Bei ca. 95.000 Stellen und 1140 Geisterstellen, käme ich nicht auf 97% Versorgungsgrad.

Omg
2 Monate zuvor

as Land hat gespart. In der Argumentation zum Stellen- Ist waren diese Stellen immer mit dabei und dadurch wurden notwendige LK nicht eingestellt. Und diese haben definitiv Geld gespart. Wie doof darf man sein, um sich öffentlich äußern zu dürfen?