STUTTGART. Es sind Zahlen, die Eltern, Lehrkräfte und Politik aufrütteln müssen: Die JIM-Studie 2025 dokumentiert nicht nur eine weiter steigende Smartphone-Nutzung unter Jugendlichen – sie zeigt auch, wie sehr Heranwachsende mit problematischen Inhalten und Selbstregulationsproblemen kämpfen. Während sie KI längst selbstverständlich im Alltag einsetzen (für die Schule also), geraten sie gleichzeitig immer tiefer in digitale Risiken hinein. Die Rede ist bereits von „Bildschirmautismus“.

Die tägliche Bildschirmzeit liegt im Durchschnitt bei knapp vier Stunden, bei den älteren Jugendlichen sogar bei weit über viereinhalb Stunden. Besonders alarmierend ist jedoch nicht die reine Nutzungsdauer, sondern die mangelnde Selbstkontrolle: Ein Großteil der Jugendlichen gibt an, regelmäßig die Zeit am Handy aus den Augen zu verlieren und deutlich länger online zu bleiben als eigentlich geplant.
Fast ein Drittel räumt ein, morgens oft müde zu sein, weil das Smartphone abends nicht zur Seite gelegt wurde. Gleichzeitig zeigt sich ein widersprüchliches Bild: Viele genießen durchaus Phasen ohne Handy und Internet, schaffen es jedoch trotzdem selten, das Gerät konsequent auszuschalten. Die Studienautorinnen und -autoren bringen das Problem auf den Punkt: Zwei Drittel der Befragten hätten Schwierigkeiten, ihre Bildschirmzeit zu regulieren.
Die Ergebnisse sind relevant: Die JIM-Studie wird seit 1998 jährlich vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest durchgeführt und gilt als wichtigste Langzeituntersuchung zum Medienverhalten Jugendlicher in Deutschland. Sie basiert 2025 auf den Angaben von 1.200 Jugendlichen im Alter von zwölf bis 19 Jahren und ermöglicht dadurch ein präzises und repräsentatives Bild der digitalen Lebenswelt junger Menschen.
Kinderärztin warnt: „fatale Folgen“ – und spricht von Bildschirmautismus
Die Göttinger Kinderärztin Tanja Brunnert beobachtet in ihrer Praxis die Auswirkungen hoher Mediennutzung drastisch. Der exzessive Konsum digitaler Medien habe „fatale“ Folgen, sagt sie. Vor allem die Sprachentwicklung leidet, aber auch grob- und feinmotorische Fähigkeiten seien auffällig häufig verzögert. Viele Kinder schlafen schlecht, können sich nur schwer konzentrieren und zeigen deutliche Auffälligkeiten im Sozialverhalten. Brunnert spricht von einem Phänomen, das sie als „Bildschirmautismus“ bezeichnet.
Besonders die über Zwölfjährigen sind betroffen: Laut Brunnert zeigt bis zu jede vierte Person dieser Altersgruppe ein problematisches Mediennutzungsverhalten. Immer mehr Jugendliche verbringen inzwischen mehr als sechs Stunden täglich vor digitalen Geräten – was dazu führe, so die Ärztin, dass sie „nach der Schule praktisch nichts anderes mehr“ tun. Die Folgen seien gravierend: die Fähigkeit, Freundschaften aufzubauen, gehe verloren, und soziale Ängste nähmen spürbar zu.
Digitale Risiken nehmen zu – Fake News, Hass, Extremismus und sexuelle Belästigung
Neben der übermäßigen Nutzung ist vor allem der Anstieg problematischer Inhalte ein zentrales Ergebnis der JIM-Studie. Jugendliche berichten zunehmend von Fake News, extremen politischen Positionen und gezielten Desinformationsversuchen. Ebenso häufig begegnen sie Beleidigungen, Hassbotschaften und Verschwörungstheorien. Viele haben zudem ungewollt pornografische Inhalte gesehen, und fast ein Drittel berichtet sogar von sexueller Belästigung im Netz – Mädchen deutlich häufiger als Jungen.
Die Studie zeigt, dass vor allem Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok und Snapchat Schauplätze solcher Vorfälle sind. Marc Jan Eumann, Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, betont, dass 67 Prozent der Jugendlichen im vergangenen Monat mit Fake News konfrontiert gewesen seien – ein Trend, der sich durch KI-basierte Inhalte weiter verstärke. Aus Sicht der Landesmedienanstalten müssen die Plattformbetreiber viel stärker in die Pflicht genommen werden, um schädliche und illegale Inhalte zu löschen und Heranwachsende zu schützen. „Mit großer Reichweite geht große Verantwortung einher“, mahnt Eumann.
WhatsApp bleibt unverzichtbar – Social Media wird zur Nachrichtenquelle
Auch 2025 ist WhatsApp die wichtigste App der Jugendlichen. Die Nutzung bleibt jedoch längst nicht auf einfache Textnachrichten beschränkt: Sprachnachrichten, Emojis und GIFs prägen die Alltagskommunikation. Der Messenger dient vielen Jugendlichen inzwischen als zentrale Plattform des Austauschs. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von Social Media als Informationsquelle. Vor allem ältere Jugendliche folgen Influencerinnen und Influencern, die über aktuelle Themen berichten – beinahe die Hälfte der 16- bis 19-Jährigen tut dies bereits regelmäßig. Das Interesse gilt dabei besonders dem weltpolitischen Geschehen, dem Klimawandel sowie politischen Entwicklungen in den USA.
KI ist längst Alltag – aber noch immer kaum Thema im Unterricht
Die Verbreitung von KI-Anwendungen hat innerhalb kurzer Zeit einen bemerkenswerten Sprung gemacht. Während 2023 nur knapp vier von zehn Jugendlichen ChatGPT und ähnliche Tools genutzt hatten, sind es 2025 bereits mehr als acht von zehn. KI kommt inzwischen vor allem bei schulischen Aufgaben zum Einsatz. Jugendliche lassen sich Hausaufgaben erklären, recherchieren Informationen oder nutzen KI, um sich komplexe Zusammenhänge erläutern zu lassen.
Thomas Rathgeb von der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg warnt in der FAZ davor, dass die Schule mit dieser Entwicklung kaum Schritt hält. Jugendliche müssten verstehen, wie KI-Ergebnisse zustande kommen, wie Algorithmen funktionieren und weshalb die Ergebnisse kritisch geprüft werden sollten. „KI ist längst Teil der Schularbeiten zu Hause. Sie sollte daher auch Thema des Unterrichts sein“, mahnt Rathgeb. Gleichzeitig betont er die Verantwortung der Eltern: Es sei ihre Aufgabe, insbesondere für jüngere Kinder Vorbild zu sein und klare Leitplanken für den Medienkonsum zu setzen.
Zwischen Vorfreude und Zukunftsangst
Die Studie zeigt auch, wie ambivalent Jugendliche auf ihre Zukunft blicken. Auf der einen Seite freuen sie sich auf wichtige Schritte in ihrer persönlichen Entwicklung, etwa den nächsten Bildungsabschnitt, den Schul- oder Berufsabschluss oder den Beginn eines Studiums sowie auf mehr Selbstständigkeit und persönliche Gestaltungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite sorgen sich viele um die weltpolitische Lage, die anhaltenden Konflikte und die zunehmende Unsicherheit im In- und Ausland. Schule und Beruf spielen ebenfalls eine Rolle, wenn auch deutlich nachgeordnet.
Was bedeutet das für Schulen? – Eine Einordnung
Für Schulen und Bildungspolitik ergeben sich aus der JIM-Studie klare Handlungsfelder. Jugendliche nutzen digitale Technologien längst selbstverständlich – gleichzeitig stehen sie ohne ausreichende Unterstützung vor denselben Risiken, die Erwachsene seit Jahren diskutieren. Lehrkräfte erleben die Folgen täglich: Müdigkeit im Unterricht, Konzentrationsprobleme, Konflikte aufgrund von Online-Streitigkeiten oder Mobbing, und eine Informationslage, die zunehmend von Desinformation und emotional aufgeladenen Narrativen geprägt ist. Medienkompetenz muss daher weit über praktische Fertigkeiten hinausgehen. Nicht das Bedienen eines Smartphones ist das Problem, sondern die Bewertung von Informationen, der Schutz der eigenen Daten, der Umgang mit KI und das Erkennen manipulativer Inhalte. Schulen brauchen Zeit, Material und systematische Unterstützung, um diese Aspekte im Unterricht zu verankern.
Zugleich wird Elternarbeit wichtiger: Der digitale Alltag der Kinder kann nur gemeinsam gestaltet werden. News4teachers / mit Material der dpa
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