Neue Chance hinter Gittern: Deutsch für Häftlinge aus Nicht-EU-Ländern

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GLAUBITZ. Egal ob Flüchtling oder nicht, sie kommen aus aller Herren Länder: Häftlinge aus Nicht-EU-Staaten in Sachsen. Ein neues Programm des Integrationsministeriums ermöglicht ihnen erstmals Deutschkurse im Gefängnis. In der JVA Zeithain profitieren alle davon.

Etwas Sinnvolles im Gefängnis machen – das ist wichtig.                                        Foto: Allie_Caulfield / flickr / CC BY 2.0

Arafet Mhamdi hat sich aufgeschrieben, was er sagen will – und seine Notizen am Ende mit einer kleinen Zeichnung garniert. «Couscous», steht als Erklärung hinter einem Pfeil. Mhamdi ist Tunesier und Couscous ein traditionelles Gericht der nordafrikanischen Küche. Doch der junge Mann ist mehr als 3.000 Kilometer von seiner Heimat entfernt in Deutschland. Weil er hier straffällig geworden ist, verbüßt er eine Haftstrafe. In der Justizvollzugsanstalt Zeithain im Landkreis Meißen gehört der Tunesier zu einer Gruppe von zehn Gefangenen aus Nicht-EU-Staaten, die im Gefängnis Deutsch lernen.

Sieben Männer im Alter zwischen 26 und 45 Jahren sitzen in dem kleinen Raum eines Flachbaus. Drei weitere sind an diesem Tag «auf Schub» – das heißt, sie haben wichtige Termine wie Vernehmungen, Verhandlungen oder Anwaltsbesuch. Der Unterricht dreht sich um Herkunft und Zukunft. Wo komme ich her, wo will ich hin? Lehrerin Nina Franke hat dafür mit Kreide verschiedene Fragen an die Schultafel geschrieben. Immer wieder unterbricht sie, korrigiert, stellt Nachfragen. Bei guten Leistungen spielt sie Applaus von einem Gerät ein, das an einen Babyfon-Empfänger erinnert.

Ihre Schüler kommen aus Tunesien, Russland, Georgien, Libyen, Algerien und dem Irak. «Wir sprechen alle Deutsch», gibt Franke ihre Unterrichtsmaxime vor. Die Männer auf den Schulbänken eint, dass alle bereits die deutsche Sprache verstehen und sprechen können. Nun sollen sie diese auch lesen und schreiben lernen. Ihr Kurs ist ein Alphabetisierungskurs. Er umfasst 400 Unterrichtsstunden zu je 45 Minuten und dauert ein halbes Jahr.

Der Lehrstoff ist der Gleiche wie in den Deutschkursen zum Beispiel für Flüchtlinge in Freiheit – und doch sind die zehn Männer so etwas wie Pioniere: Dass Gefangene aus Nicht-EU-Staaten diesen Unterricht bekommen, ist neu. Bislang war dies nur EU-Ausländern durch Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) vorbehalten.

Lehrer zu finden ist schwierig

Seit diesem Jahr nun finanziert das Sächsische Staatsministerium für Gleichstellung und Integration die Kurse für Gefangene aus Drittstaaten. Außer in Zeithain wird der Alphabetisierungskurs auch in der JVA Regis-Breitingen (Landkreis Leipzig) durchgeführt. In den Gefängnissen Leipzig, Görlitz, Zwickau, Dresden und Bautzen gibt es Einstiegskurse. Diese umfassen 200 Unterrichtsstunden, dauern drei Monate und sollen Verstehen und Sprechen der Sprache vermitteln.

Die Sprachkurse in den Anstalten könnten gemäß der Richtlinie Integrative Maßnahmen gefördert werden, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Für alle Kurs-Kategorien (Deutsch sofort, Alphabetisierungskurse, Deutsch qualifiziert, Deutsch Beruf, Deutschkurse in JVA) stehen in diesem Jahr neun Millionen Euro zur Verfügung. Ausgereicht wird das Geld über die Sächsische Aufbaubank (SAB).

Für die Bildungsträger der JVA-Kurse bleibt davon nicht viel übrig. Das Berufsfortbildungswerk, das die Kurse in Leipzig und Zeithain organisiert, bekommt für den Alphabetisierungskurs 31.200 Euro. Für die Einsteigerkurse in Leipzig seien es rund 16.000 Euro. «Wir müssen sehen, wie wir damit zurecht kommen. Wir sind geübt und schaffen das», sagt Simone Kinder, Leiterin im Geschäftssegment RESO beim Berufsfortbildungswerk.

Das Geld gehe für die Lehrergehälter, Arbeitsmittel, Verwaltung sowie die Vertretung der Pädagogen bei Urlaub oder Krankheit drauf. Laut Kinder beträgt der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) festgelegte Mindestlohn für die Lehrkräfte 35 Euro pro Unterrichtseinheit. Es sei schwer, Lehrer zu finden, die eine Zulassung durch das BAMF haben und eine Zusatzqualifikation für die Alphabetisierung. «Der Markt ist leer», sagt Manuela Schindler, Verantwortliche der Bildungsstätte in der JVA Zeithain.

Das Wichtigste ist Respekt

Der am 12. Februar gestartete Kurs ist auch für die Justizbeamten in Zeithain ein Gewinn. Die Gefangenen seien sinnvoll beschäftigt und man tue etwas für die Integration, sagt Benno Kretzschmar, in Personalunion Pressesprecher und Sicherheitsbeauftragter der Anstalt. Die Männer seien ausgeglichener, hätten einen strukturierten Tagesablauf. Sie würden Arbeitsschutzbelehrungen verstehen und könnten das, was sie wollten, schriftlich beantragen. «Das hilft uns, die Leute in den Vollzugsalltag zu integrieren», sagt Kretzschmar und ergänzt: «Es ist auch unser Anspruch, die Gefangenen fit zu machen für draußen.»

Nach Angaben aus seinem Haus gibt es in den Haftanstalten in Einzelfällen Probleme mit Gefangenen aus muslimisch geprägten Ländern, insbesondere aus Nordafrika. Sie würden Anweisungen nicht befolgen oder Selbstverletzungshandlungen androhen, um Interessen durchzusetzen. Kretzschmar bestätigt dies, betont aber, dass es tatsächlich nur Einzelfälle seien. Die Vollzugsbeamten ihrerseits müssten lernen, dass diese Menschen eine andere Gestik, eine andere Dynamik und ein anderes Ehrgefühl hätten. «Das Wichtigste ist Respekt.»

Diesen verspürt Lehrerin Franke von den Gefangenen in ihrem Deutschkurs. «Aggressionen mir gegenüber habe ich noch nicht erlebt», sagt die schlanke blonde Frau. Sie lehre zwar Deutsch. «Aber die Regeln der Gesellschaft besprechen wir auch. Die interkulturellen Aspekte sind ganz wichtig», erklärt die gebürtige Russin. Sie sei auch ein Beispiel für eine Ausländerin. «Nur der Erfolg zählt, nicht die Nationalität oder die Herkunft», sagt sie. Die meisten ihrer zehn Schüler werden 2019 aus der Haft entlassen. «Diese Menschen werden wir bald draußen haben. Das motiviert mich, Deutsch zu unterrichten.» dpa

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