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„Verbundfach Naturwissenschaften“? Scharfe Kritik an KMK-Kommission – Fachverbände und Philologen laufen Sturm

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BERLIN. Droht das Ende des klassischen Fachunterrichts in Biologie, Chemie und Physik? Ein Vorschlag der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz sorgt derzeit für erhebliche Unruhe in der Bildungslandschaft: Ein „Verbundfach Naturwissenschaften“ könnte langfristig die Einzelfächer in der Sekundarstufe I ersetzen. Das ruft nun massiven Widerstand auf den Plan. 

Die Erleuchtung? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Der Streit um die Zukunft des naturwissenschaftlichen Unterrichts an Schulen hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Im Mittelpunkt: die Empfehlung der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz, ein sogenanntes „Verbundfach Naturwissenschaften“ in der Sekundarstufe I zu prüfen – möglicherweise als Ersatz für den herkömmlichen Fachunterricht in Biologie, Chemie und Physik. Während die Kommission auf kohärentere Bildungsinhalte und verbesserte Übergänge in die Ausbildung abzielt, warnen führende Fachgesellschaften und der Deutsche Philologenverband (DPhV) eindringlich vor einer bildungspolitischen Fehlentscheidung mit fatalen Folgen.

In ihrem Gutachten „Kompetenzen für den erfolgreichen Übergang von der Sekundarstufe I in die berufliche Ausbildung sichern“ diagnostiziert die SWK tiefgreifende strukturelle Schwächen im naturwissenschaftlichen Unterricht. So heißt es: „Im Verlauf der Sekundarstufe I zeigt sich zudem ein deutlich ausgeprägter Rückgang des Interesses an Naturwissenschaften (insbesondere an Physik und Chemie). Nach wie vor fehlen Bildungsstandards, aber vor allem Mindeststandards für den Ersten Schulabschluss (ESA), welche die für berufliche und gesellschaftliche Teilhabe unverzichtbaren funktionalen Kompetenzen in den Naturwissenschaften ausweisen.“

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Das Gutachten verweist auf Überlappungen und Inkohärenzen zwischen den Fächern und fordert ein kohärentes fachübergreifendes Kerncurriculum. Die SWK schlägt vor: „Ein solches Kerncurriculum könnte den Aufbau unverzichtbarer Kompetenzen entlang weniger zentraler fachspezifischer und fachübergreifender Konzepte sowie Denk- und Arbeitsweisen unter Einbeziehung technischer Perspektiven beschreiben.“

In diesem Zusammenhang wird in Empfehlung 10.5 konkret die Prüfung eines „Verbundfachs Naturwissenschaften“ angeregt – als mögliche langfristige Strukturmaßnahme: „Mittelfristig die Einführung bzw. den Ausbau eines Verbundfachs Naturwissenschaften oder eines Kooperationsmodells in der Fachgruppe Naturwissenschaften in der Sekundarstufe I prüfen (unter Beteiligung von Fachgesellschaften und Stakeholder:innen).“

DPhV warnt: „Bildungs- und Wirtschaftsstandort in Gefahr!“

Diese Empfehlung hat sofort heftige Reaktionen ausgelöst. Der Deutsche Philologenverband lehnt das Verbundfach strikt ab und warnt vor einem Rückschritt in der Bildungsqualität. In einer Pressemitteilung heißt es: „Ein solches ‚Verbundfach Naturwissenschaften‘ hat keine universitäre Bezugsdisziplin und ist deshalb für Lehrkräfte nicht studierbar.“

Die DPhV-Bundesvorsitzende Prof. Susanne Lin-Klitzing äußert sich unmissverständlich: „Wer auf die Fächer Biologie, Chemie und Physik verzichten will, schafft nicht nur den Bildungsstandort, sondern auch gleich den Wirtschaftsstandort Deutschland ab!“

Sie führt weiter aus: „Wir brauchen Profis in einem Fachunterricht, der die solide Basis für die Auseinandersetzung mit fächerübergreifenden, gesellschaftlichen Schlüsselproblemen ist, aber wir können für diese Auseinandersetzung doch nicht auf den zugrunde liegenden Fachunterricht verzichten!“ Besonders kritisch sieht der DPhV den Hintergrund der Empfehlung: „Mit einem ‚Verbundfach Naturwissenschaften‘ wird der Lehrkräftemangel in naturwissenschaftlichen Fächern kaschiert. Das hilft aber doch den Schülern und Schülerinnen nicht!“

Fachgesellschaften stellen sich geschlossen gegen das Verbundfach

Auch naturwissenschaftliche Fachgesellschaften haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen das Vorhaben positioniert. Ihre Kernaussage: Ein „Verbundfach Naturwissenschaften“ sei aktuell „aus fachlicher, fachdidaktischer sowie bildungspolitischer Perspektive“ keine gute Idee.

Die beteiligten Organisationen sind:

Sie warnen: „Die Einführung eines solchen Faches würde die fachliche Tiefe der Einzelfächer und den systematischen Kompetenzaufbau gefährden.“ Zudem kritisieren die Gesellschaften, dass die Grundlagen für eine Einführung nicht vorhanden seien: „Bislang existiert auch keine belastbare Datenlage, die zeigt, dass ein ‚Verbundfach Naturwissenschaften‘ einen kohärenteren Kompetenzaufbau oder bessere Lernleistungen zur Folge hätte.“

Stattdessen fordern sie ein „Kooperationsmodell Naturwissenschaften“, das eine engere Zusammenarbeit der Fachlehrkräfte vorsieht, aber die einzelnen Fachprofile erhält. Die Kritik kulminiert in einem klaren bildungspolitischen Verdacht: „Ein Verbundfach kann schnell auf ein bildungspolitisches Sparmodell reduziert werden.“

Alternativen: Kooperation statt Fusion

Die Fachverbände machen konstruktive Vorschläge: Statt Fächer zu verschmelzen, solle deren Kooperation gestärkt werden – mit dem Ziel, zentrale Anliegen des SWK-Gutachtens dennoch umzusetzen: etwa forschend-entdeckendes Lernen, stärkere Kontextorientierung, Inklusion und sprachsensiblen Fachunterricht. „Dadurch können zentrale Anliegen des SWK-Gutachtens […] wirkungsvoll und qualitativ hochwertig weiterentwickelt werden.“ Sie fordern länderübergreifende Pilotprojekte, die „koordiniert“ und „ausreichend finanziell gefördert“ werden müssen. News4teachers 

Hier geht es zum vollständigen Gutachten. 

Verloren im Übergang: Warum der Weg von der Schule in die Ausbildung zu oft scheitert – KMK-Kommission legt Gutachten vor

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