Schon wieder ein Plagiatsvorwurf: Jetzt trifft ihn der zweite Mann im Staat

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BOCHUM. Erneut Aufregung um eine Doktorarbeit: Die Ruhr-Universität Bochum untersucht die Dissertation von Norbert Lammert. Ein anonymer Internet-Plagiatsjäger hat Vorwürfe gegen den Bundestagspräsidenten erhoben. Politiker aller Parteien warnen vor zu raschen Urteilen.

Sieht sich Plagiatsvorwürfen ausgesetzt: Bundestagspräsident Norbert Lammert. Foto: Heinrich-Böll-Stiftung / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)
Sieht sich Plagiatsvorwürfen ausgesetzt: Bundestagspräsident Norbert Lammert. Foto: Heinrich-Böll-Stiftung / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

Doktor Norbert Lammert legt durchaus Wert auf seinen Titel. Der Präsident des Deutschen Bundestags schätzt es sehr, wenn Besucher seines Büros ihn damit ansprechen. Der 64-Jährige gilt als nicht uneitel, aber auch als intellektuelle Instanz im Parlament. Ein Mann des Wortes, hochintelligent, belesen, ein Freund der feinen Ironie obendrein. Doch nun treffen ihn Plagiatsvorwürfe zu seiner 1974 verfassten Doktorarbeit «Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung – Fallstudie am Beispiel eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet».

Die Tageszeitung «Die Welt» berichtet über Vorwürfe, die ein anonymer Internet-Aktivist gegen Lammert erhebt. Der Blogger erhob den Vorwurf, gedankliche Eigenarbeit werde in der Arbeit teilweise nur suggeriert. Lammert habe unter anderem auf ein nicht existentes Buch verwiesen und Sekundärliteratur nicht ausreichend als solche gekennzeichnet. Der Netz-Aktivist nennt sich «Robert Schmidt» – unter diesem Pseudonym wurde auch die Seite Schavanplag betrieben, die zur Aberkennung des Doktortitels der früheren Bundesbildungsministerin Annette Schavan und damit auch zu ihrem Rückzug als Ministerin führte.

Lammert, der sein Amt als Bundestagspräsident nach einer für die Union erfolgreichen Wahl gerne behalten würde, ist derzeit im Urlaub. Er will Anfang August wieder Wahlkampf- und Repräsentationstermine wahrnehmen. Zu den Vorwürfen ließ er am Montagabend erklären, er habe seine Arbeit «nach bestem Wissen und Gewissen verfasst und sei von ihrer wissenschaftlichen Qualität überzeugt». Er bat die Universität Bochum um Prüfung und veröffentlichte die Dissertation auf seiner Homepage.

Die Uni, bei der Lammert seit 2008 eine Honorarprofessur innehat, bestätigte umgehend, das Verfahren eröffnet zu haben. «Wenn das Ergebnis der Prüfungen vorliegt, werden wir die Medien umgehend informieren», betonte Rektor Elmar Weiler. Er bat zugleich um Verständnis dafür, dass die Universität während der laufenden Prüfungen keine Kommentare abgeben wird.

Lammert selbst hatte sich einst zu den Vorwürfen gegen den damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) geäußert und nach dessen Erklärung kritisch angemerkt: «Ich kann mir seinen Auftritt (…) nur so erklären, dass ihm zum damaligen Zeitpunkt das Ausmaß der Schlampigkeit nicht klar war, mit der die Arbeit verfasst und eingereicht worden ist.» Mit Guttenberg, der ganze Passagen eins zu eins abgeschrieben hatte, ist sein eigener Fall aber kaum vergleichbar – ebenso wie der von Schavan, die ihre Affäre gleichwohl politisch nicht überlebt hatte.

Der Bäckersohn und vierfache Vater ist seit 2005 Präsident des Bundestags und damit formal zweithöchster Mann im Staat. Gleichzeitig ist er Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen CDU im Wahlkampf. Er kann knallhart austeilen und wies auch schon Kanzlerin Angela Merkel in ihre Schranken. Bei einer Abstimmung zur Euro-Rettung beispielsweise stimmte er am Ende nur zähneknirschend ihrem Weg zu und gab seine unveränderten Bedenken in einer eigenen Erklärung zu Protokoll. In seiner Partei ist man daher öfter mal genervt vom «Klassensprecher».

Kollegen aus der eigenen Partei und der politischen Konkurrenz sprangen Lammert dennoch bei und warnten mit Nachdruck vor Vorverurteilungen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück machte eindrücklich klar, dass Lammert seinen vollen Respekt genieße. «Es gilt die Unschuldsvermutung. Ich warne davor, wieder in eine Kommentarlage zu verfallen, die die Reputation und Integrität des Bundestagspräsidenten beschädigen kann», sagte der 66-Jährige. Er werde sich dafür einsetzen, dass dies unterbleibe.

Der Netz-Aktivist «Robert Schmidt» gab «Spiegel online» im Mai 2012 schriftlich Auskunft zu seiner Motivation: «Bei mir ist es sowohl das Motiv des Spaßes an der Detektivarbeit als auch das Motiv, dass Leute mit einem akademischen Betrug nach Möglichkeit nicht durchkommen sollten.» Im Fall Lammert muss nun die Wissenschaft entscheiden. KERSTIN MÜNSTERMANN; dpa

Zum Bericht: „Uni-Vizepräsidentin: Plagiate setzen in den ersten Semestern ein“

 

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