Orientierung geben! Wie Eltern Kinder gegen psychische Erkrankungen stark machen

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BERLIN. Immer mehr Kinder und Jugendliche haben psychische Probleme, zeigen aktuelle Zahlen. Dagegen hilft: früh etwas für die Widerstandskraft tun. Doch wie stellen Eltern das konkret an?

Erwachsene sind gefordert – als Vorbilder. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Laut dem aktuellen DAK-Präventionsradar zeigt jede siebte minderjährige Person depressive Symptome, jede dritte fühlt sich einsam. Auch die Ergebnisse der Lancet-Psychiatrie-Kommission zur mentalen Gesundheit Jugendlicher sind «alarmierend», so Cornelia Metge, Vorstandsmitglied der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin.

Andreas Hillert ist Chefarzt der Schön Klinik Roseneck in Prien. Er sieht bei vielen seiner jungen Patienten eine gewisse Orientierungslosigkeit: 50 Prozent der jugendlichen Patienten antworteten auf die Frage, was sie nach dem Schulabschluss vorhaben, mit «keine Ahnung». Diese Orientierungslosigkeit dürfte häufig auch ein Ergebnis individualistischer Erziehungsmodelle und Verhaltensweisen der Eltern sein, so der Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin. Etwa wenn man in Familie und Umfeld nach dem Motto «Egal was du tust, Hauptsache du bist glücklich» lebe, aber die Integration in gesellschaftliche Strukturen vernachlässigt werde.

Ein erfülltes Leben setze aber voraus, dass man individuelle Wünsche und Möglichkeiten mit dem, was in der jeweiligen Gesellschaft gebraucht und bezahlt wird, zu einer tragfähigen Passung bringt.

«Jedem Kind sollte das Werkzeug an die Hand gegeben werden, seine Resilienz zu stärken», sagt Professor Andreas Hillert. Dabei seien Kooperation zwischen den Hilfesystemen, insbesondere Kita, Schule, Jugendhilfe und Gesundheitswesen gefragt – aber auch die Eltern. Wie macht man Kinder also fit fürs Leben?

Vorbildlich: Orientierung geben statt unbegrenzte Freiheit

Hillert rät Eltern, den Kindern die Bedeutung von Verantwortung und Struktur im Leben zu vermitteln. So schaffen sie ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, sich realistische Ziele zu setzen – und Verantwortung für die eigene Zukunft zu übernehmen.

Konkret bedeute das: Eltern sollten über ihren Beruf und ihre Tätigkeit reden. Und zwar auf erwachsene Art und Weise: «Das heißt, ich meckere nicht nur über meinen Chef und wie schlimm alles ist, sondern ich versuche, dadurch einen Wert zu vermitteln», so der Psychiater. «Etwa indem man sagt: Ich habe zwar einen stressigen Job, aber in dem Bereich macht er Spaß. Das ist mir wichtig, darum mache ich es.»

In dem Zusammenhang lässt sich auch gleich vermitteln, dass Einsatz sich lohnt. Oder auch sein muss: Ab einem bestimmten Alter sollten Eltern Jugendliche an das Thema heranführen und sagen: «Wenn du dir etwas Besonderes kaufen willst, dann verdienst du bitte selber das Geld», rät Hillert.

Eltern, nicht «Freunde» sein und Konflikte zulassen

«Eltern müssen Verantwortung in der Elternrolle übernehmen», sagt Hillert. Das bedeutet: «Ich muss nicht immer gemocht werden.»

Dazu gehöre auch, Differenzen zuzulassen und auszuhalten, an denen Kinder wachsen können: «Eltern tun sich selber kurzfristig einen Gefallen, zu sagen: Ich tue alles für dich, mein Kind. Aber mittel- und langfristig vermeiden Eltern die Konflikte, die nötig sind, um Kindern Orientierung zu geben.»

Selbstverantwortung und Selbstwirksamkeit vermitteln

Alles von den Kindern fernhalten, Unangenehmes für sie regeln – das ist vielleicht gut gemeint, aber Eltern sollten – immer altersgerecht – bestimmte Verantwortungen den Kindern überlassen, so Hillert. Etwa sagen: «Das Problem mit deiner Freundin, mit der du dich gestritten hast: Bitte kläre das selber, du bist jetzt zwölf, da müsst ihr das hinkriegen.»

Auf der anderen Seite empfiehlt er, Kinder in das Leben der Erwachsenen einzubeziehen, «und nicht zu meinen, man muss Kinder schonen und sie irgendwie erst später da heranführen». Denn: «Wo soll ich als Kind meine Vorbilder sonst herbekommen?»

Mediennutzung selbst begrenzen

Smartphones, Computer und Games gehören zu unserem Alltag. Übermäßige Online-Zeit kann jedoch zu sozialer Inkompetenz und Isolation führen, weshalb Eltern hier klare Grenzen setzen sollten. Das ist nicht immer einfach: «Als Erwachsene wissen die Eltern, dass die Mediennutzung limitiert ist. Und wenn der Sohn deswegen schreit, müssen sie das aushalten.» Das sei durchaus eine schwierige Situation, gerade wenn etwa Klassenkameraden länger und mehr dürfen als das eigene Kind. Hier ist vor allem Vorleben wichtig. Für Eltern heißt das: selbst nicht unbedingt nach der Arbeit noch vier Stunden lang online unterwegs sein.

Und was können Kinder und Jugendliche stattdessen tun? «Mit Freunden treffen und Musik hören, geben viele Jugendliche als Hobbys an», so Hillert, «aber das sind beides Interessen, die keine verbindliche Verantwortungsübernahme beinhalten.» Eltern sollten ihre Kinder daher dabei unterstützen, sich verbindlich Aktivitäten im echten Leben zu suchen, Musikunterricht oder Sport etwa. Dabei ist ein gewisses Maß an Konsequenz gefragt: Ein Instrument sollte nicht nur ein halbes Jahr «probiert», sondern regelmäßig intensiv geübt werden – was absehbar nicht immer Spaß machen wird, sagt Hillert.

Sport für soziale Kompetenz

Sport hält er für besonders effektiv und empfiehlt unbedingt, Kinder an den Sport heranzuführen. Das könne man auch später im Leben nur bedingt aufholen, denn: «Es ist wichtig, dass Lernerfahrungen über Jahre gemacht werden. Und es ist völlig gleichgültig, ob das Kind Hockey, Fußball oder irgendwas anderes spielt. Denn letztlich geht es um gemeinsame Interessen, verbindliche Interessen in einer Gruppe.»

Solche Aktivitäten helfen Kindern auch dabei, starke soziale Netzwerke aufzubauen. Regelmäßiger Kontakt zu anderen ist wichtig für die psychische Gesundheit und kann die Resilienz der Kinder, also auch ihre Widerstandskraft gegen psychische Erkrankungen, stärken.

Hillert: «Wenn Eltern es versäumen, ihren Kindern einen Rahmen zu geben, in dem sie soziale Kompetenzen trainieren und verbindliche Interessen entwickeln, erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder ihre Identität in einer psychischen Störung und damit der Rolle eines Patienten wiederfinden.»

Kein Stress kann schädlich sein

Es klingt gut gemeint. Doch das Erziehungs-Motto «Mach was du willst, Hauptsache du bist glücklich» führe Hillert zufolge eher zu Stress und geringerer Belastbarkeit. Das zeigten auch seine Forschungen zu Anfälligkeit und Therapieerfolg in unterschiedlich orientierten Milieus, den sogenannten Sinusmilieus, die die Gesellschaft nicht nach sozioökonomischen Faktoren, sondern nach Wertvorstellungen clustern. Jugendliche aus dem «hedonistischen» Milieu, in dem eher Spaß im Hier und Jetzt ein Wert sei und vermittelt werde, seien demzufolge in psychiatrischen Einrichtungen überrepräsentiert, so der Mediziner.

Zugleich seien ihre Erfolgsaussichten aber deutlich schlechter als für Jugendliche aus eher traditionellen Milieus, in denen mehr Wert auf berufliche und persönliche Perspektiven gelegt wird. Eltern sollten also nicht weniger Stress, sondern mehr Orientierung ermöglichen. Von Bettina Lüke, dpa

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laromir
1 Jahr zuvor

Das ist jetzt alles nicht so neu. Es ist bei vielen Eltern nur sehr schwer zu vermitteln. Da sind es immer nur die armen Kinder, alles ist zu schwer, alles zu viel, die anderen sind Schuld, man trägt ihnen alles nach und verhindert jegliches Scheitern. Man traut den Kindern nichts mehr zu, befürchtet dass sie sich am Ende verletzen, am überwacht sie per Smartwatch und Handy rund um die Uhr. Oder man kümmert sich gar nicht um sie oder man macht sie zu seinem Lebensprojekt, dass niemals Scheitern darf und all die eigenen nicht umgesetzten Träume stellvertretend verwirklichen soll. Vor ein paar Jahren waren das noch Einzelfälle, mittlerweile regelmäßig und teilweise bis zum Abitur. Und die Eltern glauben, dass es das beste für das Kind ist, wenn es niemals enttäuscht wird, immer in den gewünschten Kurs kommt, sie nicht anstrengen muss usw. Sie hören sich nur sehr ungern die Kehrseite an: Kinder mit sehr niedriger Frustrationstoleranz, immer nur auf ihre Wünsche fokussiert, ohne Rücksicht auf andere und mit niedriger Anstrengungsbereitschaft aber höchsten Ansprüchen. Ich mache den Kindern da keinen Vorwurf, die Eltern sind an dieser Stelle der anstrengende Part. Ist halt für die Kinder blöd, sobald sie feststellen müsse , dass sich nicht die ganze Welt auf sie anpasst, kein Job vor die Füße geworfen wird, niemand ihnen die Abschlussprüfung schreiben oder den Führerschein machen kann. Wie wollen sie ein eigenständig selbstbestimmtes Leben führen, wenn sie keine Erfahrungen, gute wie schlechte, machen konnten? Ich spreche hier auch aus Eltern Sicht. Missbilligende Blick, wenn das Kind auch bei Regen mit den Bus fahren muss, wenn es häusliche Pflichten gibt, wenn schulische Angelegenheiten das Aufgabenfeld des Kindes sind und nicht meins, wenn das Kind nicht rund um die Uhr gebracht wird. Als wäre man völlig verantwortungslos.

Biene
1 Jahr zuvor
Antwortet  laromir

Dem Stimme ich vollkommen zu.
Die Kinder bekommen bei zu viel Wattierung nach der Schule den steinharten Realitätsschock. Und die Eltern fragen sich dann, wenn überhaupt, ob das möglich ist.

laromir
1 Jahr zuvor
Antwortet  Biene

Der Schock fängt doch in der Schule schon an, wenn es gesetzliche Regelungen gibt. Das Drama, wenn am Geburtstag die Klassenarbeit liegt, das sofort ungerecht behandelt fühlen, wenn die eigene Klasse 3 Arbeiten in einer Woche hat und die Parallelklasse nur zwei. Kommentare unter den Arbeiten, dass man “das Falsche” abgefragt hat. 3 h Elternabend wegen der Packliste der Klassenfahrt, Diskussionen, warum Handys zu Hause bleiben müssen und man nicht jeden Abend gute Nacht sagen kann. Emails wegen der Zinmerbelegung, wegen der Projektwochenzuteilung, wegen der Nachmittagsangebote, dem “falschen” Grundkurs etc. Es ist schon erstaunlich, wieviel Energie Eltern aufbringen können, wenn es um Beschwerden geht. Mein Kind bekommt gesagt, dass es sich 3 schöne Projekte aussuchen soll, damit es mit 1., 2. Und 3. Wunsch Spaß an der Projektwoche haben kann und am Ende nicht enttäuscht ist. Hat bislang immer gut geklappt. Und war wesentlich weniger Aufwand als eine Beschwerde an die Schule. Ich bin echt manchmal total irritiert aus Eltern- und Lehrkräfteperspektive, wegen was man alles ein Fass aufmachen kann.

Katinka
1 Jahr zuvor
Antwortet  laromir

Sehr gut zusammengefasst. Genau das ist auch das Problem, warum viele Schüler und Schülerinnen kaum noch Stress ertragen bzw. so viel Stress empfinden, nicht genug Resilienz entwickeln und in der Schule immer alles noch einfacher gemacht werden soll. Statt ständig zu versuchen, Druck und Stress zu reduzieren – ein Leben gänzlich ohne gibt es nunmal nicht – sollten Kinder lernen, damit umzugehen. Eltern sind nunmal nicht die Freunde ihrer Kinder, man muss auch Konflikte austragen können, Eltern müssen auch mal nein sagen und Grenzen setzen, das schaffen viele nicht mehr aus Angst, das Kind könnte ein Trauma davontragen. Auch die Medienzeit sollten Eltern streng im Blick haben, aber auch da fehlt viel Wissen und Durchsetzungsvermögen.

Katze
1 Jahr zuvor

Schluss mit Pampern und in Watte packen. Strukturierten fordernden Unterricht anbieten statt “selbstorganisierter Lernarbeit” im Gruppen-Trullala von Unorganisierten und
Überforderten.

Lisa
1 Jahr zuvor

“Mit Freunden treffen und Musik hören, geben viele Jugendliche als Hobbys an», so Hillert, «aber das sind beides Interessen, die keine verbindliche Verantwortungsübernahme beinhalten.» Eltern sollten ihre Kinder daher dabei unterstützen, sich verbindlich Aktivitäten im echten Leben zu suchen, Musikunterricht oder Sport etwa. Dabei ist ein gewisses Maß an Konsequenz gefragt: Ein Instrument sollte nicht nur ein halbes Jahr «probiert», sondern regelmäßig intensiv geübt werden – was absehbar nicht immer Spaß machen wird, sagt Hillert.”
Das sind so Mittelschichts- Lebensmodelle, die leider an der harten Realität vieler Schüler vorbeigehen. Viele erleben eine Mischung aus Über – und Unterforderung, nicht nur Unterforderung und Pampern. Und nicht alles sollte mit Kindern besprochen werden. Während sie nicht einmal den Schulweg alleine zurücklegen, lasten auf ihnen die Probleme der ganzen Welt.