Zustimmung zu den (meisten) Reformideen: Umfrage zeigt, wie Lehrkräfte die Empfehlungen des Bürgerrats Bildung und Lernen bewerten

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BERLIN. Die Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage unter Lehrkräften und Schulleitungen zeigen ein deutliches Bild: Die Empfehlungen des Bürgerrats Bildung und Lernen stoßen vielerorts in den Kollegien auf Unterstützung – allerdings mit Grenzen, insbesondere bei Vorschlägen zur Leistungsbewertung. Die Auswertung der Befragung, an der Anfang November 1.134 Personen teilnahmen (wozu News4teachers aufgerufen hatte), wurde auf der Abschlusskonferenz des Bürgerrats in Berlin vorgestellt. Der VBE begrüßt die Empfehlungen als wichtigen Impuls.

Passt. (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Im Mittelpunkt stehen Reformideen, die direkt in die Schul- und Unterrichtspraxis hineinwirken. Besonders hohe Zustimmung erzielen Vorschläge, die als alltagstauglich und praxisnah wahrgenommen werden: So bewerten 86 Prozent der Befragten die Empfehlung, digitales Lernen als sinnvolle Ergänzung des Unterrichts zu etablieren, positiv. Damit ist dies die Reformidee mit der größten Unterstützung. Auch demokratische Bildung findet breite Zustimmung: 86,6 Prozent der Teilnehmenden befürworten eine stärkere Verankerung von Partizipation und demokratischen Prozessen im Schulalltag. Noch deutlicher ist die Haltung in Förderschulen, wo die Zustimmung bei 97,9 Prozent liegt.

Ebenfalls weit vorn: die Wahlfreiheit im Ganztag. Mehr als 80 Prozent der Lehrkräfte und Schulleitungen sprechen sich dafür aus, dass Familien frei zwischen Ganztag und Halbtag wählen können.

Eine der überraschenden Erkenntnisse betrifft das Thema Hausaufgaben: Die Idee, diese durch sogenannte Vertiefungsstunden im Schulalltag zu ersetzen, trifft bei 63,8 Prozent der Befragten auf Zustimmung. Besonders offen zeigen sich hier Grund- und Förderschulen, während Gymnasien mit einer Zustimmung von etwas mehr als 50 Prozent zurückhaltender reagieren.

Während Grund- und Förderschulen Reformvorschlägen gegenüber mehrheitlich positiv eingestellt sind, reagieren Gymnasien und berufliche Schulen deutlich skeptischer

Deutliche Unterschiede zeigen sich bei Reformvorschlägen, die etablierte Strukturen der Leistungsbewertung berühren. Die Empfehlung, Noten erst ab Klasse 9 zu vergeben, wird von einer klaren Mehrheit (71 Prozent) abgelehnt. Besonders stark ist die Ablehnung in Gymnasien und beruflichen Schulen. Nur in Grundschulen ist die Zustimmung etwas höher, bleibt aber ebenfalls unter der Hälfte der Befragten.

Ähnlich kritisch sehen die Teilnehmenden die freie Wahl der Prüfungsform: 72 Prozent lehnen den Vorschlag ab. Beim selbstbestimmten Zeitpunkt von Leistungsnachweisen ergibt sich ein vergleichbares Bild – nur 36,4 Prozent der Befragten stimmen zu, 63,6 Prozent lehnen die Empfehlung ab.

Über alle abgefragten Dimensionen hinweg zeigt sich ein klares Muster: Während Grund- und Förderschulen Reformvorschlägen gegenüber mehrheitlich positiv eingestellt sind, reagieren Gymnasien und berufliche Schulen deutlich skeptischer. Große Unterschiede gibt es auch zwischen Lehrkräften und Schulleitungen. Schulleitungen sind fast durchweg reformoffener – etwa beim digitalen Lernen, der Schülerpartizipation oder der Idee selbstbestimmter Leistungszeitpunkte. So sprechen sich 54 Prozent der Schulleitungen dafür aus, Schülerinnen und Schüler über den Zeitpunkt von Leistungsnachweisen selbst entscheiden zu lassen. Unter Lehrkräften lehnt eine klare Mehrheit diesen Vorschlag ab.

In der zusammenfassenden Bewertung zeigt sich damit ein ambivalentes Bild: Hohe Zustimmung für Themen wie Digitalisierung, Demokratiebildung und Wahlfreiheit – deutliche Ablehnung bei Vorschlägen, die Bewertungsstrukturen oder Prüfungsformen grundlegend verändern würden. Die Ergebnisse lassen zudem erkennen, dass die Haltung zu Reformen stark vom jeweiligen Schulkontext geprägt ist.

Die Umfrage lief vom 1. bis 7. November 2025. Insgesamt nahmen über 1.100 Personen aus allen Schulformen teil, davon knapp 90 Prozent Lehrkräfte und gut 10 Prozent Schulleitungen. Die Zusammensetzung der Stichprobe bildet weitgehend die Struktur der Lehrkräfte in Deutschland ab. Die Auswertung gilt daher als statistisch valide, auch wenn sie nicht im engeren wissenschaftlichen Sinne repräsentativ ist.

„Durch die tiefe Beschäftigung mit Themen entstand oftmals ein progressiverer Blick, wobei die Empfehlungen den Positionen des VBE teilweise stark ähneln“

Im Anschluss an die Vorstellung der Ergebnisse begann in Berlin die zweitägige Abschlusskonferenz des Bürgerrats Bildung und Lernen unter dem Titel „Bildung, bitte!“. Mehr als 120 Mitglieder des Bürgerrats kommen dort mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Bildungspraxis zusammen – darunter OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher, der Bremer Bildungssenator Mark Rackles, die Jugendforscherin Nina Kolleck sowie Vertreterinnen und Vertreter von Bildungsverbänden und Schülerschaften. Gemeinsam beraten sie darüber, wie die in fünf Jahren erarbeiteten Empfehlungen in die Praxis gebracht werden können.

Für den Verband Bildung und Erziehung (VBE) nimmt der stellvertretende Bundesvorsitzende Tomi Neckov teil. Er begrüßt den langjährigen Arbeitsprozess und die intensive, evidenzbasierte Auseinandersetzung mit dem Thema: „Nur weil jemand eine Schule besucht hat, macht einen das noch nicht zum Bildungsexperten. Der Bürgerrat hat es in vorbildlicher Weise geschafft, das eigene Erleben durch wissenschaftliche Studien und den Austausch verschiedener Meinungen so zu ergänzen, dass tragfähige Abstimmungsergebnisse zustande gekommen sind. Damit ist der Bürgerrat als solches ein erfolgreiches Modell und ein Partizipationskatalysator. Durch die tiefe Beschäftigung mit Themen entstand oftmals ein progressiverer Blick, wobei die Empfehlungen den Positionen des VBE teilweise stark ähneln.“

Dies gelte zum Beispiel für:

  • Partizipation von Kindern und Jugendlichen,
  • Relevanz des Sprachenlernens,
  • individuelleres, lebensnahes Lernen,
  • sinnvolle Ergänzung analoger und digitaler Lernmethoden und
  • bessere Chancen für Jugendliche ohne Schulabschluss.

Neckov betont, wie wichtig der ergänzende Blick des Bürgerrates sei: „Die ausschließlich defizitorientierte Betrachtung des Bildungssystems bringt uns nicht weiter. Aber wenn der Bürgerrat sich als ‚Spiegel der Gesellschaft‘ damit beschäftigt und zu einem modernen Bildungsverständnis gekommen ist, macht das Mut. Am Ende wissen wir: Die Kinder von heute brauchen für ihren Alltag in der Zukunft Kompetenzen, die wir durch die Art, wie wir lehren und lernen, befördern müssen. Dazu gehört ganz eindeutig, sie frühestmöglich in Entscheidungsprozesse einzubinden – altersgerecht und alltagsnah.“ Zudem sieht er hier auch eine Möglichkeit, Selbstwirksamkeit zu erfahren: „Diese Schlüsselerfahrung braucht es unbedingt als Teil eines gesunden Aufwachsens von Kindern.“

Der Bürgerrat Bildung und Lernen, initiiert von der Montag Stiftung Denkwerkstatt, ist bundesweit einzigartig. Mehr als 700 zufällig ausgewählte Menschen – darunter auch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren – haben seit 2021 gemeinsam beraten, wie ein gerechtes und zukunftsfähiges Bildungssystem aussehen sollte. Im Mittelpunkt stand dabei die Beteiligung möglichst vieler Perspektiven. Die Mitglieder des Bürgerrats diskutierten über frühkindliche Bildung, Schulstrukturen, Lernkulturen und Fragen der beruflichen Bildung. Die nun vorgelegten Empfehlungen reichen von stärkerer Partizipation über veränderte Lernformen bis hin zu strukturellen Fragen des Schulsystems.

Für die Initiatoren ist mit der Abschlusskonferenz der Prozess nicht beendet. Vielmehr gehe es nun darum, die Impulse des Bürgerrats in Politik und Praxis zu verankern. News4teachers 

Hier lassen sich die vollständigen Ergebnisse der Umfrage herunterladen. 

Kita-Pflicht, Noten erst ab Klasse 9, Hausaufgaben abschaffen: Was der Bürgerrat Bildung und Lernen empfiehlt

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