Sprachforscher: Dialekte gleichen sich immer mehr an

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ERLANGEN. Der Bewusstseinswandel könnte zu spät kommen: War das Dialektsprechen in ”gebildeten Kreisen“ noch bis in die achtziger Jahre verpönt, gelten Dialekte heute als schützenswertes Kulturgut. Doch die regionale Vielfalt schwindet Den meisten Dialektsprechern fehle es an Selbstbewusstsein.

Sprachforscher sehen die Dialektvielfalt in Deutschland bedroht. Zwar würden viele Menschen auch in Zukunft Mundart sprechen. Lokale Dialekte, die sich oft schon von einem zum anderen Ort unterschieden, würden sich aber immer mehr angleichen, sagte der Erlanger Dialektforscher Sebastian Kürschner im Vorfeld einer internationalen Dialektologen-Tagung. Bei der von kommendem Mittwoch bis Samstag dauernden Konferenz in Erlangen wollen 90 Fachleute unter anderem die Entwicklung von Dialekten erörtern.

„Die Altbayern sprechen ihren Dialekt mit einem größeren Selbstbewusstsein als Bundesbürger in anderen Regionen.“, so Sprachforscher Sebastian Kürschner Foto: Polybert49 / flickr (CC BY-SA 2.0)
„Die Altbayern sprechen ihren Dialekt mit einem größeren Selbstbewusstsein als Bundesbürger in anderen Regionen.“, so Sprachforscher Sebastian Kürschner Foto: Polybert49 / flickr (CC BY-SA 2.0)

«Wir haben beispielsweise bei Untersuchungen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg festgestellt: Statt der früher häufig lokalen Dialekte gibt es dort fast nur noch zwei großräumige Dialekte: das im Westen von Rheinland-Pfalz und Luxemburg gesprochene Moselfränkisch und das eher im Süden und Osten gesprochene Rheinfränkisch», berichtete der Professor für Variationslinguistik und Sprachkontaktforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg. Neben der Aussprache gleiche sich dort zunehmend auch der Wortschatz an.

In manchen – vor allem großstädtischen Regionen – seien Dialekte ganz auf dem Rückzug. «Dort verschwinden die Dialekte natürlich nicht von einem Tag auf den anderen. Aber tiefe Dialektsprecher findet man dort immer seltener», berichtete der Sprachwissenschaftler.

Dabei gebe es in Deutschland einen ausgeprägten Nord-Süd-Trend: «In Süddeutschland haben Dialekte einen stärkeren Status als im Norden», betont Kürschner. Dabei spiele vor allem der altbayerische Dialekt eine große Rolle. «Die Altbayern sprechen ihren Dialekt mit einem größeren Selbstbewusstsein als Bundesbürger in anderen Regionen.»

Anders sei das in Franken. Das liege wohl auch daran, dass Fränkisch außerhalb Frankens kaum wahrgenommen werde. «Außerdem haben die Franken ein geringeres Selbstbewusstsein, was ihren Dialekt angeht.» Die Wertschätzung eines Dialekts hänge eben stark davon ab, wie die Bevölkerung, die ihn benutzt, zu ihrer Heimatmundart stehe, berichtete Kürschner, der auch den fränkischen Dialekt erforscht.

Dass in Deutschland – anders als etwa in der Schweiz – die regionale Mundart auf dem Rückzug sei, führt Kürschner vor allem auf die heute im Schnitt immer längere Schulzeit zurück. Dort spiele die standardisierte Schriftsprache eine große Rolle, dadurch würden immer mehr junge Leute nur noch Hochdeutsch sprechen statt ihre regionale Heimatmundart zu pflegen. «Wir konnten feststellen: Bei den jungen Leuten nimmt die Zahl der Dialektsprecher ab – in der Stadt noch stärker als auf dem Land», erläuterte der Sprachforscher.

Als Sprachforscher sehe er den Rückzug von Dialekten «neutral»: «Wir können Menschen nicht dazu zwingen, Dialekt zu sprechen, wenn er ihnen nicht wichtig ist», gibt der Hochschullehrer zu bedenken. Trotzdem sei die schwindende Bedeutung des Dialekts natürlich ein kultureller Verlust. «Denn Dialekt hat viel mit regionaler Kultur zu tun. Und wenn die spezielle Ausdrucksweise einer Region wegfällt, geht damit natürlich auch ein Teil der regionalen Kultur verloren», unterstreicht Kürschner. Ideal finde er es, wenn Menschen sich in beiden Sprachwelten zu Hause fühlten, indem sie neben der Hochsprache auch weiterhin ihren Heimatdialekt pflegten. (dpa)

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