TÜBINGEN. Soziale Medien sind keineswegs nur Zeitverschwendung zur Unterhaltung einer Jugend, die nur noch virtuelle, sprich: illusorische soziale Bindungen kennt. Das zeigt eine Langzeitstudie von Tübinger Wissenschaftlern. Die Verbindung mit Facebook-Freunden bringt den Nutzern des Netzwerks messbare Vorteile, fanden sie heraus. Mit längerer Nutzung würden sich diese sogar verstärken.
Sich mehrmals täglich bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken einzuloggen, gehört für viele mittlerweile zur täglichen Routine. Während oft befürchtet wird, dass das permanente Checken der überwiegend positiven Statusmitteilungen anderer zu Stress, Neid und reduziertem Wohlbefinden führt, haben Forscher des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) in herausgefunden, dass der persönliche Stress nicht von der Facebooknutzung beeinflusst werde. Die Plattform biete sogar Möglichkeiten sozialer Unterstützung. Auch die berufliche Nutzung sozialer Medien zahlte sich aus: Wer LinkedIn nutzt, habe berufliche Informationsvorteile.
Im Rahmen einer internationalen Studie untersuchten die WIssenschaftler um Sonja Utz, inwiefern soziale Medien es verändern, wie und von wem deren Nutzer Informationen und emotionale Unterstützung erhalten. Dabei gehe es insbesondere darum „Bindungsstärke neu zu definieren“. Denn soziale Medien helfen, mit vielen Menschen in Verbindung zu bleiben – ganz egal, ob es enge Freunde sind und damit starke Bindungen, Bekannte und damit schwache Bindungen oder Menschen, die man kaum kennt.
Wie die Forschung an sozialen Netzwerken gezeigt habe, geben starke Bindungen den Nutzern eher emotionale Unterstützung, während schwache Bindungen ihnen neue Informationen liefern. Anhand von niederländischen Internetanwendern ermittelten nun die IWF-Forscher über einen Zeitraum von 2013 bis 2017 die Effekte der Nutzung verschiedener sozialer Medien mit Schwerpunkt auf Facebook und LinkedIn.
Facebook werde dabei überwiegend für die Pflege von Freundschaften genutzt. Die Ergebnisse der Studie hätten gezeigt, dass diese Netzwerke und die so genannten virtuellen Freunde konkreten Nutzen bringen können. Anders als von Skeptikern ins Feld geführt, seien diese soziale Beziehungen mehr als eine Illusion. Die Facebook-Nutzer (etwa 73 Prozent der Befragten) berichteten über mehr erhaltene Online-Unterstützung in sozialen Netzwerken als die Nichtnutzer. Und je mehr sie danach fragten, desto mehr Unterstützung hätten sie erhalten.
Über einen längeren Zeitpunkt verstärke sich dieser Effekt sogar: Personen, die einmal soziale Unterstützung im Internet erhalten hatten, fragten ein halbes Jahr später auch häufiger ihr Online-Netzwerk um Rat. Mehr erhaltene soziale Unterstützung führte allerdings nicht gleich zu höherer Lebenszufriedenheit – Stress und Lebenszufriedenheit würden folglich mehr durch offline Ereignisse beeinflusst als durch die Nutzung sozialer Medien, so die Folgerung der Wissenschaftler.
Deutlich stärkere Effekte zeigten sich für die Nutzung von Business-Netzwerken. Deren Nutzer berichteten durchweg von höheren Informationsvorteile im beruflichen Kontext als die Nichtnutzer. Aktive Nutzung und gezielter Netzwerkaufbau spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die im Kontext des Projekts durchgeführten Experimente wiesen darauf hin, dass bereits das regelmäßige Überfliegen von Updates dazu beitrage, sogenannte ambient awareness, also Wissen über die Netzwerkmitglieder und deren Expertise, zu entwickeln.
Die Ergebnisse haben nach Utz Meinung besonders Implikationen für den Einsatz sozialer Medien im Wissensmanagement von Firmen und Organisationen. Sie zeigten, dass die auf beruflichen Plattformen verbrachte Zeit keine Verschwendung sei, sondern ermutigt werden könnte. Die Nutzung sozialer Netzwerke helfe vielmehr dabei, richtige Ansprechpartner zu finden und aktuelle Entwicklungen im Blick zu haben. (zab, pm)
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