„Die Koalition hält Wort“: Bundesregierung will Flut von Zeitverträgen an Unis per Gesetz eindämmen

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BERLIN. Hochschulwissenschaftler, die sich auch noch mit Anfang 40 von einem Kurzfristvertrag zum nächsten hangeln – solche Auswüchse soll es nach dem Willen der Bundesregierung bald nicht mehr geben. Doch Kritiker warnen: Die Gesetzesreform lasse noch zu viele Schlupflöcher.

An den deutschen Hochschulen sollen extrem kurze und dauerhafte Befristungen von Arbeitsverträgen bald der Vergangenheit angehören. Das Bundeskabinett verabschiedete am Mittwoch einen Gesetzentwurf, der solche Auswüchse verhindern und Zehntausenden jüngeren Dozenten und Forschern verlässlichere Karrierewege ermöglichen soll. Bundestags-Opposition und Gewerkschaft kritisierten die schwarz-rote Reform als zu lasch.

Die Hochschulexperten der großen Koalition hatten sich im Juni auf eine Reform des umstrittenen Wissenschaftszeitvertragsgesetzes geeinigt, das nach Einschätzung vieler Experten zum Missbrauch an den Unis einlädt. Es gebe «keinen sachlichen Grund dafür, dass mehr als die Hälfte der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei ihrem ersten Vertrag kürzer als ein Jahr angestellt werden», sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) am Mittwoch. «Solchen Fehlentwicklungen in der Befristungspraxis treten wir mit der Reform entgegen, ohne jedoch die in der Wissenschaft erforderliche Flexibilität und Dynamik zu beeinträchtigen.»

So soll sich die Laufzeit von Verträgen an Unis und Hochschulen im wesentlichen daran orientieren, wie lang eine Promotion oder ein Forschungsprojekt dauert. Mit dem Gesetz werde auch unterbunden, dass Uni-Daueraufgaben durch befristet eingestelltes Personal erledigt werden, das gar keine wissenschaftliche Qualifizierung anstrebt. Zusätzliche Änderungen betreffen familien- und behindertenpolitische Aspekte – beispielsweise verlängert sich die Befristungsdauer bei der Betreuung minderjähriger Kinder um zwei Jahre pro Kind.

Die Reform sei nur ein «Teil des Gesamtkonzeptes für den wissenschaftlichen Nachwuchs», betonte Wanka. Über eine Initiative zur Förderung dauerhafter Karriereperspektiven in der Wissenschaft verhandele ihr Ministerium derzeit mit den Bundesländern. Denn: «Die Balance zwischen befristeten und unbefristeten Stellen ist nicht mehr in Ordnung», sagte die Ministerin.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach sich dafür aus, den Gesetzentwurf nochmals zu überarbeiten. Der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller äußerte neben Zustimmung auch Kritik: Die Novelle lasse weiterhin «zu viele Schlupflöcher für eine Fortsetzung des Hire-and-Fire-Prinzips an Hochschulen und Forschungseinrichtungen». Die Trippelschritte der Koalition führten nicht zu der Reform, auf die die Wissenschaftler warteten. Nach GEW-Zahlen haben derzeit über 80 Prozent der Forscher und Dozenten oft nur kurzfristige Zeitverträge.

Die Linke-Politikerin Rosemarie Hein kritisierte: «Über eine sehr breite Definition von „wissenschaftlicher Qualifizierung“ schafft die Regierung auch weiterhin die Möglichkeit, dass nicht wissenschaftliches Personal auf der Grundlage des Gesetzes befristet beschäftigt werden kann.» Der Grünen-Experte Kai Gehring: «Nach zwei Jahren Hängen und Würgen hat das Bundeskabinett eine Minimal-Novelle (…) auf den Weg gebracht. Sie genügt dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Koalition, bringt aber keinen strukturellen Fortschritt für verlässliche Wissenschaftskarrieren.» Dagegen freute sich der stellvertretende SPD-Fraktionschef Hubertus Heil über die Reform von Schwarz-Rot: «Die Koalition hält Wort.» dpa

Zum Beitrag: «Uni-Prekariat»: Koalition einigt sich auf Eckpunkte zur Reform des Zeitvertragsgesetzes – doch der Teufel steckt im Detail

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