Unterrichten in der Willkommensklasse: Freude an motivierten Schülern, Ärger über die Rahmenbedingungen

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MÜNCHEN. Eine Übergangs- oder Willkommensklasse zu leiten, ist mittlerweile ein eigenständiges Arbeitsgebiet in der Schule geworden. Lehrkräfte, die Flüchtlingskinder unterrichten, haben dabei viele Freiheiten und freuen sich darüber, dass ihre Schülerinnen und Schüler oft sehr motiviert sind. Die Schattenseite: ein Organisationsaufwand, der enorm hoch ist.

Regeln für eine Willkommensklasse in einer Berliner Schule. Foto: Jens-Olaf Walter / flickr (CC BY 2.0)
Regeln für eine Willkommensklasse in einer Berliner Schule. Foto: Jens-Olaf Walter / flickr (CC BY 2.0)

Sybille Kirchner liebt ihren Beruf. An der Mittel- und Wirtschaftsschule in Oberhaching südlich von München unterrichtet sie in einer Übergangsklasse. Ihre Schüler kommen aus Krisengebieten wie Sierra Leone, Syrien oder Afghanistan, aber auch aus Polen oder China. Eine nicht immer leichte, aber erfüllende Aufgabe: «Wenn man sieht, wie hilflos sie ankommen und wie gut sie sich nach einem halben Jahr ausdrücken können und ihren Weg gehen, das ist schon eine große Motivation», sagt sie. Doch das Unterrichten von Schülern ist nur das eine. Viel schwieriger sind die Rahmenbedingungen, die alltägliche Organisation. «Das kostet viel Zeit und Energie und hat mit der tatsächlichen Arbeit am Kind nichts zu tun.»

Da sind zum Beispiel die Formulare und Elternbriefe. «Jede Schule, die eine Übergangsklasse bekommt, fängt bei Null an», hat Kirchner festgestellt. «Anmeldezettel, Notfalllisten, das alles muss immer wieder neu entworfen werden.» Der Wunsch vieler Lehrer: Vordrucke zum Herunterladen, am besten in mehreren Sprachen wie Arabisch. «Wenn man das einmal macht und dann weitergibt, wäre allen geholfen», findet Kirchner.

Auch andere Kleinigkeiten erschweren den Alltag. Etwa, wenn ein junger Flüchtling nicht zur Schule kommt und man nicht schnell die Eltern anrufen und fragen kann. Ist er krank? Wann kommt er wieder? Gibt es Probleme? Selbst wenn Vater oder Mutter zu erreichen sind, ist eine Verständigung oft schwer, denn Dolmetscher sind meist nicht vor Ort. Das mache auch Elterngespräche schwierig bis unmöglich, berichten Pädagogen.

Entlastung könnten nach Ansicht des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) multiprofessionelle Teams bringen aus Sozialpädagogen, Psychologen, Dolmetschern und anderen Helfern, die Schulen rasch und unkompliziert unterstützen. Flüchtlingskinder müssten sozial und kulturell integriert werden, sie müssten Wissen erwerben und Deutsch lernen, einige müssten überhaupt alphabetisiert werden. Und traumatisierte Kinder benötigten psychische Hilfe. «Jetzt liegt es wohl auf der Hand, dass das ein Mensch allein nicht leisten kann», sagt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. «Das geht nicht einfach mal nebenher.»

Das Bayerische Kultusministerium sieht die Schulen in dieser Hinsicht schon gut aufgestellt. «Lehrer können hier auf ein breites Netz an Expertise zurückgreifen», sagt der stellvertretende Pressesprecher Henning Gießen. Es gebe Beratungslehrer und in den Schulämtern spezielle Ansprechpartner. Hinzu kommen bayernweit 880 staatliche Schulpsychologen, wenn auch nicht an jeder Schule. Dass diese aus Zeitmangel nicht immer leicht zu bekommen sind, ist für Gießen kein Problem. «Die Schule ist keine Therapieeinrichtung», erklärt er. «In der Schule geht es darum, entsprechende Fähigkeiten zu vermitteln, um gut ins Berufsleben starten zu können.» Viel wichtiger sei es, Lehrer im Umgang mit traumatisierten Kindern zu schulen. Tauchten Probleme auf, müssten sich die Schulen eben Unterstützung von außen holen.

Bernd Klinger von der Mittelschule an der Wörthstraße in München hat bereits seit 1990 mit Übergangsklassen zu tun. Er schätzt die Freiheit und die Kreativität, mit der er seinen Unterricht gestalten kann. Dass es gut läuft, liegt auch daran, dass regelmäßig eine ehrenamtliche Helferin in seine Klasse kommt, um ihn zu unterstützen und für die Jugendlichen da zu sein. «Sie kann mit einzelnen Schülern helfen, abgesehen davon, dass in vielen Kulturen älteren Menschen ein höherer Respekt entgegengebracht wird», berichtet Klinger.

Klinger gibt seine Erfahrungen an Kollegen weiter und bietet Lehrern Supervision an, damit sie über belastende Dinge reden können, mit denen sie durch die Flüchtlingskinder konfrontiert werden. Außerdem war er lange Jahre Migrationsfachberater der Stadt. «In München sind wir verwöhnt», so lautet seine Erkenntnis. Vieles sei hier einfacher. «Wir können über die Stadt für wichtige Elterngespräche Dolmetscher anfordern.» Daneben gibt es in seiner Schule bei Problemen mit der Verständigung noch eine ganz pragmatische Lösung: «Eine kurdisch-arabisch-türkisch-sprechende Köchin». Von Cordula Dieckmann, dpa

Zum Bericht: Flüchtlingskinder an Schulen – Gymnasium in Duisburg-Marxloh geht neue Wege

 

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