Jahrelanger Missbrauch: Fünfeinviertel Jahre Haft für Lehrer, Schule im Zwiellicht

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ERFURT. Das Gericht schickt einen Lehrer nach mehr als 80 Missbrauchsfällen über Jahre an einer Schülerin ins Gefängnis. Der Vorsitzende Richter findet deutliche Worte – auch für die Rolle der Schule.

Das Gericht hat geurteilt. (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Mehrere Jahre missbraucht ein Erfurter Gymnasiallehrer eine Schülerin, jetzt muss er dafür für fünf Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Das Gericht sprach den 63-jährigen Jörg S. schuldig, sich zwischen 2016 und 2020 in mehr als 80 Fällen an dem Mädchen vergangen zu haben – in der Schule, auf Klassenfahrten und in seinem Wohnhaus. Zum Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs war das Mädchen 13 Jahre alt.

Die Umstände und Dimensionen des Falls machten selbst einen erfahrenen Juristen wie den Vorsitzenden Richter Holger Pröbstel fassungslos. Das psychisch labile Mädchen habe eine Schulter zum Anlehnen gesucht – und der Angeklagte habe daraus einen langjährigen sexuellen Missbrauch gemacht. Damit habe er sich als Lehrer als charakterlich ungeeignet erwiesen. Wer sich so verhalte, der habe von seinem Beruf nichts verstanden, sagte Pröbstel bei der Urteilsverkündung.

In Richtung des Angeklagten sagte er: «Ihnen werden Kinder und Jugendliche anvertraut, um vernünftige junge Leute aus denen zu formen, die später im Leben bestehen können. Stattdessen haben Sie ein Leben zerstört.»

Richter: Schule hat Fehler gemacht

Klare Worte richtete Pröbstel auch an das Gymnasium, an dem noch ein weiterer Lehrer unter Verdacht des sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung von anderen Schülerinnen steht: «Die Schule gibt ein verdammt falsches Bild ab.» Das Mädchen hatte sich an diesen – inzwischen angeklagten – Vertrauenslehrer wegen ihres sexuellen Missbrauchs gewandt. Dieser solle dann aber mit ihr pornografische Bilder «ausgetauscht» haben. Das Verfahren gegen diesen Lehrer wird noch erwartet.

Die Gymnasiastin habe sich auch an den Schulleiter gewandt und sei dort abgeblitzt. «Mit dem Schulleiter hätte ich gerne Tacheles geredet», zeigte sich der Vorsitzende Richter emotional bewegt. «Wie kann man der Sache dann nicht mal nachgehen? Ich stehe ziemlich fassungslos davor.»

Der Täteropferausgleich werde strafmildernd berücksichtigt, ebenso die Tatsache, dass S. den Beamtenstatus verlieren werde, seine Pension, letztlich sein ganzes Leben. Und trotzdem sei es kein mildes Urteil, denn es müsse auch ein »deutliches Signal nach außen sein«, sagte Pröbstel. Es müsse deutlich werden, dass wer solche Straftaten in geschützten Räumen wie der Schule begehe, dafür auch entsprechend bestraft werde.

Staatsanwältin: Klima des Wegschauens

Staatsanwältin Dorothee Ohlendorf hatte zuvor in ihrem Plädoyer davon gesprochen, wie schwierig es meist für Opfer in einem schulischen Umfeld sei, sich zu offenbaren. Oft herrsche ein Klima des Wegschauens und Negierens. Alle die von Übergriffen und Belästigungen erfahren, sollten das zur Anzeige bringen, appellierte Ohlendorf.

Der Angeklagte habe die Schülerin als Sexobjekt degradiert und sich ihr gegenüber empathielos und manipulativ verhalten, sagte Ohlendorf. Bei dem Opfer sei eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden, mit deren Symptomen die junge Frau bis heute zu kämpfen habe. Das Opfer war in dem Prozess – den auch viele Schüler des Gymnasiums verfolgten – als Nebenklägerin aufgetreten.

Angeklagter entschuldigt sich bei Opfer

Die Nebenklage hatte sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft angeschlossen. Die Verteidigung hatte argumentiert, dass der Sport- und Geschichtslehrer sich in einem voll besetzten Gerichtssaal und unter großer medialer Aufmerksamkeit zu den Taten bekannte. Der 63-Jährige verpflichtete sich außerdem zu einem Täter-Opfer-Ausgleich in Höhe von 30.000 Euro. In seinem letzten Wort hatte sich der Mann erneut bei seiner früheren Schülerin und deren Familie entschuldigt. News4teachers / mit Material der dpa

Lehrer missbraucht 13-Jährige; um Hilfe gebetener Vertrauenslehrer fordert Nacktbilder von ihr

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2 Kommentare
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Brennpunktschule
3 Stunden zuvor

Das ist ein schlimmes Verbrechen an der Schülerin. Wenn die Schulleitung auf eine Problemanzeige des Mädchens nicht reagiert hat, ist das ein schweres Fehlverhalten.

Ich kann aber die Worte der Staatsanwältin aus meiner schulischen Erfahrung nicht bestätigen.
Es herrscht eben kein Klima des “Wegeschauens und Negierens”.

Das mag früher anders gewesen sein (vor meiner Zeit als Lehrkraft – das ist also schon ziemlich lange her), aber es gibt verschiedene Mechanismen der Reaktion, eine Reihe von Ansprechpartnerinnen, einen Verhaltenskodex, verschiedene Projekte usw.

Außerdem herrscht auch für die Schulleitung Anzeigepflicht.

Das mag Einzelfälle nicht ausschließen, die Schulen sind aber diesbezüglich sehr stark aufgestellt.

Unverzagt
2 Stunden zuvor

„In seinem letzten Wort hatte sich der Mann erneut bei seiner früheren Schülerin und deren Familie entschuldigt.“

Wenn überhaupt könnte nur die Schülerin diese Entschuldigung annehmen. Der Mann kann maximal um diese bitten.
Er wird mit 5,5 Jahren Gefängnis bestraft. Sie wird lebenslänglich unter den Folgen leiden.