MÜNCHEN. Die CSU will bei Abschlussfeiern an Schulen bundesweit künftig Hymnen verpflichtend spielen lassen – als Zeichen von Identität und Zusammenhalt. Lehrkräfteverbände teilen das Ziel, warnen aber vor staatlichem Zwang. Statt Symbolpolitik fordern sie Zeit, Beteiligung und mehr politische Bildung. Und die SPD stellt lapidar fest: „Wirklich weiterhelfen tut das niemandem.“

Der Beschluss fiel gleich zu Beginn des CSU-Parteitags in München – und mit großer Geschlossenheit. Einstimmig nahmen die Delegierten den Antrag A14 an, der vorsieht, bei gesellschaftlich relevanten Anlässen verpflichtend Hymnen zu spielen. Konkret sollen bei der Verleihung von Schul- und Berufsabschlüssen künftig die deutsche Nationalhymne und die Europahymne erklingen, in Bayern zusätzlich die Bayernhymne. Der Antrag war zuvor von mehr als 2.600 CSU-Mitgliedern in einer Online-Abstimmung zu einem der meistunterstützten Parteitagsanträge gewählt worden.
Nun liegt der Ball bei den CSU-Abgeordneten im Landtag und im Bundestag. Für den schulischen Bereich könnte es nach Einschätzung der Partei schnell gehen. Der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion, Klaus Holetschek, erklärte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, der Parteitagsbeschluss sei wichtig, man wolle ihn „schnell umsetzen“. Bayernhymne und deutsche Nationalhymne seien, so Holetschek, „ein klares Bekenntnis zu unserem Staat, unserer Gesellschaft und unseren gemeinsamen demokratischen Werten“. Es gehe darum, ein identitätsstiftendes Zeichen für die Gemeinschaft zu setzen. „Langwierige Debatten und endlose Bedenken bringen uns hier nicht weiter“, sagte der CSU-Politiker.
„Symbol der nationalen Identität, der Zusammengehörigkeit und des Patriotismus und repräsentiert die Nation, ihre Geschichte, ihre Werte und ihren Stolz“
Eingebracht worden war der Antrag von der Jungen Union. In der Begründung verweist sie auf große Sportereignisse wie den Superbowl in den USA, bei denen die Nationalhymne eine zentrale Rolle spiele. Die Hymne sei „Symbol der nationalen Identität, der Zusammengehörigkeit und des Patriotismus und repräsentiert die Nation, ihre Geschichte, ihre Werte und ihren Stolz“. Angesichts zunehmender Kinder- und Jugendgewalt sei eine Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls notwendig. Zudem erhoffen sich die Antragsteller mehr Patriotismus – und damit auch mehr Bewerber für die Bundeswehr. Auch die Integration insbesondere minderjähriger Asylbewerber könne „kostengünstig und ohne größeren Aufwand“ gefördert werden. Nicht zuletzt gehe es darum, „unsere Nationalsymbole nicht den rechten Randgruppen zu überlassen“.
Rückendeckung erhält die CSU dabei vom Koalitionspartner – teilweise jedenfalls. Der Vorsitzende der Freie-Wähler-Landtagsfraktion, Florian Streibl, sagte dem Bayerischen Rundfunk, jeder Versuch, sich auf die Verfassungswerte zu besinnen, sei zu begrüßen. „Einigkeit, Recht und Freiheit sind Werte, auf die wir zu Recht stolz sein können. Sich auf diese Werte bei besonderen Gelegenheiten zu besinnen, ist richtig.“
Zurückhaltender äußert sich dagegen allerdings das Kultusministerium. Dort verweist man darauf, dass es den bayerischen Schulen bislang freistehe, bei festlichen Anlässen wie Zeugnisverleihungen die Bayern- oder Deutschlandhymne zu spielen. „Das machen die Schulen auch sehr regelmäßig“, heißt es aus dem Haus von Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler). Eine gesetzliche Verpflichtung existiert bislang nicht.
Deutliche Vorbehalte kommen aus der Lehrerschaft. In einer gemeinsamen Stellungnahme äußern der Bayerische Realschullehrerverband, der Bayerische Philologenverband und der Verband der Lehrkräfte an beruflichen Schulen zwar Verständnis für die Intention des Antrags. Hinter ihm stecke „der Wunsch nach einer Wiederbelebung von integrativen, gemeinschaftsstiftenden Ritualen“, was vor dem Hintergrund einer zunehmenden gesellschaftlichen Zersplitterung nachvollziehbar sei. „Eine Debatte in diese Richtung zu starten, ist lohnens- und lobenswert“, erklären die Verbände.
„Traditionen, die über Jahrzehnte leer geworden und verloren gegangen sind, können nur schwer ‚von heute auf morgen‘ durch verpflichtende Setzungen wiederbelebt werden“
Skepsis äußern sie jedoch gegenüber dem Weg, dieses Ziel zu erreichen. „Fraglich ist jedoch der aufgezeichnete Weg, durch eine von oben gesetzte Verpflichtung, Fakten zu schaffen“, heißt es in der Stellungnahme. Rituale, die integrativ und gemeinschaftsstiftend wirken sollen, müssten die Herzen der Adressaten erreichen. „Traditionen, die über Jahrzehnte leer geworden und verloren gegangen sind, können nur schwer ‚von heute auf morgen‘ durch verpflichtende Setzungen wiederbelebt werden.“
Gewinnbringender sei es, junge Menschen einzubeziehen und mitzunehmen. Die Verbände erinnern in diesem Zusammenhang an einen Schülerwettbewerb für eine neue dritte Strophe der Bayernhymne, den die Staatsregierung 2012 ausgeschrieben hatte. Gewonnen hatten damals Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Oberschule Bad Tölz. An solchen partizipativen Ansätzen sollte aus Sicht der Verbände erneut angesetzt werden.
Auch der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband lehnt eine Verpflichtung von oben ab. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann betont zwar ausdrücklich, dass die Zielsetzung der CSU richtig sei. „Wir brauchen dringender denn je ein Wir-Gefühl“, sagte sie gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. „Gemeinschaftsgefühl, Zusammengehörigkeit, Verständigung auf gemeinsame Werte und nationale Identitäten und demokratische Identifikation – das sind alles richtige Ziele.“
Aus pädagogischer Sicht hält Fleischmann den eingeschlagenen Weg jedoch für wenig zielführend. „Um das zu erreichen, braucht es viel mehr als das Singen einer Hymne“, betont sie. Entscheidend sei die Auseinandersetzung mit dem Inhalt. „Was ist denn die Europahymne? Was wird da gesungen? Was singt man in der Bayernhymne? Was sind unsere Werte?“ Junge Menschen, so Fleischmann, bildeten Werte nicht durch Zwang und Verordnungen, sondern aus Überzeugung und gelebter Erfahrung. Schulen bräuchten deshalb einen partizipativ geprägten Alltag, in dem Schülerinnen und Schüler Verantwortung für das Miteinander übernehmen und die dahinterstehenden Werte reflektieren.
Fleischmann verweist dabei ausdrücklich auf die Lebensrealität vieler Kinder und Jugendlicher. „Es geht darum, zu fragen: ‚Was singe ich da? Welche Ideale stecken dahinter? Einigkeit, Freiheit – erlebe ich das auch so?‘ Denn was sind das für große Begriffe, wenn du diese als Mensch, der hier in Bayern lebt, als Jugendlicher und als Kind, eben gerade NICHT erlebst – sondern stattdessen Rassismus und Ausgrenzung?“ Singen könne man den Text, sagt Fleischmann, „aber verstehen muss man ihn eben auch. Dann die Haltung dahinter auch wirklich zu leben, das ist nochmal ein Riesenschritt.“
Aus Sicht des BLLV ersetzt eine Hymnenpflicht keine wirksame Demokratie- und Wertebildung. Schulen bräuchten keine engen methodischen Vorgaben, sondern Freiräume, um übergeordnete Ziele in den Mittelpunkt des Schulalltags zu rücken. „Es muss uns an den Schulen gelingen, eine wirkliche Haltung der Menschenwürde zu leben, auch des Pluralismus“, betont Fleischmann. „Dazu braucht es aber mehr als eine Verfassungsviertelstunde oder eine Verordnung, dass bei einer Feier gesungen wird. Es braucht Tiefgang in der politischen Bildung.“
Auch aus der SPD kommt Kritik. Der bayerische Landesvorsitzende Sebastian Roloff erklärt trocken im Spiegel: „Wer davon ablenken möchte, dass es auch in Bayern großen Bedarf gibt, in Schulen und Bildung zu investieren, führt solche Debatten.“ Geholfen werde damit niemandem. News4teachers








