Anlaufstelle für begabte Flüchtlingskinder: Wie das Auguste-Viktoria-Gymnasium in Trier mit der Herausforderung umgeht – ein Ortsbesuch

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TRIER. Basmah und Mufleh sind mit ihrer Familie aus Syrien geflohen. Über Ägypten und das Mittelmeer nach Italien. «Wir waren zehn Tage im Boot, hatten kaum Essen und Trinken», erinnert sich Mufleh. «Wir hatten viel Angst.» Heute sitzt der 13-Jährige mit seiner 15 Jahre alten Schwester Basmah in einem Deutschkurs im Auguste-Viktoria-Gymnasium (AVG) in Trier. Mit acht anderen Schülern lernt er fleißig: Elf Monate nach seiner Ankunft kann er richtig gut Deutsch sprechen – und weiß sogar, was er später beruflich machen will: «Ich werde Arzt.»

Das Auguste-Viktoria-Gymnasium in Trier hat Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingskindern. Foto: Martin / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)
Das Auguste-Viktoria-Gymnasium in Trier hat Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingskindern. Foto: Martin / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

«Die Kinder sind sehr ehrgeizig und lernen schnell», sagt Lehrerin Lorna Seemann. Kollegin Evi Grillmeier, die im Nachbarraum auch Deutschintensivkurse gibt, fügt hinzu: «Es funktioniert gut, obwohl die Gruppe sehr heterogen ist.» Heißt: Syrer sitzen neben Ungarn, Rumänen neben Nigerianern. Und 12-Jährige neben 17-Jährigen. Nicht alle sind Flüchtlinge. Aber: «Sie verbindet die Entwurzelung, sie sind alle fremd in der Fremde», sagt Grillmeier.

Das AVG ist in Trier so eine Art Deutschlernzentrum für Kinder mit ausländischen Wurzeln, die ein Gymnasium besuchen. «Wir waren eine der ersten Regelschulen in Rheinland-Pfalz, die schulübergreifende „Deutsch als Fremdsprache“-Kurse angeboten haben», sagt Direktor Bernhard Hügle. Begonnen hatte alles 2007 mit acht Schülern. Heute sind es rund 40 – die Hälfte wird von anderen Gymnasien zum Deutschlernen geschickt. Insgesamt zählt das AVG rund 1070 Schüler – ein Viertel sind Kinder mit Migrationshintergrund aus mehr als 30 Nationen.

Die Trierer waren bei den Deutsch-Intensivkursen landesweit «Vorreiter», sagt der Sprecher des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums in Mainz. Inzwischen gebe es rund 60 derartige schulübergreifende Kurse im Land. Wegen des großen Bedarfs sei die Zahl der Kurse zu Beginn des neuen Schuljahrs um fast die Hälfte auf inzwischen 235 gesteigert worden. «Die Entwicklung wird ständig beobachtet», sagt er.

«Das Deutschlernen ist das A und O», sagt Hügle. Aber auch frühzeitige Kontakte zu heimischen Mitschülern seien wichtig. Daher besuchten die Kinder neben dem Deutschunterricht schon eine feste Klasse. Mindestens an zwei Tagen pro Woche. Nach ein bis zwei Jahren seien sie meist gut integriert: «Viele fallen dann gar nicht mehr auf.»

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Wie viele Flüchtlingskinder in diesem Jahr in rheinland-pfälzische Schulen kommen, sei schwer abzuschätzen, sagt die Sprecherin der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Trier. Grob könne man bei 40 000 erwarteten Flüchtlingen von einem Drittel schulpflichtiger Kinder ausgehen – das wären dann gut 13 000, sagt sie. Landesweit gebe es 1600 Schulen. «Das verteilt sich.»
«Am Anfang war es aber schon ganz schön schwierig», sagt AVG-Lehrerin Layla Ewaiwi, die in ihrer neunten Klasse fünf Kinder mit unterrichtet, die anfangs kein Deutsch konnten. Es brauche einiges an extra Zeit, um den Unterricht am Laufen zu halten. «Es geht nur mit Engagement», sagt die 28-Jährige.

Nach einem Jahr Deutschkurs merke sie aber: «Die Kinder sind angekommen. Und sie sind eine Bereicherung für die Klasse.» Die anderen Schüler seien beeindruckt, wie schnell die Neuankömmlinge lernten. «Das spornt alle an.» Zudem seien die Migrationskinder oft disziplinierter und motivierter. «Sie sind so sehr dankbar, lernen zu dürfen.»

Der große Andrang von Flüchtlingen in Rheinland-Pfalz schlägt sich bislang am AVG noch nicht nieder. Es habe zwar zum Schuljahresbeginn ein paar mehr Anmeldungen gegeben. «Das sind aber noch nicht die, die jetzt erst mit ihren Familien ankommen», sagt Hügle. Unproblematisch sei der Platz in den Deutschkursen. «Die kann man aufstocken.»

Aber der Platz in den Regel-Schulklassen werde eng. Manche Jahrgangsstufen seien jetzt schon «total voll». Die einzige Lösung wäre dann: Ein neue Klasse aufzumachen – aber das gehe nicht mitten im Schuljahr.

Es sei nur eine Frage der Zeit, bis zusätzliche Klassen an allen Schularten notwendig würden, sagt der Vorsitzende des Philologenverbandes Rheinland-Pfalz, Malte Blümke. Dazu müssten dringend und schnell neue Lehrkräfte eingestellt werden. Er forderte einen Nachtragshaushalt, in dem das Land den Schulen 20 Millionen Euro zur Verfügung stelle. Zudem müssten die Deutsch-Intensivkurse ausgeweitet werden. «Das Thema wird uns noch Jahre beschäftigen», sagt er. Von Birgit Reichert, dpa

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