AfD-Hetze gegen Lehrkräfte: “Gefährliche Typen, die Schüler auf Linie bringen wollen”

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MAGDEBURG. Ist es ideologische Einflussnahme, wenn Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler über die Werte des Grundgesetzes aufklären? Die rechtsextreme AfD sieht hier ein Problem – und behauptet: «An den Schulen wird indoktriniert, dass sich die Balken biegen.» Sachsen-Anhalts Bildungsminister Riedel verteidigt die Lehrkräfte. Er spricht von Verfassungstreue.

Schreckgespenst. Illustration: Shutterstock

Sachsen-Anhalts Bildungsminister Jan Riedel (CDU) stärkt Lehrkräften den Rücken gegen Anwürfe der AfD, in Sachsen-Anhalts Schulen werde politisch Einfluss auf Kinder und Jugendliche genommen. Riedel sagte im Landtag, Schule sei ein Ort der Demokratiebildung. «Unsere Verfassung, unsere Menschenrechtsverträge, unser Schulgesetz geben uns einen klaren Auftrag, Kinder und Jugendliche zu selbstständigen, verantwortungsvollen und demokratisch handelnden Bürgern zu erziehen. Dazu gehört, dass Lehrkräfte Haltung zeigen und zwar für Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde.»

Der Minister betonte: «Unsere Lehrkräfte haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, menschenfeindliche, rassistische, demokratiegefährdende Aussagen zu thematisieren und einzuordnen. Das ist keine politische Beeinflussung, das ist Verfassungstreue». Und weiter: «Ich kann alle Lehrkräfte nur ermutigen, sich nicht zu verunsichern zu lassen und in solchen Fällen sich klar zu positionieren.»

Hans-Thomas Tillschneider, Sprecher der AfD-Landtagsfraktion für Bildung, Kultur und Wissenschaft, sagte, es gebe Lehrer, die es darauf abgesehen hätten, Schüler zu indoktrinieren. «Solche Lehrer gibt es ja und leider nicht zu wenige.» Tillschneider sprach von «zumeist linken Pädagogen, Typen, die meinen, im Besitz absoluter Wahrheit zu sein». «Gefährliche Typen» würden abweichende Meinungen nicht tolerieren und «mehr oder weniger subtil danach streben, ihre Schüler auf Linie zu bringen».

Tillschneider sagte weiter: «Der Beutelsbacher Konsens taugt nicht, um politische Indoktrination an Schulen zu bekämpfen. Er taugt dazu nicht in der Theorie, und er taugt nicht in der Praxis, denn Fakt ist: an den Schulen wird indoktriniert, dass sich die Balken biegen.»

Gemeint ist damit offenbar das Engagement gegen Rassismus und für individuelle Vielfalt. Jeder Versuch von Lehrkräften, eine politische Meinung «auch nur als attraktiv oder angesagt nahezubringen«, soll laut Tillschneider untersagt werden. Antirassismus richte sich in erster Linie gegen «die patriotische Opposition», sagte Tillschneider dem Spiegel. «Die penetrante Vielfaltspropaganda» betreibe «die Zerstörung der heterosexuellen Normalität». Diese sei «für den Fortbestand und das Gedeihen unserer Gesellschaft unerlässlich».

Die AfD in Sachsen-Anhalt wird vom Verfassungsschutz als «gesichert rechtsextremistisch» eingestuft. Auch Tillschneider selbst wird laut MDR vom Verfassungsschutz überwacht.

Beutelsbacher Konsens – Prinzip für politische Bildung

Der Beutelsbacher Konsens ist ein grundlegendes Prinzip der politischen Bildung in Deutschland, das festlegt, dass Schülerinnen und Schüler nicht im Sinne erwünschter Meinungen überwältigt oder indoktriniert werden dürfen, sondern zu einer eigenständigen Urteilsbildung befähigt werden sollen. Er verpflichtet Lehrkräfte, politisch kontroverse Themen auch im Unterricht kontrovers darzustellen. Sie dürfen dabei ihre eigene Meinung äußern, solange sie sicherstellen, dass auch andere Auffassungen zur Geltung kommen.

Mehr noch, wie ein Sprecher des Bildungsministeriums betonte: Würden von politischen Vereinigungen, Parteien oder Schülern zentrale Grundprinzipien der Verfassung infrage gestellt oder gar verletzt, «ist es geradezu die Pflicht der Lehrkraft, keine neutrale Position einzunehmen und stattdessen diese Grundprinzipien zu verteidigen und offen für sie einzutreten».

Hintergrund: Das Schulgesetz in Sachsen-Anhalt schreibt Lehrkräften vor, «Werthaltungen zu vermitteln, welche die Gleichachtung und Gleichberechtigung der Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Identität, ihrer Sprache, ihrer Heimat und Herkunft, ihrem Glauben, ihren religiösen oder politischen Anschauungen fördern». Die Bildungsforscherin Ilka Maria Hameister von der Universität Jena sagte gegenüber dem Spiegel: »Das Neutralitätsgebot wird von der AfD gezielt fehlinterpretiert.«

Andere Fraktionen lehnen den AfD-Antrag rundum ab

Der Landtag lehnte mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP, Linken und Grünen den Antrag der AfD ab. Allein die AfD stimmte für ihren eigenen Antrag.

Der bildungspolitische Sprecher der Linken, Thomas Lippmann, sagte: «Die AfD versucht einmal mehr, in unerträglicher Weise Einfluss auf Unterrichtsinhalte und das Klima an unseren Schulen zu nehmen.» Die Grüne Susan Sziborra-Seidlitz formulierte: «Die AfD will Lehrkräfte in der gesamten Bundesrepublik und auch hier in Sachsen-Anhalt mundtot machen.» SPD-Fraktionschefin Katja Pähle urteilte, die AfD wolle Lehrerinnen und Lehrer einschüchtern und sie ihrer demokratischen Rechte berauben.

Pähle warnte davor, dass Anträge dieser Art Wirkung im Schulalltag entfalten. «Wenn im Lehrerzimmer die Parole umgeht, dass man sich mal besser zurückhalten solle, dann haben die Feinde der Demokratie wieder ein paar Fußbreit an Terrain gewonnen.»

Ein Jahr vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt liegt die AfD in der Gunst der Wählerinnen und Wähler weit vorne. Das geht aus dem Sachsen-Anhalt-Trend von Infratest Dimap für MDR, “Mitteldeutsche Zeitung” und “Volksstimme” hervor, der vor vier Wochen veröffentlicht wurde. Laut der repräsentativen Umfrage könnte die AfD bei einer Wahl derzeit mit 39 Prozent der Stimmen rechnen. Damit würde sie sich im Vergleich zur Landtagswahl 2021 und dem vorigen Sachsen-Anhalt-Trend vom Februar 2022 nahezu verdoppeln und hätte ein deutschlandweites Bestergebnis bei Landtagswahlen – und womöglich die Regierungsübernahme – in Aussicht. News4teachers / mit Material der dpa

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Karl Heinz
58 Minuten zuvor

“Schulen erfüllen die gleichen sozialen Funktionen wie Gefängnisse und psychiatrische Einrichtungen – um Menschen zu definieren, zu klassifizieren, zu kontrollieren und zu regulieren.”(Michel Foucault)

Schüler auf Linie zu bringen” ist gewissermaßen der systemimmanente Auftrag von Schule an sich.
Und zwar in jedem System.
Ein man kommt ja nicht als Demokrat, Christ, Rassist oder sonstwas auf die Welt, sondern wird jeweils dahin erzogen.

Wenn sich jemand entscheidet Lehrer*in zu werden und die eigene verfassungstreue versichert, dann ist die Person mitten drin im Kulturkampf und verteidigt eben das Grundgesetz.