Eltern-Kind-Bindung: Urvertrauen bildet das sichere Fundament fürs Leben

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MÜNCHEN. Inniges Kuscheln, Hautkontakt, liebevolle Zuwendung – all das ist gut für die Bindung zwischen Eltern und Kind. Doch wie wichtig ist sie für das Baby? Und beeinflusst sie wirklich das ganze Leben?

Schon in den ersten Lebensmonaten entsteht ein Urvertrauen, das das spätere Leben entscheidend prägt. Foto: Ryan and Sarah Deeds / flickr (CC BY-SA 2.0)

Ob Geburtsvorbereitungskurs, Eltern-Ratgeber oder Online-Magazin – schon in der Schwangerschaft prasseln jede Menge Tipps auf junge Eltern ein. Immer mit dabei: das Thema Bindung – wie wichtig sie für das Kind ist und was es zu beachten gilt. Häufig entsteht daraus vor allem eins: Verunsicherung.

«Eltern dürfen gelassen bleiben», sagt Prof. Fabienne Becker-Stoll, Diplom-Psychologin und Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München. «Bindung zwischen Eltern und Baby entwickelt sich in der Regel völlig natürlich. Eltern wissen intuitiv, was das Richtige ist.» Durch sanfte Berührungen und eine liebevolle Zuwendung wachse eine innige Beziehung heran. Und die sei für die Entwicklung des Babys tatsächlich von enormer Bedeutung: «Kinder mit einer sicheren Bindung entwickeln Urvertrauen in die Welt. Sie haben alle Voraussetzungen, fröhlich und neugierig durchs Leben zu gehen.»

Jutta Draht, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Diplom-Heilpädagogin aus Hattingen (Nordrhein-Westfalen), vergleicht die Bindung mit Leitplanken: «Am Anfang stehen die Planken ganz eng. Das Baby braucht viel Schutz und Geborgenheit. Im Laufe des Lebens werden die Leitplanken immer weiter. Die Kinder haben Sicherheit erfahren und können sich nun selbst ausprobieren.»

Sicherheit und Geborgenheit schenken – das wünschte sich auch Inga Nawin aus Köln, als sie zum ersten Mal schwanger war. «Ich freute mich auf eine natürliche Geburt und auf die erste Kuschelzeit mit meinem Baby», erzählt die 39-Jährige. Doch alles kam anders. Trotz Wehen ging die Geburt nicht voran, zwei Tage lang bekam Nawin Schmerzmittel mit heftigen Nebenwirkungen. Und dann: Kaiserschnitt. Ihren kleinen Paul konnte sie danach nicht sofort in den Armen halten, die Wirkung der Medikamente war noch zu stark.

«Mütter müssen sich auch dann keine Sorgen machen, etwas zu versäumen», sagt Becker-Stoll. «Die ersten Stunden nach der Geburt sind nicht alles. Die Eltern-Kind-Bindung entwickelt sich über eine lange Zeit.» Prägend seien die ersten acht bis zehn Lebensmonate. In diesem Zeitraum legt sich laut Becker-Stoll ein Baby auf seine Bezugsperson fest – dabei spielt es keine Rolle, ob es die Mutter, der Vater, Opa oder Oma ist. «Babys binden sich immer an den Menschen, der sich am meisten kümmert.» Erst mit etwa einem Jahr öffne sich das Kind auch für weitere Bezugspersonen.

Auch Inga Nawin wurde Bezugsperson Nummer eins für ihren Sohn Paul. «Obwohl ich die ersten Kuschelmomente verpasst habe, hatte ich nie Zweifel daran», erinnert sich die mittlerweile dreifache Mutter. «Eine gesunde Einstellung», sagt Becker-Stoll. «Wenn die Eltern glücklich und mit sich im Reinen sind, können sie sich auch liebevoll um ihr Baby kümmern.» So entstehe ein leichtes, unbeschwertes Miteinander.

Um wirklich unbeschwert mit ihrem Baby umgehen zu können, traf Inga Nawin nach der Geburt eine Entscheidung: Sie wollte nicht stillen. «Mir widerstrebte die Vorstellung extrem.» Und trotzdem hörte sie immer wieder, wie wichtig das Stillen für die Bindung sei. «Das ist nicht richtig. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Stillen und Bindungsverhalten», sagt Becker-Stoll.

Niemals alleine schreien lassen

Vielmehr gehe es darum, einem Baby beim Füttern kostbare Momente zu schenken – durch Zuwendung, Berührung und Blickkontakt. «Wenn dies geschieht, ist es nicht entscheidend, ob ein Kind gestillt wird oder ein Fläschchen bekommt.» Viel wichtiger sei vor allem eins: Ein Baby niemals alleine schreien zu lassen. «Das zerstört nicht nur die Bindung zwischen Eltern und Kind», sagt Becker-Stoll. Die Gehirnentwicklung leide ganz erheblich.

Auch Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Jutta Draht betont: «Kinder wollen nicht ignoriert, sondern gesehen werden. Sie brauchen das Gefühl, gewollt und gewünscht zu sein.» Das erreichten Eltern durch viel Achtsamkeit, Feinfühligkeit und vor allem: ohne Handy in der Hand.

Doch was ist mit Kindern, die nicht immer eine sichere Bindung erfahren haben? Meistern sie ihr Leben wirklich von vornherein schlechter? «Das muss nicht unbedingt sein», sagt Becker-Stoll. Bindung entstehe durch viele verschiedene Faktoren und werde nicht gleich durch einen oder zwei Fehler zerstört. Eltern sollten daher keine Perfektionsansprüche an sich stellen. «Wenn sie mal aus der Haut fahren und wütend mit ihren Kindern schimpfen, wird die Bindung nicht darunter leiden», sagt Becker-Stoll.

Jutta Draht ergänzt: «Wichtig ist auch zu wissen, dass sich Bindung und Erziehung nicht widersprechen.» Im Gegenteil: Ein klares Nein fördere eine gute Bindung. Es gebe Kindern Orientierung und Sicherheit.

Inga Nawins Sohn Paul ist mittlerweile neun Jahre alt, der kleinste Bruder ist drei. «Mein Mann und ich haben zu allen drei Jungs eine innige Beziehung. Natürlich gibt es auch mal Krach, aber das kratzt niemals an unserem Gefühl, dass wir uns immer aufeinander verlassen können.» Von Sandra Arens, dpa

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