BERLIN. Das deutsche Bildungssystem muss sich grundlegend verändern, um junge Menschen besser auf die massiven Umbrüche durch Digitalisierung, Klimaschutz und demografischen Wandel vorzubereiten. Das ist die zentrale Botschaft des Bildungspolitischen Forums 2025, das nun in Berlin stattfand.

In den Vorträgen der Wissenschaftler auf dem Forum dominierte ein Gedanke: Junge Menschen müssen vor allem in die Lage versetzt werden, flexibel auf Veränderungen zu reagieren. „Für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft ist es essenziell, das ‚Lernen zu lernen‘ – also die Fähigkeit, sich immer wieder neue Fähigkeiten anzueignen, die am Arbeitsmarkt benötigt werden“, sagte Prof. Dr. Ludger Wößmann vom ifo Institut.
Auch Prof. Dr. Silke Anger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) warnte in Berlin vor den sozialen Risiken einer zu langsamen Anpassung: „Andernfalls droht für viele der Verlust der Betätigungsmöglichkeit am Arbeitsmarkt, was zu Armut und größerer sozialer Ungleichheit führen kann.“
Prof. Dr. Kerstin Schneider vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung betonte die Rolle der Politik: „Die Transformationen führen zu Veränderungsbedarf in allen Bildungsphasen. Die Politik muss dafür Ziele formulieren und den Bildungseinrichtungen Freiheiten für die notwendigen Anpassungen geben.“
Im Positionspapier: Schule im Zentrum der Kritik
Ein begleitendes Positionspapier beschreibt detailliert, wie Bildung auf den Wandel reagieren muss. „Tendenziell führen die technologischen Transformationen dazu, dass eher weniger enges Faktenwissen benötigt wird, das sich leicht im Internet suchen oder von generativer künstlicher Intelligenz bereitstellen lässt. Stattdessen geht es mehr darum, das ‚Lernen zu lernen‘ – die Fähigkeit, sich im Lebensverlauf die immer wieder neuen spezifischen Fähigkeiten anzueignen, die am Arbeitsmarkt benötigt werden”, so heißt es.
Und: „Eine wichtige Grundlage dafür sind sprachliche, mathematische und naturwissenschaftliche Basiskompetenzen, die es den Arbeitnehmenden ermöglichen, sich selbst weiterzuentwickeln und an stetige Veränderungen anzupassen. Hinzu kommen Kompetenzen wie Anpassungsfähigkeit, Problemlösen, kritisches Denken und Kreativität. Aber nicht nur die Individuen müssen neue Kompetenzen erwerben, auch die Bildungspolitik muss sich kritisch fragen, ob die für die Transformation notwendigen Prozesse im Bildungssystem unterstützt werden.”
Dazu bedürfe es evidenzbasierter Steuerung von Bildungspolitik auf Basis sehr guter Daten und einer transparenten und zielgerichteten Bildungspolitik. Besonders optimistisch, dass das gelingen kann, zeigen sich die Autorinnen und Autoren allerdings nicht: „Die verschiedenen Krisen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass das deutsche Bildungssystem nicht gut darin ist, sich schnell und effizient an Veränderungen anzupassen.“
Handlungsbedarf in allen Bildungsphasen
Sie machen deutlich: Transformation erfordert Veränderungen von der Schule bis zur Weiterbildung. In der allgemeinbildenden Schule geht es vor allem um die Sicherung von Basiskompetenzen und die Förderung jener rund 25 Prozent an Jugendlichen, die als Risikoschülerinnen und -schüler gelten und nicht ausreichend auf eine Ausbildung vorbereitet sind. Hier sei es notwendig, die schulische Arbeit klar auf die Vermittlung der für den Übergang unverzichtbaren Kompetenzen zu konzentrieren.
In der Berufsausbildung müsse es darum gehen, die Inhalte schneller an die durch Digitalisierung und Dekarbonisierung veränderten Anforderungen anzupassen. Hochschulen sollten ihre Studienangebote flexibler gestalten und stärker auf lebenslanges Lernen ausrichten. Für die Weiterbildung brauche es ein transparentes öffentliches System mit klaren Zugängen, finanzieller Unterstützung und modularen Abschlüssen.
Was heißt das für Lehrkräfte? Für sie bedeutet der geforderte Wandel, Basiskompetenzen noch konsequenter zu sichern und zugleich überfachliche Fähigkeiten wie kritisches Denken, Problemlösen und Kreativität stärker zu fördern. Schulen bräuchten dafür aber Freiräume und Unterstützung, so das Papier. Ohne mutige Anpassungen werde es nicht gelingen, die Herausforderungen von Transformation und Demografie zu bewältigen.
Hintergrund: Das Bildungspolitische Forum wird jährlich vom Leibniz-Forschungsnetzwerk Bildungspotenziale (LERN) ausgerichtet, das 28 Einrichtungen der Bildungsforschung verbindet. Die diesjährige Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend statt. Das Positionspapier wurde von einem Team um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IAB, des ifo Instituts, des RWI sowie weiterer Forschungseinrichtungen erarbeitet.
Hier lässt sich das vollständige Positionspapier herunterladen.
Ich bekomme echt die Krisen, wenn ich sowas lese:
Zunächst geht es doch noch um Schule, in der Grundwissen vermittelt werden soll, in der eine breite, stabile Basis gelegt wird. Es geht nicht um Spezialistentum oder Inhalte, die man einfach wegdiskutieren könnte.
In meinem Kinder-/Jugendalter kam der C64 gerade raus, wir hatten keine echte Informatik in der Schule. Wir haben miterlebt, wie Banken als speziellen, noch kostpflichten Service das Online-Banking einführten und Netzwerke wie StudiVZ und Co. kommen und gehen sehen.
Dennoch können wir uns heute sicher im Internet bewegen, online einkaufen, Filme und Serien streamen, Office-Anwendungen nutzen und Fotos digital bearbeiten. Ebenso experimentieren wir mit LLMs wie ChatGPT, erkennen aber auch die Probleme.
→ Das haben wir alles auch ohne entsprechenden Unterricht geschafft.
Im Gegensatz dazu haben wir heute (nicht wenige!) Kinder in iPad-Klassen, die zwar mit iPad und Stift unterwegs sind und Fragen in ChatGPT eintippen können, aber nichtmal einen Text in Word schreiben können! Auch Grundkenntnisse in Excel sind oft nicht vorhanden.
Auf jeden Fall müssen Kinder und Jugendliche lernen, selbstständig zu lernen. Aber gibt es wirklich jemanden im Bildungssystem, der das bezweifelt?
Natürlich sollen sie kreativ sein, aber Kreativität bedeutet eben nicht, einfach irgendwas zu machen, sondern bspw. solides Wissen aus unterschiedlichen Bereichen neu zu verknüpfen/rekombinieren, um damit ein Problem zu lösen.
Wenn ich einen Inhalt an der Tafel oder auf einer selbstgemalten OHP-Folie erklären kann und Rhetorik beherrsche, dann habe ich eine Grundlage, um auch eine gute Powerpoint-Präsentation zu halten. Stattdessen lernen unsere Kinder, wie man mit Powerpoint bunte, animierte Präsentationen erstellt, aber nicht, wie man vernünftig präsentiert.
Kollegen lassen Schüler Erklärvideos als Klausurersatzleitung erstellen, ohne die Grundlagen zu behandeln: Was gibt es überhaupt für Arten von Erklärvideos? Was sind die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Formen? Ist das die geforderte Anpassung an eine ständig wechselnde Welt oder einfach nur Beliebigkeit?
Auch Kritisches Denken kann man nicht einfach so lernen. Es braucht eine solide Grundlage und Hintergrundwissen, um die einkommenden Aussagen beurteilen zu können.
Wir lernen nicht “Kompetenzen” in einem Vakuum, sondern anhand konkreter Inhalte. Lernen bedeutet eben, ein ausgeprägtes Wissensnetz zu haben, in das ständig neue Inhalte eingefügt werden können.
Gerade wegen einer ständig wechselnden Umwelt ist es doch wichtig, Kindern solide Grundlagen zu vermitteln, anhand derer sie sich später anpassen können.
Die Betonung liegt dabei auf “später”: Kinder sollen und dürfen erstmal Kinder sein, sie brauchen Sicherheit und Stabilität. Unsicherheit und Votalität helfen ihnen nicht, unbeschwert zu starken und gesunden Persönlichkeiten zu werden.
Die Eltern müssen beim lernen lernen aber mitarbeiten, indem sie das anfertigen der Hausaufgaben kontrollieren. Nicht inhaltlich, aber ob das Kind sie macht.