Wehrdienst-Proteste: Zig-Tausende Schüler boykottieren den Unterricht (oft entschuldigt)

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BERLIN. In ganz Deutschland riefen Initiativen zu Demonstrationen gegen die Wehrdienst-Pläne der Bundesregierung auf. Schüler boykottierten in zahlreichen Städten den Unterricht. Oft unterstützten Eltern sie – mit Entschuldigungen wegen Krankheit. Die GEW zeigt Verständnis für die Aktionen: Die Gewerkschaft sieht sie als Teil eines praktischen Demokratie-Unterrichts. 

In zahlreichen Städten und Orten in ganz Deutschland haben viele tausend Schüler und andere Menschen gegen das neue Wehrdienst-Gesetz der Bundesregierung demonstriert. Viele von ihnen schwänzten für den Protest den Schulunterricht. Die Initiatoren der Demonstrationen hatten zu einem «Schulstreik gegen Wehrpflicht» aufgerufen. In mehreren Bundesländern hatten Ministerien auf die Schulpflicht verwiesen.

Der Bundestag beschloss am Vormittag das sogenannte Wehrdienst-Modernisierungsgesetz. CDU und SPD hatten sich auf einen zunächst freiwilligen Wehrdienst geeinigt. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2026 in Kraft treten. Junge Männer müssen dann einen Fragebogen ausfüllen. Später sollen sie gemustert werden.

Vor allem in den großen Städten beteiligten sich viele meist junge Menschen an den Demonstrationen. In Berlin versammelten sich ab Mittag nach Polizeiangaben etwa 3000 Demonstranten -und zogen durch den Stadtteil Kreuzberg. Viele hatten Transparente dabei, auch Sprechchöre richteten sich gegen einen Wehrdienst bei der Bundeswehr. An der Demonstration nahmen auch Eltern mit kleineren Kindern und Grundschulklassen mit selbstgebastelten Plakaten teil.

Unter den Demonstranten war auch eine 6. Klasse einer Grundschule in Kreuzberg, die Plakate im Unterricht gebastelt hatte: «Ihr alten Knacker müsst ja nicht kämpfen», hieß es dort, sowie: «Wir wollen Waffeln statt Waffen» und «Keiner für Wehrpflicht alle für Lernpflicht». Für die Teilnahme der Kinder hatten die Eltern laut den Erziehern Freistellungsaufträge gestellt.

Eine elfjährige Schülerin sagte: «Ich finde es unfair, wenn Menschen zur Wehrpflicht gehen. Die meisten wollen das nicht freiwillig machen und sie werden dann dazu gezwungen. Deutschland ist ein demokratisches Land. Deshalb sollte man auch entscheiden dürfen, ob man gehen will oder nicht. Viele Menschen haben Angst, dass sie sterben.»

Von den Eltern krankgeschrieben

Der 16-jährige Justin sagte: «Wir wollen die Wehrpflicht nicht, deswegen stehen wir heute hier. Es gibt Leute, die haben andere Wünsche und haben einen Traumberuf. Wenn sie dann eingesetzt werden, wird ihnen das verbaut.» Theo, ebenfalls 16 Jahre alt, ergänzte: «Ich finde, man sollte nicht gegen seinen Willen zum Militär gezwungen werden, sich für eine Regierung in den Tod zu werfen oder für sie zu kämpfen.» Beide Berliner Schüler ließen sich von ihren Eltern für die Demonstration krankschreiben.

In Hamburg gingen nach Polizeiangaben 1700 Menschen auf die Straße, die Organisatoren sprachen von bis zu 5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Auch in zahlreichen Städten Nordrhein-Westfalens gab es Demonstrationen, in Dortmund mit 1.000 Teilnehmern, in Köln, Düsseldorf, Essen und Bochum jeweils mit mehreren hundert.

«Für Wahlen zu jung, aber für Krieg reicht’s»

Gut 2.000 Menschen beteiligten sich in Sachsen am «Schulstreik», etwa in Dresden, Leipzig und Chemnitz. Die überwiegend jungen Menschen in Dresden riefen «Kein Mensch, kein Cent der Bundeswehr» und «Hoch mit der Bildung, runter mit der Rüstung». Auf den Transparenten und Plakaten war unter anderem zu lesen: «Für Wahlen zu jung, aber für Krieg reicht’s» und «Für eine Zukunft ohne Zwangsdienste».

Im Süden Deutschlands gab es Demonstrationen mit insgesamt vielen tausend Menschen in München, Stuttgart, Freiburg, und Heidelberg. In Frankfurt versammelten sich laut Polizei rund 600 Schülerinnen und Schüler. Unter ihnen waren auch Friedemann (15) und Max (16), die sagten, sie fänden es wichtig zu zeigen, «dass wir nicht einverstanden damit sind, dass praktisch die älteren Politiker darüber entscheiden, wie wir zu leben haben oder was wir machen müssen».

Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg hatte angesichts der geplanten Proteste vorab vor Schulstreiks oder Unterrichtsboykott gewarnt. Das sei nicht erlaubt, der Freitag sei ein normaler Schultag, sagte die Grünen-Politikerin der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung».

Hamburg äußerte dem Bericht zufolge aber auch Verständnis für Proteste gegen die Pläne des Bundes: «Die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre ein massiver Einschnitt in die Lebensplanung junger Menschen», sagte sie. «Ich halte es für richtig, zunächst auf Freiwilligkeit zu setzen und Bundeswehr sowie Freiwilligendienste attraktiver zu machen.»

GEW: «Wir verlangen nachdrücklich, ausschließlich den Weg der Freiwilligkeit zu gehen»

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stellte sich hinter die Proteste. Sie befürwortete in einer Pressemitteilung, «dass sich Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Unterrichts mit tagespolitischen Themen auseinandersetzten und damit auch an gesellschaftlichen Debatten teilnehmen». Mit den Schülerstreiks hätten Tausende junge Menschen, die von dem beschlossenen Gesetz direkt betroffen sein werden, ihre Ablehnung klar ausgedrückt.

Die GEW lehnt das Gesetz nach eigenem Bekunden ab. «Wir nehmen wahr, wie sehr die Frage nach der Zukunft der Bundeswehr die deutsche Gesellschaft, vor allem aber auch die jungen Menschen, bewegt. Und für uns ist klar: Pflichtdienste bedeuten immer einen starken Eingriff in die Entscheidungsfreiheit junger Menschen, gegen den wir uns klar positionieren“, sagte Vorsitzende Maike Finnern. «Wir verlangen nachdrücklich, ausschließlich den Weg der Freiwilligkeit zu gehen.»

Finnern stellte klar, dass das Gesetz zum Einfallstor in die Entscheidungsfreiheit der jungen Generation werde. In der aktuellen Fassung des Gesetzes, das noch der Zustimmung des Bundesrates bedarf, um ab dem kommenden Jahr rechtskräftig zu werden, heißt es explizit, der Bundesregierung werde «die Möglichkeit eingeräumt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Deutschen Bundestages die verpflichtende Heranziehung von Wehrpflichtigen zu veranlassen, wenn die verteidigungspolitische Lage dies erfordert und attraktivitätssteigernde Maßnahmen zur Erhöhung freiwilliger Bewerbungen nicht rechtzeitig wirksam werden».

Während ihres Gewerkschaftstages im Mai hatte die GEW beschlossen, dass sie jede Form der Wiedereinsetzung der Wehrerfassung und der Wehrpflicht grundsätzlich ablehne. Zudem positionierte sie sich auch deutlich gegen sonstige verpflichtende Ersatzdienste. «Wir stellen uns einer weiteren Militarisierung der Bildung und Gesellschaft klar entgegen. Eine Wehrpflicht darf es nicht geben», unterstrich Finnern. News4teachers / mit Material der dpa

Wehrdienst-Streit: Union warnt Schulen davor, Schüler bei ihrem Schulstreik zu unterstützen

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