KÖLN. Früher war alles besser? Von wegen: Auch in der Zeit des Nationalsozialismus und nach dem Krieg waren Eltern verunsichert – das belegt der Erfolg des Erziehungsratgebers „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“. Das Problem: Das Buch war der Inbegriff der NS-Pädagogik. Es dürfte Hundertausende von Familien jahrzehntelang geprägt haben. Die WDR-Radiosendung Zeitzeichen erinnerte nun an die (vor 125 Jahren geborene) Autorin und ihr Werk. Die Spuren dieser Pädagogik reichen bis heute.

„Wenn das Kind schreit und auch der Schnuller versagt, dann, liebe Mutter, werde hart.“ – dieser Satz steht für ein ganzes Kapitel deutscher Erziehungsgeschichte. Geschrieben hat ihn Johanna Haarer, Ärztin, Mutter von fünf Kindern und glühende Nationalsozialistin. Ihr Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, 1934 erstmals erschienen, wurde im Dritten Reich fast 700.000 Mal verkauft – und prägte Generationen von Eltern weit über das Ende des NS-Regimes hinaus. Dass dieser Ratgeber zum Synonym für emotionale Kälte und autoritäre Strenge in der Kindererziehung wurde, daran erinnert jetzt das WDR-Zeitzeichen zum 125. Geburtstag der Autorin.
Eine Mutter für den Führer
Johanna Haarer war eine ehrgeizige Frau. 1900 geboren, schaffte sie es als eine der ersten Frauen in Deutschland zur approbierten Ärztin. Sie spezialisierte sich auf Lungenkrankheiten – und gab ihren Beruf auf, als sie selbst Mutter wurde. Von da an schrieb sie über Erziehung – und traf den Nerv der Zeit: Mütter, verunsichert zwischen Tradition und Moderne, suchten Orientierung. Haarer bot sie – in der Form von Gehorsam, Disziplin und emotionaler Kälte.
Ihr Buch wurde zur Pflichtlektüre in Schulungskursen der NS-Frauenschaft. Es versprach, „gesunde, gemeinschaftsfähige“ Kinder hervorzubringen – im Sinne des Regimes: hart, fügsam, anpassungsbereit. „Zärtlichkeit und Nachgiebigkeit produziere Haustyrannen“, warnte Haarer. Hitler persönlich soll das Buch empfohlen haben.
Wie das WDR-Zeitzeichen berichtet, empfahl Haarer, Babys schreien zu lassen, sie keinesfalls zu trösten oder zu viel Zuneigung zu zeigen. Kinder sollten von Geburt an „abgehärtet“ werden – um sich später „der Gemeinschaft unterordnen“ zu können. Autor Christoph Vormweg fasst zusammen: „Disziplin und emotionale Distanz – das waren die Grundpfeiler von Haarers Pädagogik.“
Der lange Schatten der „deutschen Mutter“
Das Verstörende: Haarers Ratgeber blieb auch nach 1945 ein Bestseller. In der DDR verboten, erschien er in der Bundesrepublik in „bereinigter Form“ weiter – ohne offene NS-Ideologie, aber mit denselben pädagogischen Grundsätzen. Noch bis 1987 wurde das Buch aufgelegt, in Fachschulen eingesetzt und jungen Müttern geschenkt.
„Unsere Mütter, Großmütter vor allen Dingen, hatten alle das Buch im Regal stehen“, sagt der Bindungsforscher Prof. Dr. med. Karl Heinz Brisch im SWR-Podcast „Das Wissen“. „Und sie bekamen es zur Geburt ihrer Kinder geschenkt – auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg.“
Brisch, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, warnt seit Jahren vor der „unterschätzten Fortwirkung“ dieser NS-Erziehung. „Viele Eltern glauben noch heute, sie müssten hart durchgreifen, um keine Tyrannen großzuziehen. Das ist ein Irrglaube – mit fatalen Folgen.“
Angst statt Urvertrauen
Kinder, die in dieser Pädagogik aufwuchsen, wurden früh in eine emotionale Leere geschickt. Zuwendung galt als Schwäche, Empathie als Gefahr. „Diese Kinder haben kein Urvertrauen entwickelt – sondern Urangst“, erklärt Brisch. „Das prägt das ganze weitere Leben: in Beziehungen, in der Elternrolle, im Selbstbild.“
Viele der Betroffenen litten als Erwachsene unter Depressionen, Suchtproblemen oder Bindungsstörungen. Die Psychoanalytikerin Prof. Dr. med. Luise Reddemann spricht im SWR-Beitrag von „transgenerationaler Weitergabe“: „Traumata, die nicht verarbeitet werden, wirken fort – über Generationen. Eltern, die in der Kindheit Härte erfahren haben, neigen dazu, sie an ihre Kinder weiterzugeben.“
Das erklärt, warum die Idee vom „verwöhnten Kind“ bis heute fortlebt. Noch immer gibt es Ratgeber, die Härte empfehlen – etwa das bekannte Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“. Reddemann sieht darin eine gefährliche Kontinuität: „Kinder sollen funktionieren, statt verstanden zu werden. Das ist ein Relikt der alten Pädagogik.“
Ein deutsches Erbe
Die Historikerin Prof. Sonja Levsen (Universität Trier) weist im WDR darauf hin, dass Haarer keine Erziehungsrevolutionärin war – sondern eine Vollstreckerin bestehender Strömungen. Schon vor 1933 habe es eine autoritäre, „bindungsarme“ Erziehung gegeben, oft aus medizinischen Kreisen. Haarer habe sie nur konsequent in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie gestellt: „Das Kind gehörte nicht der Familie, sondern dem Volk.“
Nach dem Krieg blieb diese Haltung ungebrochen – angepasst an die neue Zeit, aber tief verankert in der deutschen Nachkriegsseele. Der Soziologe Prof. Julius H. Schoeps nannte Haarers Buch später bitter-ironisch ein „Lehrstück unbefangener deutscher Vergangenheitsbewältigung“. Damit meinte er nicht etwa, dass Haarers Werk zur Aufarbeitung beigetragen habe – im Gegenteil: Für ihn ein gutes Beispiel, wie unreflektiert und unkritisch in der Bundesrepublik mit nationalsozialistischem Gedankengut umgegangen wurde.
Zwischen Aufarbeitung und Hoffnung
Heute wird zunehmend erforscht, wie sich solche Erziehungsmuster über Generationen fortsetzen. Die Langzeitstudie „TRANS-GEN“ am Universitätsklinikum Ulm untersucht seit 2013 den Einfluss mütterlicher Kindheitserfahrungen auf deren Kinder. Sie zeigt: Etwa 10 bis 30 Prozent der Eltern geben eigene traumatische Erfahrungen weiter – die Mehrheit aber kann sich davon lösen.
Therapeutinnen wie Luise Reddemann sehen darin einen Hoffnungsschimmer. „Es braucht Bewusstsein für das eigene Leiden – und die Entscheidung: Das will ich meinen Kindern nicht antun“, sagt sie. „Wenn Eltern sich Hilfe holen, wenn sie begreifen, dass Härte kein Schutz ist, sondern Zerstörung, dann kann sich etwas verändern.“
Auch Karl Heinz Brisch sieht Anzeichen eines Wandels: „Je mehr wir über die positiven Effekte einer liebevollen Erziehung sprechen, desto mehr Eltern werden nachdenklich. Wenn sie lernen, ihre eigenen Geschichten zu verstehen und zu heilen, gibt das Hoffnung, dass wir als Gesellschaft irgendwann friedvoller mit unseren Kindern umgehen.“
Johanna Haarer starb 1988 in München – unbelehrbar, wie ihre Tochter Gertrud später in einer Biografie schrieb: Die Mutter habe bis zuletzt an den Nationalsozialismus geglaubt, sei alkohol- und tablettenabhängig gewesen, und habe ihre Kinder mit der Härte erzogen, die sie propagierte. News4teachers
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Frühes Aufstehen an Schultagen und Hausaufgaben sollen auch Schüler für die Berufswelt abhärten. Leider ist dies aber didaktisch kontraproduktiv.
Die Armen.
“In ihrem Parteiprogramm spricht die AfD von der “traditionellen” Frau, der “Mutter, Vater, Kind”-Familie. Welche weiteren Ansichten vertritt die Partei in Niedersachsen und was steht in ihrem Wahlprogramm? Die AfD drückt in ihrem Grundsatzprogramm klare Vorstellungen über die “einheimische” Frau aus: Traditionell soll sie sein, viele Kinder bekommen und sich in Vollzeit um die Familie kümmern können. Für Individualität bleibe da wenig Raum, denn diese “untergräbt die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit”, heißt es darin. Die AfD bestreitet eine ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Anlässlich des Internationalen Frauentags 2023 sagte Jessica Miriam Schülke, niedersächsische Landtagsabgeordnete der AfD, Schuld seien die Berufswahl und Teilzeittätigkeiten der Frauen. Eine Frauenquote lehnt die Partei ebenfalls ab. “Für jede fähige, leidenschaftliche Frau, die Karriere machen will, ist eine Frauenquote demütigend und stellt sie unweigerlich unter den Verdacht, ihre beruflichen Ziele nicht anders erreichen zu können”, so die AfD-Fraktion im Landtag Niedersachsen am 25. Januar 2023. Auch die Familie solle laut AfD Parteiprogramm “traditionell” sein. Sie bestehe aus “Vater, Mutter und Kindern”, bei der die Frau und der Mann möglichst verheiratet sein sollen. Die AfD in Niedersachsen drückt es nicht ganz so aus. Sie betont: “Andere Lebensmodelle lehnen wir nicht ab.” In Bezug auf Elternschaft gilt dies jedoch nicht. So äußert die AfD-Fraktion am 10. November 2023 im Landtag bei einer Debatte um queeres Leben: “Kinder brauchen Mutter und Vater”, und weiter: Eine Mehrelternschaft degradiere “Kinder zu Accessoires bei der Selbstverwirklichung von Erwachsenen.”
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Die-AfD-und-ihre-Positionen-zu-Frauen-und-Familie,afd3132.html
„Die AfD macht in ihren Programmen keinen Hehl aus ihren rückwärtsgewandten Frauen- und Familienbildern: Sie will hart erkämpften frauenpolitischen Fortschritt zurückdrehen und die heteronorme Kleinfamilie mit männlichem Oberhaupt reinstallieren. Sie will Ungleichheit und die Wiederherstellung einer vermeintlich natürlichen, patriarchalen Ordnung“, warnt die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Dr. Beate von Miquel.
https://www.frauenrat.de/nie-wieder-fuer-frauen-ist-die-afd-nicht-waehlbar/