WIESBADEN (Mit Kommentar). Der Hessische Rechnungshof hat die Landesregierung aufgefordert, Schulen zusammenzulegen oder zu schließen und Lehrerstellen zu streichen. Elternverbände und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) protestieren.
Das Statistische Landesamt prognostiziere für Hessen einen Rückgang der Grundschüler bis 2020 von rund 215.000 auf 190.000. „Dies wird den ländlichen Raum überdurchschnittlich treffen, in dem es schon jetzt viele kleine Schulen gibt“, sagte Rechungshof-Präsident Manfred Eibelshäuser voraus. Von den rund 1.100 öffentlichen Grundschulen hätten schon jetzt rund ein Viertel nur 100 Schüler.
Den Schulentwicklungsplan legten aber Kommunen und Kreise fest, während den Hauptteil der Kosten – die Besoldung der Lehrer – das Land tragen. Kommunalpolitiker könnten durch Schulschließungen wenig sparen, bekämen aber viel Ärger mit ihren Wählern „bis an die Grenze des Körperlichen“, sagte Eibelshäuser. Also seien die Anreize gering, Schulen durch die Bildung von Verbundschulen mit einer gemeinsamen Leitung zusammenzulegen – oder gleich ganz zu schließen.
Land soll Schulentwicklung besser planen
Eibelshäuser wies darauf hin, dass es in Hessen bisher – im Gegensatz zu anderen Bundesländern – noch keine gesetzlichen Regelungen zur Mindestgröße für Grundschulen gebe. Auch werde die Schulentwicklungsplanung hauptsächlich durch die kommunalen Schulträger, aber kaum durch das Kultusministerium beeinflusst. Eibelshäuser forderte das Ministerium auf, einerseits seine geringen Einflussmöglichkeiten offensiver auszuüben. „Andererseits sollte es aber auch versuchen, über eine Gesetzesinitiative seinen Einfluss auf die Schulentwicklungsplanung zu stärken.“
In ihrem Koalitionsvertrag verpflichten sich die Regierungsparteien CDU und FDP der „Frankfurter Rundschau“ zufolge: „Wir werden den demografischen Wandel nicht zum Anlass nehmen, die Stellen an hessischen Schulen zu reduzieren.“ Will heißen: Auch wenn es weniger Schüler gibt, die Zahl der Lehrer soll bleiben. Eibelshäuser habe diese Festlegung als Beispiel für einen Appell an alle Parteien genommen: In deren Programme für die Landtagswahl Ende 2013 „gehören Wünsche, Ziele und Visionen hinein – aber bitte vergessen Sie dabei die finanzpolitische Realität nicht“, so zitierte ihn das Blatt. In den von CDU und FDP geschonten Bereichen Schule, Hochschule, Justiz und Innere Sicherheit (also vor allem bei der Polizei) seien 141.000 Menschen beschäftigt. Dieser größte Teil der Verwaltung könne angesichts eines strukturellen Defizits von rund zwei Milliarden Euro nicht von Stellenkürzungen ausgenommen bleiben. Je früher gespart werde, desto weniger schmerzhaft fielen Einschnitte aus.
Der Landeselternbeirat hält die Forderungen des Rechnungshofes für „unverantwortlich“. Die Vorsitzende Kerstin Geis sagte der „Frankfurter Rundschau“, für Grundschüler gelte: „Kurze Beine, kurze Wege.“ Statt Schulen zu schließen, sollte man jahrgangsübergreifende Klassen schaffen. „Was gar nicht geht, ist, auch nur eine Lehrerstelle zu streichen“, sagt Geis. Mit sinkenden Schülerzahlen „bekommen wir vielleicht endlich die Lehrerversorgung, die man uns seit Jahren verspricht“.
Auch die GEW zeigte sich empört. “Die Forderungen nach Personalabbau im Lehrerbereich und Schulschließungen vor allem im ländlichen Raum im Jahresbericht des Hessischen Rechnungshofs werden dem Stellenwert von Bildung für unsere Gesellschaft in keiner Weise gerecht und zeugen von wenig Sachkompetenz”, erklärte der Landesvorsitzende, Jochen Nagel.
Die gesellschaftlichen Kosten, die entstünden, wenn Eltern ihre Kinder zu weit entfernten Schulen auf dem Lande bringen müssten oder wenn Schüler nicht in notwendigem Maße in den Schulen gefördert werden könnten, ginge in die „Milchmädchenrechnungen des Rechnungshofs“ nicht ein. “Zurückgehende Schülerzahlen müssen vielmehr endlich zu einer Verbesserung der schulischen Bedingungen genutzt werden”, so Jochen Nagel. NINA BRAUN
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