Ärgernis „Elterntaxis“ – Stadt Kaiserslautern versucht jetzt, die Eltern zu erziehen

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MAINZ. Vor vielen Schulen bietet sich jeden Morgen das gleiche Bild: Eltern fahren ihre Kinder bis an das Schultor – weil sie fürchten, den Kindern könnte etwas geschehen, oder weil die Schule sowieso auf dem Arbeitsweg liegt. Was gut gemeint sei, lasse Kinder die Chance verpassen, das richtige Verhalten an Ampel und Zebrastreifen zu lernen, sagt Jördis Gluch von der Unfallkasse Rheinland-Pfalz. Deswegen sollen die «Elterntaxis» beim landesweiten Aktionstag «Zu Fuß in die Schule» an diesem Freitag in den Garagen bleiben.

«Kinder müssen zur Selbstständigkeit erzogen werden», sagt Hjalmar Brandt vom Verband Bildung und Erziehung (VBE). Er verstehe die Sorge vieler Eltern, sagt Brandt, und natürlich gebe es Gefahren im Straßenverkehr. Trotzdem sei es wichtig, dass die Kinder den Weg zur Schule alleine bestreiten. «Die Kinder lernen nur, wenn sie sich diesen Gefahren stellen», sagt Brandt. Selbstbewusstsein wachse eben auch außerhalb des Klassenzimmers: Unter Gleichaltrigen im Bus und auf dem Radweg zur Schule.

Reiner Schladweiler vertritt als Sprecher des Regionalelternbeirats Trier knapp 155 000 Eltern und ist sauer: «Die Dorfschulen hätte man nie schließen dürfen», sagt Schladweiler. Mit Bus und Bahn bräuchten manche Kinder nun zweieinhalb Stunden zur Schule – zweimal am Tag. Da sei es nur verständlich, wenn Eltern ihre Kinder selbst zur Schule bringen. Außerdem seien die Fahrpläne schlecht abgestimmt und viele Busse alt und unsicher. «Aus diesen Einzelteilen entsteht eine Kettenreaktion, die zu dem Verkehrschaos vor den Schultoren führt», sagt Schladweiler.

Selber laufen ist besser: „Elterntaxis“ werden vor immer mehr Schulen zum Problem. Foto: Patrick Tschudin / flickr (CC BY 2.0).

Elterntaxis gefährden mit wildem Parken und gefährlichen Wendemanövern nicht nur andere Verkehrsteilnehmer, sondern auch den eigenen Nachwuchs. Der ADAC fordert deswegen Haltestellen für «Elterntaxis»: Dort könnten Schüler gefahrlos ein- und aussteigen, sagt Stefanie Kühner, Abteilung Verkehr und Technik des ADAC Pfalz. Weil diese Haltestellen 250 Meter von dem Schuleingang entfernt seien, werde der Verkehr vor den Schultoren entzerrt. Generell sei vor allem eines wichtig, sagt Kühner: «Kinder stets an der Gehwegseite aussteigen lassen, an der die Schule liegt.»

Mit dem SUV direkt vor das Schultor – das sei in Mainz nicht unbedingt erwünscht, sagt Ralf Peterhanwahr, Sprecher der Stadt. Deswegen gebe es an einigen Mainzer Schulen solche Haltestellen bereits. So verlagere sich der Verkehr immerhin 100 Meter von den Schultoren weg. «Das ist eine Zwischenlösung«, sagt Peterhanwahr, ideal sei es nicht. Wer den Kindern etwas Gutes tun wolle, der lasse sie zu Fuß zur Schule laufen. «Dann sind sie an der frischen Luft, reden mit ihren Freunden und kommen viel ruhiger in den Unterricht.»

Auf ihrer Internetseite zeigt die Stadt Mainz mit einem interaktiven Stadtplan, wie Grundschüler sicher ihren Weg in die Schule finden. Auf dem Plan sind Schulwege, Zebrastreifen und Ampeln aufgezeichnet, die zu den Grundschulen führen. Eine Maßnahme unter vielen: Schon 2014 hatte die Mainzer Polizei mit einer Kampagne unter dem Titel «Befreien Sie Ihr Kind!» um mehr Vertrauen der Eltern geworben. Diese sollten ihre Kinder wieder zu Fuß oder mit dem Bus zur Schule schicken. Doch die Zahl der Elterntaxis habe eher zu- als abgenommen, sagt ein Sprecher der Stadt.

Auch für Busfahrer ist das Verkehrschaos vor vielen Schulen ein Problem. «Vor allem morgens und mittags», sagt Jürgen Eimer, Disponent der Regionalbus Westpfalz GmbH. Durch den privaten Schulverkehr steige auch das Unfallrisiko. «Unsere Busfahrer sind gestresst und natürlich kommt es auch zu Verspätungen.» Eimer wünscht sich, das Ordnungsamt sähe öfter nach dem Rechten – und ist zuversichtlich: «Wenn man sich zusammensetzt, findet sich bestimmt eine Lösung.»

Kinder in Kaiserslautern lernen schon im Kindergarten und in der Grundschule spielerisch, wie sie sich vor einer Ampel oder einem Zebrastreifen zu verhalten haben. «Die Kleinen sind gut vorbereitet», sagt Oliver Cusnick. Der Polizeihauptkommissar unterrichtet an der Jugendverkehrsschule Kaiserslautern. Nur sehr wenige Kinder seien tatsächlich an Unfällen auf dem Schulweg beteiligt. Er müsse oft den Kopf schütteln, wenn er sehe, was vor vielen Schulen los sei.

«Eigentlich müssten wir die Eltern erziehen», sagt Cusnick. In Kaiserslautern wirbt man deswegen um ihre Aufmerksamkeit: Auf großen Plakaten sieht man, wie Eltern ihre Kinder mit Schubkarren und in Watte gepackt zur Schule bringen. Der Polizeihauptkommissar ist skeptisch, ob sich viele Betrachter davon beeinflussen lassen werden. «Heutige Eltern können ihre Kinder nicht loslassen», sagt Cusnick, «das ist ein Generationsproblem.» Steffen Herrmann, dpa

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