AfD will Einschüchterungsaktion gegen parteikritische Lehrer jetzt auf Sachsen ausweiten – Piwarz: „Gesinnungsschnüffelei wie bei der Stasi“

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HAMBURG/DRESDEN. Die Hamburger AfD will mit ihrem „Meldeportal“, das seit gut drei Wochen für anonyme Beschwerden über parteikritische Lehrer offensteht, Dutzende von „ernstzunehmenden“ Zuschriften erhalten haben. Dies behauptete der schulpolitische Sprecher und Vorsitzende der AfD-Fraktion in der Hansestadt, Alexander Wolf, gegenüber dem „Stern“. In Sachsen plant nun die AfD nach einem Bericht der „Freie Presse“ ein weiteres „Meldeportal“ nach Hamburger Vorbild – erstmals in einem östlichen Bundesland. Die Empörung schlägt dort mit Blick auf die Erfahrungen aus der DDR besonders hoch.

AfD-Plakat im bayerischen Wahlkampf. Foto: Markus Spiske / flickr (CC BY 2.0)

Seit Mitte September existiert das von der AfD betriebene „Informationsportal Neutrale Schulen Hamburg“. Der dortige AfD-Fraktionschef Wolf, Nachfolger des vor zwei Wochen wegen rechtsextremistischer Umtriebe in der Partei zurückgetretenen Jörn Kruse, räumte gegenüber dem „Stern“ ein, dass es auch satirische Einsendungen gebe (News4teachers berichtete). Von einer „Flut“ wolle er aber nicht sprechen, heißt es. „Ernstzunehmende und scherzhafte Beiträge halten sich nach einer ersten Sichtung von mehreren hundert Beiträgen die Waage“, so erklärte der Parteifunktionär.

Aus Niedersachsen und Berlin wurde von öffentlich gemachten Überlegungen seitens der dortigen AfD-Landesverbände berichtet, ebenfalls  eine „Denunzianten-Homepage“ (so die niedersächsische GEW-Chefin Laura Pooth) einzurichten. Die sächsische AfD macht offenbar nun ernst. Sie wolle jetzt tatsächlich, so berichtet die „Freie Presse“, Schüler im Freistaat zur Beobachtung von Lehrern aufrufen: In den nächsten Wochen werde ein entsprechendes Portal online gehen, über das parteikritische Lehrkräfte gemeldet werden können. Darauf hätten sich die Landtagsabgeordneten der Partei verständigt, wie die Zeitung berichtet. Lediglich Details der Aktion müssten noch geklärt werden. Grundsätzlich wolle man sich an dem Hamburger Vorbild anlehnen. Das würde bedeuten: Auch anonyme Meldungen wären möglich.

„Sämtliche Warnlampen angehen“

Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) kritisiert die Pläne gegenüber der „Freien Presse“  scharf: „Das ist eine ekelhafte Gesinnungsschnüffelei, wie man sie noch aus Zeiten der Nazi-Diktatur oder von der Stasi kennt“, sagte er gegenüber der Zeitung. „Es spricht Bände, wenn sich die AfD wieder solcher Mittel bedienen und zu einer Überwachungsbehörde in eigener Sache aufschwingen will.“ Er werde sich klar vor die Lehrer stellen und die Gesellschaft sollte dies auch tun. „Lehrer müssen im Unterricht parteipolitisch neutral bleiben. Aber sie haben eine Pflicht zum demokratischen Diskurs“, erklärte der Kultusminister. Auch der Sächsische Lehrerverband (slv) bezog Position: Ein Lehrer dürfe eine eigene Meinung haben und diese auch äußern – auch wenn die der AfD nicht gefalle, erklärte slv-Vorsitzender Jens Weichelt. Dafür dürften Lehrer nicht an den Pranger gestellt werden.

„Viele Menschen in Ostdeutschland haben in ihrem Leben Denunziation und Anschwärzung erlebt. Knapp 29 Jahre ist es nun her, dass mit dem Mauerfall jener Staat unterging, in dem genau solche Methoden gang und gäbe waren. Sie dienten letztlich einem Zweck, nämlich dem Machterhalt einer politischen Partei. Und die machte auch vor Klassenzimmern nicht Halt“, so kommentiert die „Freie Presse“ das Vorhaben der AfD. „Wenn politische Kräfte heute wieder versuchen, Einfluss auf Schulkinder zu nehmen oder sie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, sollten sämtliche Warnleuchten angehen.“ News4teachers

Was der Sächsische Lehrerverband meint

Der Sächsische Lehrerverband (slv) sieht in den Plänen der sächsischen AfD-Fraktion „zur Kontrolle der Lehrer via Online-Portal einen ernstzunehmenden Versuch, das parteipolitische Neutralitätsgebot auszuhebeln und den Unterricht zum Zwecke von Gesinnungsschnüffelei überwachen zu wollen“.

Kritisiert die Personalpolitik des Sächsischen Kultusministeriums: Jens Weichelt. Foto: Sächsischer Lehrerverband
Zeigt sich empört: slv-Chef Jens Weichelt. Foto: Sächsischer Lehrerverband

Jens Weichelt, Vorsitzender des slv, erklärt dazu: „Die sächsischen Lehrerinnen und Lehrer gestalten ihren Unterricht nach den Grundsätzen des Beutelsbacher Konsens. Was in Politik und Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, stellen Lehrkräfte auch im Unterricht kontrovers dar. Das Vorhaben der AfD Sachsen, eine Beschwerdeplattform gegen Lehrer einzurichten, zielt auf Einseitigkeit, widerspricht unseren Grundwerten und ist nicht akzeptabel. Mit solchen Plänen wird versucht, das parteipolitische Neutralitätsgebot auszuhebeln und den Unterricht zum Zwecke von Gesinnungsschnüffelei überwachen zu wollen. Das erinnert an Stasi-Methoden.“

Lehrern sei es nach dem Überwältigungsverbot des „Beutelsbacher Konsens“ der politischen Bildung nicht erlaubt, die Schüler im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hintergrund: Der Beutelsbacher Konsens ist eine Übereinkunft, die seit 1976 in der Bundesrepublik Deutschland die Grundsätze der politischen Bildung festlegt. Demnach sollen Lehrer Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen oder sie indoktrinieren. Bei Themen, die in Politik und Wissenschaft kontrovers diskutiert werden, müssen die kontroversen Positionen auch im Unterricht dargestellt werden. Außerdem sollen Schüler befähigt werden, politische Situationen zu analysieren und sich dazu eine eigene Meinung zu bilden. Konkurrierende Positionen von Parteien werden beispielsweise vor Wahlen anhand ihrer eigenen Wahlprogramme dargestellt. Auch aktuelle Themen wie „Flüchtlinge“ oder „Zuwanderung“ werden in der Schule kontrovers dargestellt und von den Schülern diskutiert.

„Schülerinnen und Schüler finden in der Schule einen Ort, wo sie diskutieren und ihre Meinungen artikulieren können. Eine Meinung wird auch nicht bewertet, ganz gleich, in welche Richtung sie geht. Sollte bei Schülern oder Eltern der Eindruck entstehen, dass Lehrer den Beutelsbacher Konsens nicht gebührend beachten, wird das klärende Gespräch mit dem Lehrer mehr bringen als eine Internetplattform“, meint Weichelt.

Der Beitrag wird auf der Facebook-Seite von News4teachers disktutiert.

Hunderte Lehrer nutzen das “Meldeportal” der AfD – aber anders, als sich die Partei das vorstellt…

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2 Kommentare
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Holger Ludwig
5 Jahre zuvor

Liebes News4teachers-Team,

der Name der sächsischen Zeitung lautet „Freie Presse“. Die „Neue Presse“ erscheint in Hannover.

Grüße aus Sachsen