Chaos in der GEW geht weiter: Nächste Vorsitzende kündigt Rücktritt an

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BERLIN. Die Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kommt nicht zur Ruhe. Nach dem Rückzug von Tom Erdmann im vergangenen Jahr steht nun die nächste Vorsitzende vor dem Abgang: Gewerkschaftschefin Martina Regulin kündigte an, ihr Amt Mitte Oktober niederzulegen – unter dem Druck neuer interner Vorwürfe. Damit setzt sich eine Serie von Rücktritten, Konflikten und Zerwürfnissen fort, die die mit rund 30.000 Mitgliedern größte Bildungsgewerkschaft der Hauptstadt seit Jahren erschüttert.

“Verantwortung für den Landesverband”: Martina Regulin, Noch-Vorsitzende der GEW-Berlin. Foto: GEW Berlin

Wie der rbb berichtet, wurde Regulin vom Landesvorstand aufgefordert, ihr Amt niederzulegen – obwohl dieses Gremium dazu nach ihrer Darstellung gar nicht befugt sei. Der Vorwurf: unrechtmäßige Zahlungen in Höhe von insgesamt 6.000 Euro. Regulin rechtfertigte die Ausgaben: Sie seien vom geschäftsführenden Vorstand im Juli 2024 beschlossen worden und hätten Rechnungen für ein berufliches Coaching sowie Anwaltskosten des zurückgetretenen Ex-Co-Vorsitzenden abgedeckt.

„Die Entscheidung fällt mir sehr schwer“, erklärte Regulin, „aber ich treffe sie aus Verantwortung für den Landesverband.“ Sie habe die fraglichen Beträge inzwischen zurückerstattet. Ihr Co-Vorsitzender Gökhan Akgün bedankte sich für ihr Engagement und kündigte an, die Arbeit im Landesverband fortzuführen. Wer Regulins Nachfolge übernimmt, soll frühestens bei der Landesdelegiertenversammlung im November entschieden werden. Reguläre Vorstandswahlen sind für Juni 2026 angesetzt.

Der Fall Erdmann: Rücktritt nach Mitschnitt-Affäre

Regulins Abgang ist nicht der erste innerhalb kurzer Zeit. Bereits im Sommer 2024 war ihr Vorgänger Tom Erdmann nach rund neun Jahren im Amt über eine Affäre gestürzt (News4teachers berichtete). Ihm wurde vorgeworfen, einen illegal erstellten Mitschnitt aus einer GEW-Sitzung gespeichert und im Vorstand zugänglich gemacht zu haben. Erdmann räumte ein, einen „Fehler“ begangen zu haben. Nach einer Vertrauensabstimmung ohne Mehrheit kündigte er seinen Rücktritt an.

Doch hinter dem Fall verbargen sich tiefere Gräben. Erdmann galt als Symbolfigur einer Gewerkschaftsführung, die seit Jahren in internen Machtkämpfen, Alleingängen und Richtungskonflikten verstrickt ist. Bereits bei seiner letzten Wiederwahl musste er sich einem Gegenkandidaten stellen und gewann erst im zweiten Wahlgang.

Akgüns Wahl zum Vorsitzenden

Auf der Landesdelegiertenversammlung im November 2024 wurde Gökhan Akgün als neuer Co-Vorsitzender der Berliner GEW gewählt – neben Martina Regulin. Akgün betonte in seiner Antrittsrede seine persönliche Bildungsbiografie in Berliner Brennpunktschulen und seine Überzeugung, dass der Bildungserfolg nicht vom Status der Eltern abhängen dürfe. „Wir stehen vor einer der größten Bildungskrisen aller Zeiten. Eine Antwort auf diese Krise ist eine starke, selbstbewusste Bildungsgewerkschaft“, sagte er unter Applaus. Gemeinsam mit Regulin kündigte er an, die großen Herausforderungen solidarisch anzugehen und gegen weitere Verschlechterungen in der Berliner Bildungslandschaft zu kämpfen.

Streit um die Streikstrategie: Dauerstreiks spalten die GEW

Ein zentraler Konfliktpunkt ist allerdings die seit 2022 andauernde Serie von Warnstreiks für kleinere Klassen. Die GEW Berlin hatte mehrfach – auch während Abiturprüfungen – Arbeitsniederlegungen organisiert. Ziel war ein Tarifvertrag Gesundheitsschutz, der Lehrkräfte entlasten soll. Doch die Strategie hat viele Verbündete vergrault. Die Vorsitzende der GEW-Schulleitungsvereinigung, Gunilla Neukirchen, trat aus Protest zurück. Auch die ehemalige Bildungssenatorin und langjährige GEW-Vize Sybille Volkholz verließ nach über 50 Jahren Mitgliedschaft die Gewerkschaft. Ebenso der Leiter der Sportschule am Olympiapark. Selbst der Landeselternausschuss, einst Unterstützer der GEW, wandte sich ab. Dessen Vorsitzender Norman Heise warnte, „dass der Bogen kurz vor dem Überspannen ist“.

Auch innerhalb der GEW-Berlin rumorte es: Im Rechenschaftsbericht des Vorstands für 2023/24 war von „zahlreichen internen Auseinandersetzungen und Konflikten“ die Rede, die mit solcher Schärfe geführt worden seien, „dass tiefe Gräben entstehen“.

Politische Sackgasse: Der Senat blockt – und die GEW droht weiter

Trotz aller Kritik fand die Führung der GEW Berlin bislang immer wieder Mehrheiten für die Fortsetzung der Streiks. Doch inhaltlich bewegte sich wenig. Der Berliner Senat lehnt einen Sonderweg bei Klassengrößen ab, da das Land Mitglied der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) ist. Für kleinere Klassen wären zudem zusätzliche Lehrkräfte nötig – die Berlin schlicht nicht hat. Im Mai eskalierte der Konflikt, als die GEW mitten in den Abschlussprüfungen einen dreitägigen Ausstand organisierte. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) sprach von einem „Mangel an Verantwortungsbewusstsein“. Die GEW hielt dagegen: Verantwortungs­los sei nicht der Streik, sondern die Verweigerungshaltung des Senats.

Erst im Juni 2025 deutete sich eine Entspannung an: Nach Gesprächen mit Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner kündigte die GEW an, vorerst auf weitere Warnstreiks zu verzichten – und mit der Senatorin über konkrete Entlastungen sprechen zu wollen. Doch die Gewerkschaft stellte klar: Ohne spürbare Fortschritte werde der Arbeitskampf wieder aufgenommen. Das erneut aufbrechende Chaos wirft die Frage auf: Braucht der GEW-Vorstand die Dauereskalation, um ihre Mitglieder zu mobilisieren und bei der Stange zu halten? Offensichtlich ist eins: Die GEW Berlin steckt in einer tiefen Krise. News4teachers 

“Positive Signale”: GEW verzichtet auf weitere Warnstreiks für kleinere Klassen (vorerst)

 

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Nanu
6 Tage zuvor

Warum ist ein Rücktritt gleich Chaos? Ein Rücktritt ist auch eine Chance für einen Neubeginn.

Nanu
6 Tage zuvor

“Ein zentraler Konfliktpunkt ist allerdings die seit 2022 andauernde Serie von Warnstreiks für kleinere Klassen. Die GEW Berlin hatte mehrfach – auch während Abiturprüfungen – Arbeitsniederlegungen organisiert. Ziel war ein Tarifvertrag Gesundheitsschutz, der Lehrkräfte entlasten soll.”

Ich lese ständig, dass Lehrer überlastet sind und ausgebrannt. Aber an einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz wollen sie nicht, weil man dafür streiken muss???

Herbstzeitlose
6 Tage zuvor

Herr Erdmann fühlte sich wohl die ganze Zeit eher als Politiker:
https://dielinke.berlin/landesparteitag/10/1-tagung-des-10-landesparteitags/tom-erdmann/
Er preist darin die Linkspartei als den “verlässlichsten politischen Partner der GEW” und nennt die Gemeinschaftsschule ein “linkes Referenzprojekt”.

Florian Liebling
2 Tage zuvor

Wie viele Eltern mit ausreichend Geld werden daraus wohl folgern, dass private Bildung für ihre Kinder besser funktioniert?

Unverzagte
2 Tage zuvor
Antwortet  Florian Liebling

Das sind vermutlich Eltern, die entsprechend enttäuscht werden, weil Gewerkschaften unkäuflich sind.