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Initiation: Warum es nötig wäre, den Übergang ins Erwachsenenleben zu begehen

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KÜHBACH. Als Kinder kommen sie ins System Schule, als Volljährige verlassen sie es wieder – doch auf das Erwachsensein selbst bereitet Schülerinnen und Schüler kaum jemand vor. Während Kirchen mit Firmung, Konfirmation und Jugendweihe (zu) frühzeitig Rituale setzen und der Staat auf diese verweist, schieben beide die Verantwortung für echte Initiation weiter. Zurück bleibt eine pädagogische Leerstelle. Unser Gastautor Peter Maier war Gymnasiallehrer. Er wirkt heute als Jugend-Initiations-Mentor und hat Bücher zum Thema geschrieben. 

Initiationsriten sind in vielen Kulturen – hier: Hamar in Äthiopien – verbreitet. Foto: Shutterstock

Initiation von Schülerinnen und Schülern – Ping-Pong-Spiel zwischen Kirchen und Staat

Als Kinder kommen die Schüler ans Gymnasium, als Volljährige verlassen sie es wieder. Das gleiche trifft auch für Realschüler zu, wenn sie anschließend auf FOS oder BOS wechseln. Während dieser Zeit haben die Schüler* zwei Lebens-Übergänge zu bewältigen: den vom Kind zum Jugendlichen und den vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Der erste dieser Übergänge geschieht ganz von selbst: Mit Beginn der Geschlechtsreife geraten die Kinder in den alles verändernden Prozess der Pubertät, der sie neben starker körperlicher Veränderungen bisweilen in bisher unbekannte chaotische Gefühlslagen werfen kann. Alle Lehrkräfte, die mit Mittelstufenklassen zu tun haben und die Schüler in dieser Zeit begleiten, aushalten und konstruktiv mit ihnen umgehen müssen, wissen, wie schwierig dies sein kann.

Erwachsenwerden – wie geht das?

Der zweite Übergang geht nicht von selbst. Zwar werden die Schüler mit ihrem 18. Geburtstag volljährig und damit rechtlich gesehen zu Erwachsenen, in den meisten Fällen bedeutet dies jedoch nicht, dass sie dann auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Charakterbildung schon zu selbstverantwortlichen Erwachsenen geworden sind. Mit dieser Thematik werden eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die sich viele Eltern und Verantwortliche in Erziehung und Bildung oft gar nicht stellen, die aber entscheidend sind, um die Situation von jungen Leuten zu verstehen:

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Nun könnte man einwenden, dass doch die Schulen diesen ganzen Prozess begleiten und die Schüler zu den bekannten Bildungsabschlüssen in der Realschule oder dem Abitur am Gymnasium oder an FOS und BOS führen. Noch immer gilt das Abitur als „der“ Ritterschlag, das Abiturzeugnis als „das“ Reifezeugnis für den Eintritt als Erwachsener in unsere Bildungsgesellschaft. Aber sind unsere Abiturienten tatsächlich schon erwachsen, nur weil sie diesen Abschluss haben, wenn sie doch noch kein eigenes Geld verdienen, sondern finanziell von den Eltern oder über das Bafög von „Vater Staat“ abhängig sind? Ich glaube eher Nein! Zudem fehlen in unserer heutigen Gesellschaft geeignete Initiations-Rituale, die den Jugendlichen den Übergang ins Erwachsensein erleichtern könnten….

Kirchliche Rituale und Jugendweihe

Die katholische und evangelische Kirche in Deutschland bieten mit Firmung und Konfirmation zwei Zeremonien an, die von ihnen selbst als „Initiationsrituale ins Erwachsensein“ bezeichnet werden. Diese Formulierung mag vielleicht bezüglich des Glaubensinhaltes selbst, den die Kirchen dabei vermitteln wollen, zutreffen. Für eine echte Initiationswirkung in ein eigenes Leben kommen diese kirchlichen Rituale im Alter von nur 14 Jahren jedoch viel zu früh und sind zudem viel zu sehr und zu einseitig auf das „System Kirche“ bezogen.

Dennoch haben Firmung und Konfirmation durchaus Sinn, weil sie von der Familie und in der Kirchengemeinde noch verstanden werden: „Was, das Kind ist schon 14 Jahre alt geworden? War da nicht vor kurzem erst die Taufe oder (im katholischen Fall) die Erstkommunion?“ Firmung und Konfirmation sind somit in Wahrheit „Pubertäts-Bestätigungs-Rituale“, aber eben keine Initiationsrituale ins Erwachsensein. Als Pubertäts-Anzeige-Rituale haben sie durchaus ihre Berechtigung, weil sie – im dazu passenden Alter veranstaltet – das Ende der Kindheit und den Beginn der Geschlechtsreife (Jugendzeit) markieren können.

Als echte Initiationsrituale, die in der Adoleszenzphase und beim Übergang zur Volljährigkeit mit 16, 17 oder 18 Jahren erfolgen und eine wirkliche Mutprobe und echte Herausforderung an die Jugendlichen darstellen, kommen Firmung und Konfirmation viel zu früh. An der Schwelle zur Volljährigkeit haben die Kirchen dann nichts mehr anzubieten, da sie ja ihr Pulver schon vorher mit den genannten Ritualen verschossen haben.

Ähnliche Überlegungen kann man für die in ostdeutschen Ländern noch immer praktizierte Zeremonie der „Jugendweihe“ anstellen. Während der DDR-Zeit galt es als wichtiges Ritual zur Vorbereitung für die sozialistische Gesellschaft und war diesbezüglich von dem autoritären DDR-Regime ideologisch aufgeladen. Das Ritual wurde ebenfalls meist im Alter von 14 Jahren durchgeführt wie die kirchlichen Rituale Firmung und Konfirmation.

Heute wird die Jugendweihe meist von privaten Elterninitiativen oder von der örtlichen Gemeinde organisiert. Der ursprüngliche Inhalt der DDR-Jugendweihe ist – Gott sei Dank – weggefallen. Dafür werden jetzt allgemeingültige Werte für das Zusammenlebens in einer freien demokratischen Gesellschaft betont, in die die Jugendlichen hinein initiiert werden sollen. Für die Jugendweihe gelten damit ähnliche Überlegungen wie für Firmung und Konfirmation: Es ist, wenn überhaupt, ein Pubertäts-Bestätigungs-Ritual, aber sicher kein Initiations-Ritual ins Erwachsensein.

Ping-Pong-Spiel Kirche – Staat

Es bleibt für mich unverständlich, dass die staatlichen Schulen das Thema „Initiation“ komplett vermeiden und bezüglich geeigneter Initiations-Rituale für die Schüler überhaupt keine Angebote machen. Bei Anfragen an die Lehrplan-Macher wird gerne auf die beiden großen Kirchen verwiesen, die doch bereits Firmung oder Konfirmation veranstalten; oder an private Elterninitiativen in Ostdeutschland, die das Ritual der „Jugendweihe“ organisieren (s.o.). Die Kirchen wiederum können mit Recht argumentieren, dass die staatlichen Schulen doch Zugang zu allen Jugendlichen haben, um als Hinführung zur Volljährigkeit und zum Erwachsenwerden entsprechende Rituale im schulischen Kontext anzubieten; und um den jungen Leute diesen so wichtigen Übergang zu erleichtern und sie auf die Erfordernisse unserer Bildungsgesellschaft besser vorzubereiten. Hier erkenne ich ein unverantwortliches Ping-Pong-Spiel zwischen den Kirchen und den staatlichen Kultusbehörden in der Vermeidung der Thematik „Initiation“.

Dabei hätten es die Kultusministerien der Länder doch selbst in der Hand, schon in den Lehrplänen Angebote auch bezüglich geeigneter Initiationsritualen zu machen. Große Fehlanzeige! Hier klafft eine wirkliche entwicklungs-psychologische Lücke bei unseren Jugendlichen, die diesbezüglich von Gesellschaft und Schule sich selbst überlassen werden. Die staatlichen Schulen lassen eine große Chance ungenutzt und verschieben die so wichtige Bildungsaufgabe der „Initation“ ins Private. Dies erscheint für mich unverantwortlich. Meiner Erfahrung nach müsste der Initiations-Gedanke viel mehr in die Lehrerausbildung einfließen und dabei einen zentralen Stellenwert bekommen. Es ist unverständlich, unsere Jugendlichen durch das Bildungssystem zu schleusen, ohne die Thematik „Persönlichkeitsentwicklung – Erwachsenwerden – Initiation – Initiationsrituale“ in den Mittelpunkt der Pädagogik zu stellen.

Fast alle Schüler sind volljährig und damit zumindest rechtlich gesehen erwachsen, wenn sie ihr (Fach)Abitur machen und danach „ins Leben“ entlassen werden. Es kann nicht sein, dass man die Heranwachsenden zwar fachlich im Abitur examiniert, sie aber nicht auf das Erwachsensein selbst vorbereitet. Der „Initiationsprozess“ müsste eine eigene Disziplin sein, zumindest jedoch ausführlich und explizit in einigen Fächern des Bildungskanons thematisiert werden. Denn nur so können die Schulen die Jugendlichen aufs Erwachsenwerden und aufs wirkliche Leben besser vorbereiten.

In der zweiten Folge des Gastbeitrags, die in den nächsten Tagen auf News4teachders erscheint, beschreibt Peter Maier das von ihm entwickelte Konzept des WalkAway. 

Weitere Infos: www.initiation-erwachsenwerden.de

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