Provinzposse: Wie ein Bürgermeister Lehrer mundtot machen wollte

0

REGENSBURG. Im öffentlichen Streit um eine schier endlose Sanierung der Formaldehyd-belasteten Turnhalle eines Regensburger Gymnasiums platzte dem zuständigen Bürgermeister der Kragen. Er schickte ein Dossier mit kritischen Äußerungen von Lehrern an den Schulleiter – mit der Anregung, disziplinarische Schritte zu prüfen.

Dunkle Wolken über dem alten Rathaus von Regensburg. Foto:marcusjroberts / Flickr (CC BY-NC 2.0)
Dunkle Wolken über dem alten Rathaus von Regensburg. Foto:marcusjroberts / Flickr (CC BY-NC 2.0)

Gerhard Weber (CSU) tritt stets, so weiß der Informationsdienst „Regensburg digital“, als freundlicher und jovialer Bürgermeister auf. Weber, unter OB Hans Schaidinger (CSU) die Nummer zwei in der Stadt Regensburg und zuständig für Schulen, musste sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren allerdings mit einem Thema herumschlagen, das ihm offenbar zunehmend die Beherrschung raubte: Der Neubau einer Dreifach-Sporthalle für das örtliche Goethe-Gymnasium – Kostenpunkt: 24 Millionen Euro – geriet zum Debakel.

Lehrer und Schüler klagten kurz nach der Eröffnung über Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel. Messungen ergaben zu viel Formaldehyd in der Hallenluft. Die Stadt sagte schnelle Abhilfe zu – die allerdings ließ auf sich warten. Im September 2009 wurde die Halle zum ersten Mal gesperrt; bis heute ist sie für den Unterricht nicht nutzbar. Mehrfach wurde umgebaut. Mehrfach wurden belastete Baustoffe ausgetauscht. Mittlerweile gilt eine unzureichende Lüftungsanlage als das Hauptproblem.

Lehrer der Schule äußerten sich in der Öffentlichkeit kritisch zur schier endlosen Sanierung. Ein Pädagoge machte in einem Leserbrief an die „Mittelbayerische Zeitung“ (MZ) seinem Ärger Luft. Er monierte einen zu laxen Umgang der Stadtverwaltung mit der Gesundheit von Schülern und Lehrern. Das war Bürgermeister Weber zu viel: Laut MZ schickte er dem Direktor ein Dossier mit Artikeln, in denen Lehrer zitiert wurden, und bat darum, das Verhalten der Pädagogen „aus disziplinarrechtlicher Sicht zu prüfen“.

Weber verweist auf das Mäßigungsgebot

Der Bürgermeister verweist gegenüber der Zeitung auf das Mäßigungsgebot, dem Beamte unterworfen seien. „Diese Regelung gilt von Flensburg bis Furth im Wald – auch in Regensburg“, so Weber zur MZ. Wenn sich Lehrer öffentlich über ein Schulgebäude äußerten, das die Stadt verwalte, sei sein Ressort als Schulreferent tangiert; deshalb habe er an den Vorgesetzten der Lehrer geschrieben. Den Vorwurf, er wolle Kritiker mundtot machen, nennt Weber „abwegig“. Der Leserbrief vermengt nach Webers Ansicht persönliche Meinung und dienstliche Angelegenheiten. „Ein Lehrer kann sich öffentlich über den Zustand der Straßen äußern, über den Ministerpräsidenten oder den Regensburger Bürgermeister – aber nicht über Erkenntnisse, die er dienstlich erlangt hat“, so wird der Bürgermeister zitiert.

Der Leserbriefschreiber sieht die Sache anders: Alle genannten Fakten seien öffentlich zugänglichen Quellen entnommen, aus Artikeln und aus dem Internet.

Die Geschichte erreichte bald den Regensburger Stadtrat. Der Lehrer verfasste eine Protestnote, die er an die Ratsvertreter verteilen ließ. Die orangen Blätter verweisen in fett gedruckten Buchstaben auf Artikel 5 des Grundgesetzes und auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. „Herr Weber will mich mundtot machen“, so begründete der Pädagoge seine Aktion.

Mittlerweile hat das Thema sogar Berlin erreicht. Die Aktion des Bürgermeisters sei „eine unglückliche Vorgehensweise“, so ließ der Regensburger Bundestagsabgeordnete Horst Meierhofer (FDP) verlauten. Es könne leicht der Eindruck entstehen, dass Lehrer nur über eine eingeschränkte Meinungsfreiheit verfügen. Doch dem sei nicht so.

Tatsächlich bleiben dem Lehrer disziplinarische Konsequenzen erspart: Sein Schulleiter habe keinerlei Anlass gesehen, ihn zu maßregeln, berichtet die MZ. NINA BRAUN
(23.4.2012)

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments