Digitale Bildung: „Aus den Erfahrungen mit den Smartboards sollten alle gelernt haben“

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HANNOVER. Die digitale Bildung in Deutschland kommt, aber sie kommt – so der Eindruck – extrem langsam. Warum ist das so? Wir sprachen darüber mit jemandem, der es wissen muss: Stephanie Kleta-Bohmann, promovierte Sprachwissenschaftlerin und stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Digitale Bildung. Sie berät Schulen bei der Digitalisierung. Hier ist Teil zwei des Interviews mit ihr, der sich mit dem Unterricht und der Lehrerrolle beschäftigt – und mit schlechten Erfahrungen, aus denen Lehren gezogen werden sollten.

Hier geht es zum ersten Teil, in dem es darum ging, wie Schulen sich digitalisieren können – ganz praktisch.

Die Digitalisierung verändert den Unterricht. Foto: Junge Tüftler / flickr / CC BY-SA 2.0

Wie verändert die Digitalisierung den Unterricht?

Kleta-Bohmann: Es gibt verschiedene Stufen, die ein einsteigender Lehrer durchläuft. Als erstes wird er seinen Papierverbrauch senken. Dann wird er schnell erkennen, wie die Technik hilft, den Arbeitsalltag zu erleichtern. Schließlich wird er damit beginnen, neue Wege in seinem Unterricht zu gehen. Mit digitalen Medien kann ich einen virtuellen Rundgang durch den Louvre unternehmen, ich kann in das Innere eines Körpers schauen, ich kann sehr viel komplexere Fragestellungen erschließen. Die Motivation steigt und die Kinder und Jugendlichen finden ganz andere Zugänge zu den Themen.

Verändert sich dadurch die Lehrerrolle im Unterricht?

Kleta-Bohmann: Ja. Im traditionellen Unterricht fokussiert sich alles auf den Lehrer. Diese Zentrierung bricht auf. Die Lernprozesse werden selbstständiger und der Lehrer wird dabei immer mehr zum Coach, der Ziele vorgibt und dafür sorgt, dass sich kein Schüler auf dem Weg dahin verläuft – er ist aber nicht mehr die Quelle der Information. Als Lehrer muss ich zulassen, dass auch meine Schüler viel Wissen recherchieren können und auch mir noch etwas beibringen dürfen. Wissen ist im Internet breit verfügbar, allerdings auch viel Unsinn. Das Gehaltvolle vom Unwichtigen zu unterscheiden, also Medienkompetenz aufzubauen, das wird immer wichtiger. Wann ist ein Video ein Fake und wann nicht – dafür gibt es Hinweise und Hilfen. Man muss sich aber damit beschäftigen.

Wo recherchiere ich? Welche Quellen sind seriös? Woran erkenne ich das? Darauf Antworten zu geben – und zwar nicht theoretisch, sondern bei der praktischen Arbeit im Unterricht –, das rückt für Lehrer in den Mittelpunkt.

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Wenn eine Schulleitung sich jetzt vornimmt, erste Schritte hin zur Digitalisierung anzugehen – welche wären das?

Kleta-Bohmann: Grundvoraussetzung ist, dass der Schulleiter zumindest Teile des Kollegiums hinter sich bringt. Also dass er Lehrer einsammelt, die grundsätzlich bereit sind, digital zu arbeiten. Das ist immer der erste Punkt. Man wird selten sofort alle dafür gewinnen können, aber ein paar reichen schon. Der nächste Schritt ist, an den Schulträger heranzutreten und mit ihm den finanziellen Rahmen zu besprechen. Im Vorfeld ist es allerdings sinnvoll, sich externe Hilfe zu holen. Schulleiterinnen und Schulleiter sind nun mal keine Digitalisierungsexperten – und schon zu Beginn ist ein Überblick wichtig, um den Bedarf zu definieren. Wer Geld haben will, sollte die pädagogischen und technischen Möglichkeiten analysiert haben. Zum Bürgermeister zu gehen und zu verlangen, dass der mit der Gießkanne die Mittel verteilt, ist wenig erfolgversprechend.

Und auch nicht sachgerecht. Dann geschieht womöglich das, was früher mit den Smartboards passierte – die wurden vielerorts angeschafft, ohne dass vorab geklärt worden wäre, was die Lehrer damit eigentlich anfangen sollen. Die wussten es nicht so recht. Also wurden die Smartboards hier und da sporadisch eingesetzt. Und nach vier Jahren waren sie kaputt. Dann wurden sie in die Ecke gefahren – und das war’s.

Daraus sollten alle gelernt haben. Es ist zentral, die Technik mit der Pädagogik abzustimmen, dem Ganzen einen realistischen finanziellen Rahmen zu geben, aber auch die Menschen mitzunehmen. Deswegen muss eine Schule auch nicht gleich Millionen investieren, um digital zu arbeiten. Man kann auch erst mal klein anfangen und wächst dann nach und nach.

Wieso sollte der Schulträger dem Schulleiter eine Beratung finanzieren? Was hat der Schulträger davon?

Kleta-Bohmann: Er spart Geld. Weil Mittel nicht unnütz ausgegeben werden. Die Technik richtet sich nach der Pädagogik – nicht andersherum.  Wir beraten auch ganze Regionen und moderieren zwischen den Beteiligten. Oftmals arbeiten Schulen gegeneinander in Konkurrenzsituationen und jeder kocht sein eigenes Süppchen. Dadurch können keine schulübergreifenden Konzepte entstehen und fehlende technische Standards erhöhen zukünftig den Administrationsaufwand, die Komplexität und dadurch die Kosten. Darüber hinaus wird es immer schwieriger, die IT-Anforderungen zu managen. Daher sind Konsolidierungsmaßnahmen hilfreich und notwendig. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung von Schulen gegeben.

Hier geht es zum ersten Teil des Interviews.

Zur Person
Stephanie Kleta-Bohmann. Foto: privat

Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Stephanie Kleta-Bohmann war Redakteurin großer Bildungsverlage in Deutschland, bevor sie die Geschäftsführung von adiuvantis übernahm, einem Beratungs- und Unterstützungsdienst für Entwicklung und Aufbau digitaler Lernwelten in Schulen.

Sitz des Unternehmens, das Schulen und Schulträger bundesweit berät, ist Hannover. Der Ansatz der Mutter von drei Kindern ist ein pädagogischer. Sie sagt: „Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Aber sie bietet, sinnvoll angewandt, für die Schulen große Chancen.“ Dr. Kleta-Bohmann ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Digitale Bildung. Kontakt: www.adiuvantis.de

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