Legen Grundschullehrer, die sich von Schülern duzen lassen, weniger Wert auf Rechtschreibung (und aufs Lernen überhaupt)? Bildungsforscher behauptet das

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BERLIN. Nur knapp ein Drittel der Grundschulen in Deutschland legen von der ersten Klasse an großen Wert auf die Rechtschreibung. Und: Wie Grundschüler orthografisch korrektes Schreiben lernen, hängt auch von der jeweiligen Schulkultur ab – an Schulen, an denen die Kinder ihre Lehrkraft duzen dürfen, geht es tendenziell laxer zu beim Schreibenlernen (und beim Lernen überhaupt). Das behauptet jedenfalls der Germanistik-Professor Wolfgang Steinig, der jetzt ein Buch dazu vorgelegt hat („Grundschulkulturen: Pädagogik – Didaktik – Politik). „Kinder, die ihre Lehrkraft siezen, formulieren anspruchsvoller“, sagt der Wissenschaftler. „Ihre Wortwahl und ihr Satzbau sind elaborierter. Sie strengen sich sprachlich wie auch kognitiv stärker an: zunächst im Mündlichen, aber dann auch im Schriftlichen, wie man nicht nur am Umgang mit der Rechtschreibung erkennen kann.“

Die Schulkultur spielt laut Steinig eine große Rolle dabei, wie viel Wert auf Rechtschreibung gelegt wird. Foto: Shutterstock
Die Schulkultur spielt laut Steinig eine große Rolle dabei, wie viel Wert auf Rechtschreibung gelegt wird. Foto: Shutterstock

Wie viel Wert wird in den Grundschulen auf Rechtschreibung gelegt? Steinig, der aus seiner eigenen Haltung keinen Hehl macht („Dass bei der schulischen Erziehung vieles im Argen liegt, weiß heute jeder“) hat dazu eine Umfrage in rund 600 Grundschulen durchgeführt, deren Ergebnisse er nun in seinem Buch veröffentlicht – und die drei ungefähr gleich verteilte Arten des Umgangs mit der Rechtschreibung in der Primarstufe offenbart: Danach erklären 28,5 Prozent der Schulen, dass sie in den ersten beiden Schuljahren nur wenig Wert auf Rechtschreibung legen. Weitere 31,4 Prozent kümmern sich nach dem ersten Halbjahr der ersten Klasse, in dem die Rechtschreibung keine Rolle spielt, zunehmend um die Schreibweise ihrer Schüler. 31 Prozent der Grundschulen geben an, dass sie durchgehend viel Wert auf Rechtschreibung legen.

Pikant: Die umstrittene „Reichen-Methode“, also „Schreiben wie Hören“ nach dem Schweizer Pädagogen Jürgen Reichen, wird laut Steinig lediglich von drei Prozent der Grundschulen praktiziert. Gleichwohl hätten Elemente davon  – etwa in Form von Anlauttabellen – Eingang in den Unterricht der meisten Lehrer gefunden.

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Wie viel Wert auf Rechtschreibung gelegt wird, hängt laut Steinig vor allem aber an der Schulkultur, die an der Grundschule gelebt werde. „Unter Schulkultur verstehe ich das soziale Miteinander in einer Schule, die Art und Weise, wie Lehrkräfte mit ihren Schülerinnen und Schülern kommunizieren und wie unterrichtet wird. Mit diesem weiten Blick auf unsere Grundschulen wird man beobachten können, dass hier teilweise große Unterschiede bestehen. Es gibt einerseits Schulen, in denen die Lehrkräfte ein enges, nahezu freundschaftliches  Verhältnis zu den Kindern haben, und andererseits solche, die stärker durch Distanz und Respekt geprägt sind“, sagt der Forscher. Und dieser Unterschied zeige sich insbesondere darin, wie die Kinder ihre Lehrkräfte anreden, ob sie sie siezen oder duzen – was wiederum eng mit der Frage korreliere wie viel Wert auf die Rechtschreibung gelegt wird.

„Es geht um soziale Normen“

„Sowohl beim Anredeverhalten, wie bei der Rechtschreibung und auch bei der Handschrift geht es um soziale Normen“, erklärt Steinig. „Ab wann und warum sollten Kinder ihre Lehrkraft siezen? Ab welcher Schulstufe und in welchen Texten sollte besonders auf die Rechtschreibung geachtet werden? Und wie sollte die Handschrift eines Grundschulkindes aussehen? Wie diese Normen vermittelt werden und wie viel Wert auf ihre Einhaltung gelegt wird, dabei gibt es von Schule zu Schule große Unterschiede. Während mancherorts früh und konsequent auf die Einhaltung dieser Normen geachtet wird, findet man andererseits Schulen, an denen toleranter damit umgegangen wird und die Kinder mehr Freiräume haben.“

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Und in liberaleren Schulen – so Steinigs These – hängt die Rechtschreibung der Schüler durch. Steinig: „Es geht letztlich um den Respekt gegenüber dem Erwerb von Wissen und den Respekt gegenüber den Personen, die dieses Wissen vermitteln. Uns hat es überrascht, wie stark die zunächst banal erscheinende Beobachtung, dass Grundschullehrkräfte entweder gesiezt oder geduzt werden, in einem engen Zusammenhang stehen mit den unterschiedlichen Bildungserfolgen, wie sie landesweit in den Bundesländern ermittelt wurden. Aber das Duzen oder Siezen von Lehrkräften ist offenbar ein linguistisches Signal dafür, wie viel Respekt ihnen und dann auch dem Wissen, das sie vermitteln, entgegengebracht wird.“

Nach Steinigs Erkenntnissen lassen sich Grundschullehrer vor allem in den westlichen und nördlichen Bundesländern von ihren Schülern duzen – am wenigsten in Ostdeutschland. bibo / News4teachers

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sofawolf
6 Jahre zuvor

ZITAT: „Und in liberaleren Schulen – so Steinigs These – hängt die Rechtschreibung der Schüler durch. Steinig: „Es geht letztlich um den Respekt gegenüber dem Erwerb von Wissen und den Respekt gegenüber den Personen, die dieses Wissen vermitteln.“

Es mutet zunächst vielleicht grotesk an, aber ich denke, der Zusammenhang besteht nicht direkt zwischen dem Duzen und dem Wertlegen auf Rechtschreibung, sondern zwischen einer laxen Grundhaltung, die dann in verschiedenen Bereichen zum Ausdruck kommt, u.a. beim Duzen und beim Wertlegen auf Rechtschreibung.

Also nicht das Duzen führt zu einer Geringschätzung der Rechtschreibung, sondern eine laxe Grundhaltung zum Lehren und Lernen führt zu einer Geringschätzung (u.a.) der Rechtschreibung. Ich würde fortsetzen, dass in diesem Sinne auch Lehrer, die sich duzen lassen, größere Disziplinschwierigkeiten haben als Lehrer, die auf dem Siezen bestehen.

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Dummerweise nährt die Politik die laxe Grundhaltung zum Lernen. Die ganzen Programme zur individuellen Förderung sind doch ein Zeichen dafür. Wer schwach ist, wird gefördert und durchgewunken, wer gerade eben nicht schwach genug ist, tut noch ein bisschen weniger und landet dann im Fördersystem.

sofawolf
6 Jahre zuvor

Hier habe ich noch ’nen interessanten Querverweis, der die Studienergebnisse zum Duzen oder Siezen bestätigt.

http://www.zeit.de/zeit-magazin/2015/24/lehrer-duzen-deutschlandkarte

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Ich lasse auch nur ein Sie zu, mein Vorname lautet auf Schülernachfrage grundsätzlich „Herr“. Unter den Kollegen finde ich die Siezerei furchtbar, Ausnahme Dienstvorgesetzte, es sei denn, sie bieten das Du von sich aus an.