Digitale Bildung – „Die Schule darf nicht außen vor bleiben“, meinen die Lehrerverbände und fordern eine bessere Ausstattung

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GÜTERSLOH. Lehrerverbände haben auf den „Monitor Digitale Bildung“ der Bertelsmann Stiftung reagiert – und einhellig eine bessere Ausstattung der Schulen gefordert. „In einer Gesellschaft, in der in allen Bereichen digitale Technik Einzug gehalten hat, darf die Schule nicht außen vor bleiben“, sagte etwa der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Meidinger. Gleichzeitig aber betonen die Verbände, dass vom Technikeinsatz im Unterricht keine Wunderdinge zu erwarten seien. Lehrer könnten dadurch nicht ersetzt werden.

Schöne neue Lernwelt? Die Schulen in Deutschland stehen vor einer digitalen Revolution. Foto: Ed Ivanushkin / flickr (CC BY-SA 2.0)
Schöne neue Lernwelt? Die Schulen in Deutschland stehen vor einer digitalen Revolution. Foto: Ed Ivanushkin / flickr (CC BY-SA 2.0)

Die GEW mahnt eine Aufrüstung der Schulen mit Hard- und Software sowie mehr Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht an. Leitlinie müsse dabei sei: „Technik soll der Pädagogik dienen!“ „Lehrkräfte wollen guten Unterricht machen. Wenn ihnen die Technik dabei hilft, setzen sie diese auch ein“, meint Ilka Hoffmann, GEW-Vorstandsmitglied für Schule. „Der Einsatz digitaler Medien ist teilweise mit erheblichen technischen und zeitlichen Belastungen verbunden. Das reicht von Ausstattungs- und Wartungsproblemen über Einarbeitungsaufwand bis hin zur Suche nach qualitativ hochwertigem Material.“

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Die Rahmenbedingungen müssten verbessert werden, damit Lehrerinnen und Lehrer den Medieneinsatz nicht als zusätzliche Belastung erleben. „Schulen brauchen eine verlässliche Ausstattung sowie mehr Unterstützung – und zwar in technischer, zeitlicher, personeller und pädagogischer Hinsicht“, betont die GEW-Schulexpertin. Dazu gehöre auch, dass die Bundesebene aktiv wird. „Bundesregierung und Kultusministerien müssen – auch nach der Bundestagswahl – dringend den lange angekündigten ‚Digitalpakt‘ umsetzen und Schulen beim Aufbau digitaler Infrastruktur unterstützen“, sagte Hoffmann. Hintergrund: Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hatte Bundesmittel in Höhe von fünf Milliarden Euro für die technische Ausstattung der Schulen in Aussicht gestellt, eine verbindliche Zusage dann aber auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben.

Hoffmann betont zudem, dass die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte der Entwicklung weit hinterherhinke. „Die Fortbildungen orientieren sich zu wenig am berufs- und fachspezifischen Bedarf. Lehrkräfte lassen sich von Bildungs-, nicht von Technikfragen leiten. Sie wollen einen ganz konkreten Gewinn beim Medieneinsatz im Unterricht sehen. Das ist jedoch leider zu selten der Fall“, erklärt Hoffmann. Deshalb müsse die Fortbildung aufgestockt und bedarfsorientierter werden. Außerdem solle die medienpädagogische Grundbildung in jede Phase der Ausbildung integriert werden.

„So funktioniert das nicht“

Dass digitale Materialien nicht regelmäßiger eingesetzt würden, wundert Hoffmann nach eigenem Bekunden nicht: „Schulen werden im Netz mittlerweile mit digitalen Materialien und Produkten überflutet. So funktioniert das aber nicht. Die so genannten ‚Open Educational Ressources‘ (OER) müssen leicht aufzufinden und zu nutzen, vertrauenswürdig und kostenfrei sein. Hier könnten öffentlich verantwortete Plattformen hilfreich sein, die rechtlich gesicherte Materialien systematisch erschließen, Bezüge zu Bildungs- und Lehrplänen herstellen sowie Informationen zur Herkunft und Finanzierung der Materialien enthalten.“

Die GEW-Vertreterin kritisiert, die Bildungsverwaltung liebäugele zunehmend damit, dass Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Geräte in den Unterricht mitbringen und dort benutzen: „Wer auf private Endgeräte setzt, missachtet das Chancengleichheits- und das Qualitätsgebot. Die Ausstattung der Schulen ist eine öffentliche Aufgabe!“ Auch bei der Digitalisierung von Verwaltungsaufgaben müssten die Kultusministerien nachsteuern. „Im Zuge der Digitalisierung sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben an die Schulen und Lehrkräfte delegiert worden. Das frisst Zeit und Nerven – und wirft immer wieder rechtliche Fragen auf. Schulen und Lehrkräfte brauchen hierfür Rechtssicherheit und mehr Zeit“, unterstreicht Hoffmann.

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Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, der Vorsitzende des Philologenverbands Heinz-Peter Meidinger, spricht sich dafür aus, die Ausstattung der Schulen mit digitalen Medien deutlich zu verbessern und der souveränen Mediennutzung und kritischen Medienerziehung von Schülern einen höheren Stellenwert einzuräumen – und auch er erinnert in diesem Zusammenhang an den von Bund und Ländern angekündigten, aber noch nicht endgültig beschlossenen Digitalpakt.

„Nicht der Nürnberger Trichter“

Wie die Bertelsmann-Studie zu Recht festgestellt habe, sei das größte Hindernis für den Einsatz digitaler Medien nach wie vor eine unzuverlässige technische Ausstattung und der fehlende IT-Support, das heißt die mangelnde professionelle Betreuung der Netzwerke und Endgeräte. Trotzdem zeige er Verständnis für die Mehrheit unter den befragten Lehrkräften, die skeptisch sind, ob der Einsatz digitaler Medien automatisch zu mehr Lernerfolg und besseren Lernergebnissen führe. Meidinger: „Die Mehrzahl der bisher vorliegenden Studien zeigt keine beziehungsweise eher geringe Effekte des verstärkten Einsatzes von Computern und digitalen Medien im Unterricht, was den Lernerfolg betrifft. Wir müssen unsere Schüler fit machen im souveränen Umgang mit digitalen Medien, diese sind aber nicht der Nürnberger Trichter, der zu einer Revolutionierung des Lernens führen wird.“

Ein Erklärvideo aus dem Internet könne niemals die Lehrkraft und der virtuelle Austausch über soziale Netzwerke könne nie den persönlichen Kontakt im Unterricht vollständig ersetzen, betont Meidinger abschließend und verweist auf die Studie selbst, wonach nur knapp über ein Drittel der Schüler es begrüßen würde, wenn Instagram, Snapchat und Co. öfter im Unterricht eingesetzt würden. Und sogar nur ein Viertel aller befragten Schüler findet automatische Rückmeldungen besser als persönliches Feedback durch die Lehrkraft.

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Ähnlich äußert sich Jürgen Böhm, Vorsitzender des Verbands der Realschulen. Er verweist auf die großen Chancen, die mit dem Digitalisierungsprozess einhergehen – aber auch darauf, dass dieser Prozess nicht alle pädagogischen Herausforderungen lösen werde und nicht als „Allheilmittel“ zu interpretieren sei. Eine zukunftsorientierte Schule müsse sich mit den Herausforderungen einer digitalen Gesellschaft auseinandersetzten und den Heranwachsenden beste pädagogische und technische Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen. Ihr künftiges Leben werde ihnen verstärkt Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kritikfähigkeit im Umgang mit modernen Medien, digitalisierten Prozessen und entsprechenden Kommunikationsmitteln abverlangen. Es komme darauf an, die digitalen Strukturen und Medien sinnvoll in die Unterrichtskonzepte einzubinden. Dabei müsse es jedoch immer um die Qualität, den pädagogischen Mehrwert und den Erkenntniszuwachs für die Schüler gehen und niemals um die Quantität der Endgeräte oder den reinen Einsatz von Technik.

Die einzelne qualifizierte Lehrkraft sei der ausschlaggebende Faktor für eine gelingende Einbindung der Digitalisierung in den Schulalltag. Böhm: „Den Lehrkräften kommt im Prozess der Digitalisierung künftig eine noch größere Bedeutung zu. Wer denkt, dass die Lehrkraft in Zukunft überflüssig sein wird oder durch digitale Endgeräte ersetzt werden kann, der hat die Zeichen und die möglichen Risiken einer zunehmend medialen Zeit nicht erkannt.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

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