„Phase Null“ im Schulbau: Kinder und Kollegium miteinbeziehen – so wichtig!

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BREMEN. In Bremen steht eine Grundschule, die zeigt, wie Pädagogik und Architektur in der Planung zusammenfinden können. Die Grundschule Am Baumschulenweg hat ihr neues Gebäude im Februar eröffnet – nach einem jahrelangen Prozess, der mit einer „Phase Null“ begann. Sie gilt heute als wichtiger Schritt dafür, Schulen bedarfsgerecht an ihrem Standort zu planen und zu bauen. In dieser Phase tragen auch Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler dazu bei, dass ein tragfähiges Konzept entsteht.

Wo ist die Schnittmenge? Illustration: Shutterstock

„Die Kinder an unserer Schule lernen überwiegend projektbezogen. Neben der individuellen Arbeit stehen die Gruppenarbeit, der gemeinsame Austausch zu Fragestellungen und die Hilfe durch ‚Expertenkinder‘ im Mittelpunkt.“ So beschreibt die Grundschule Am Baumschulenweg auf ihrer Homepage ihr pädagogisches Fundament – ein Konzept, das Eigenverantwortung, Mitbestimmung und gemeinsames Lernen gleichrangig fördert.

Der Unterricht folgt dem Wochenplanprinzip, das den Schülerinnen und Schülern von Beginn an beibringt, ihre Lernzeit selbst zu strukturieren. „Mit dem Wochenplan lernen die Kinder schon in der ersten Klasse ihre Arbeitszeit selbst einzuteilen und sie bekommen einen Überblick über die Arbeitsaufträge der Woche“, heißt es dort. Ein weiterer Vorteil: Eltern sehen auf einen Blick, woran ihre Kinder arbeiten.

Auch die Rhythmisierung des Schultags gehört zu diesem Prinzip. Lernen erstreckt sich über den ganzen Tag, „von 8 Uhr morgens bis 16 Uhr am Nachmittag“, verbunden mit Phasen von Spannung und Entspannung. Phasen intensiven Lernens wechseln sich mit Freiarbeit, Projekten, Bewegung, Spiel und Entspannung ab. Bewegung, Sport und demokratische Teilhabe sind dabei ebenso fest verankert wie Naturbezug und Umweltbewusstsein: Die Schule unterhält Bienenvölker, ein Hühnergehege und sogar Schafe – und die Kinder übernehmen dafür Verantwortung.

Räume, die das Lernen spiegeln

Dieses pädagogische Konzept war Ausgangspunkt und Basis für die architektonische Planung. „Hell, offen und klar strukturiert mit einer Vielzahl offener, halboffener und geschlossener Bereiche – so präsentieren sich die Innen- und Außenbereiche unserer Schule“, beschreibt die Schule selbst.

Screenshot von der Homepage der Schule.

Der Neubau, entworfen vom Berliner Architekturbüro kklf, entstand auf der Basis eines Architekturwettbewerbs, in dem die Ergebnisse der Phase Null als Grundlage gesetzt waren. In den vier sogenannten Lernhäusern sind jeweils die Klassen eins bis vier untergebracht. „Alle Räume sind in gleicher Weise aufgebaut und große Fenster bieten einen freien Blick nach draußen sowie von Klasse zu Klasse oder zu den Fluren hin.“ Damit wird Offenheit nicht nur architektonisch, sondern auch pädagogisch erfahrbar – Kinder sehen, dass Lernen kein abgeschlossener Vorgang ist, sondern Austausch bedeutet.

Flure werden zu Lernzonen umfunktioniert. Diese sind über transparente Wände und Öffnungen mit den Klassenräumen verbunden. Dort finden die Kinder „Raum für Bewegung, Spiel und Arbeit, oder auch Ruhezonen und eine Küchenzeile“.

Auch das Verhältnis zwischen den Jahrgängen ist räumlich gedacht: „Die Patenklassen eins und drei sowie zwei und vier liegen direkt nebeneinander und sind durch großzügige Öffnungen und Differenzierungsräume miteinander verbunden.“ Dieses Prinzip fördert nicht nur Begabungsförderung, sondern auch altersübergreifendes Lernen – Kinder können „einfach in ein anderes Lernlevel wechseln, ohne ihre gewohnte Umgebung zu verlassen“.

Die Offenheit der Schule setzt sich über das Gebäude hinaus fort. „Außerhalb der Unterrichtszeiten stehen die Räume dem gesamten Stadtteil auf Nachfrage zur Verfügung“, schreibt die Schule. Chöre, Orchester und Theatergruppen nutzen die Lernhäuser am Nachmittag, der Ortsbeirat tagt hier, und Familien können das Gelände frei bespielen. Das Schulhaus ist damit nicht nur ein Lernort, sondern ein sozialer Treffpunkt für den ganzen Stadtteil.

Die Phase Null – wo pädagogische Vision zu Raum wird

Dass die neue Schule so konsequent mit ihrem pädagogischen Profil verzahnt ist, hat einen Grund: Die Planungen begannen nicht auf dem Reißbrett, sondern in der sogenannten Phase Null – einer frühen Planungsphase, in der die Bedarfe eines Schulbauprojekts ermittelt werden und die dazu beiträgt, dass der Bau genau entlang der Anforderungen des jeweiligen Standorts geplant werden kann. Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, diese Phase im Schulbau in Deutschland zu etablieren. In ihren Pilotprojekten, zu denen auch die Grundschule am Baumschulenweg gehört, hat sie die Umsetzung der Phase Null exemplarisch begleitet.

„Die Phase Null ist die entscheidende Phase zu Beginn des Planungsprozesses einer Schule“, erklärt die Stiftung in der Projektdokumentation „Fünfmal Phase Null“. In dieser Phase „werden alle wichtigen Weichen für den Planungs- und Bauprozess gestellt“. Pädagogik, Architektur, Verwaltung und Politik arbeiten von Anfang an gemeinsam – zusammen mit den späteren Nutzerinnen und Nutzern. Ziel ist es, „ein inhaltlich und räumlich tragfähiges Konzept zu entwickeln, das die Effizienz, Bedarfsgerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit des Bauvorhabens sicherstellt“.

Die Idee: Schulbau ist – wie alle anderen Bauaufgaben auch – entlang der aktuellen Anforderungen zu denken. Niemand würde zum Beispiel Büros heute einfach bauen wie vor 100 Jahren. „Wer heute noch Schulen nach etablierten, aber längst überholten Typologien baut“, so die Stiftung, „riskiert Folgekosten, die ein nicht bedarfsgerechter Bau zwangsläufig verursacht.“ Eine ernsthaft durchgeführte Phase Null dagegen ermöglicht es, Raumprogramme auf veränderte pädagogische Anforderungen abzustimmen – und damit langfristig Qualität zu sichern. Auch die Nutzerinnen und Nutzer – Lehrkräfte und Schüler – können in dieser Phase dazu beitragen, Anforderungen zu beschreiben und zu definieren, für die in der Architektur dann die passenden Lösungen gefunden werden. Schulentwicklung und Bedarfsplanung gehen so in der Phase Null Hand in Hand.

Ein Pilotprojekt für Bremen

Die Grundschule Am Baumschulenweg gehörte 2013/2014 zu den ersten Pilotprojekten „Schulen planen und bauen“ der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft. In einer bundesweiten Ausschreibung hatte sie für ihr Bauprojekt die Durchführung einer Phase Null gewonnen. Die Schulbauberater Otto Seydel und Jochem Schneider begleiteten den Prozess. Die Schule befand sich in einem Gebäudekomplex aus den 1950er-Jahren. Im Rahmen der Phase Null wurde auch geprüft, welche Gebäudeteile bleiben, welche weichen sollten und wie Neubau und Bestand in ein gemeinsames Raumkonzept integriert werden konnten.

„Die Herausforderung lag in der Frage: Wie bauen wir Schule weiter und wie bauen wir den Schulstandort weiter?“, erinnerte sich Jochem Schneider in der bereits zitierten Dokumentation. „Die Voruntersuchung hat deutlich gemacht, dass ein Teil des Bestandes erhalten werden sollte, ein Teil zur Disposition gestellt wurde. Wie aus dem Alten das Neue weiterentwickelt werden kann und wie man die Funktionen verteilt – das entsprach genau der Fragestellung, die im Ergebnis des Wettbewerbs klar geworden ist.“

Er betonte rückblickend: „Was das pädagogische Konzept betrifft, war die Schule sicher eine Vorzeigeschule, die mit sehr guten Rahmenbedingungen arbeiten konnte. Mit ihrem profilierten pädagogischen Konzept stellte sie sich als ein besonders gelungenes Beispiel für eine gute zeitgemäße Grundschule dar.“

Auch Schulentwickler Otto Seydel sah darin ein Modellprojekt: „Eine Besonderheit der Schule bestand in der Passung zwischen einem ausformulierten pädagogischen Konzept und der Alltagspraxis. Das war keineswegs selbstverständlich – es gibt viele Schulen, bei denen die Lokomotive (das aufgeschriebene Konzept) längst die Waggons (die tägliche Unterrichtspraxis) verloren hat.“

Die Bremer Phase Null galt intern als besonders konstruktiv. Schneider erinnerte sich: Das Bremer Projekt „war eine Schule mit einem guten pädagogischen Konzept, mit einem hervorragenden Standort, mit Freiräumen, die sich mit anderen Schulen nur schwer vergleichen lassen. Mit Blick auf die Frage, was zukunftsfähige Schulentwicklung heißt, hatten wir hier ein Beispiel, das auf vielerlei Ebenen überzeugte.“

Cluster als räumliche Umsetzung des pädagogischen Konzepts

Das Ergebnis dieser Planungsarbeit zeigt sich heute sichtbar im Stadtteil: Der 50er-Jahre-Schulbau wurde um einen neuen Gebäudewinkel ergänzt. Der Neubau ist zweigeschossig, gegliedert durch eine differenzierte Dachlandschaft. „Dabei wird die Geometrie des Bestandssatteldachs aufgenommen und spielerisch im Neubau weitergeflochten“, schreibt das Architekturbüro kklf.

Die vertikale Gliederung der alten Backsteinfassade wurde im Neubau variiert, sodass Alt und Neu sich deutlich unterscheiden, aber miteinander sprechen. „Das entwurfsbestimmende Element für das neue Schulensemble sind die Cluster, die das pädagogische Konzept widerspiegeln.“ Der Neubau ist als Winkelbau mit zwei klar ablesbaren Lernhäusern konzipiert. Die großen offenen Lernbereiche bilden sich als Rücksprung ab – ein Zeichen für Transparenz, Begegnung und Gemeinschaft. Insgesamt 13,8 Millionen Euro investierte die Bremer Bildungsverwaltung in Neubau und Sanierung. Geld, das auch in Offenheit, Licht und pädagogische Zukunft übersetzt wurde.

Einweihung mit Wimpeln und Begeisterung

Am 7. Februar 2025 war es dann endlich soweit: Die Schulgemeinschaft feierte die Einweihung des neuen Gebäudes. „Alle Kinder und Erwachsenen der Schule haben sich zu dieser Feier vor der Schule versammelt“, heißt es auf der Schulhomepage. Auf bunten Wimpeln hielten die Kinder fest, was sie an ihrer neuen Schule besonders lieben: „viele neue helle Räume, den Bewegungsraum, die Lernwaben und vieles mehr.“ News4teachers 

Und noch ein Rekord… Das neue Redaktionskonzept von News4teachers zieht!

 

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2 Kommentare
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Unfassbar
5 Stunden zuvor

Mal ganz naiv gefragt: Da die Planung und der Bau mehrere Jahre dauern, welche der Kinder, die an der Planung beteiligt waren, haben das fertige Gebäude überhaupt noch als Schüler der Schule mitbekommen? Spontan würde ich sagen: Kein einziges.
Man möge mich korrigieren.

Gelbe Tulpe
4 Stunden zuvor

Die Lernwaben werden viele Rückenschmerzen zur Folge haben.