Debatte: Wie sollen Lehrer mit petzenden Kindern umgehen? Soll das Petzen gar bestraft werden?

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DÜSSELDORF. Petzen gilt als Unart. Das Wort, das eigentlich nur beschreibt, wenn ein Kind das vermeintliche oder tatsächliche Fehlverhalten eines anderen Kindes einem Erwachsenen – meist einem Lehrer – berichtet, ist negativ belegt. „Verrat“ schwingt mit, auch der Versuch, sich auf Kosten anderer zu profilieren. Laut Duden sind „schwätzen“ und „klatschen“ verwandte Begriffe. Kein Wunder also, wenn Lehrkräfte mitunter irritiert darüber sind, wenn sie mit Schülerklagen über andere konfrontiert sind – wie jene Referendarin, die im Forum von „Referendariat – Selbsthilfegruppe“ auf Facebook ihre Unsicherheit im Umgang mit dem Phänomen gestand und damit eine breite Diskussion auslöste. Wird heute mehr als früher gepetzt? Und: Was steckt überhaupt dahinter?

„Ständig heißt es, schauen sie mal bei y oder x, der macht dies und jenes“ – wie soll eine Lehrkraft damit umgehen? Foto: Shutterstock

„Mir ist aufgefallen, dass SuS sich ständig gegenseitig verpetzen. Es gibt gar nicht mehr diesen Zusammenhalt. Ich hätte früher keine Mitschüler verpetzt, niemand wollte als Petze dastehen. An meiner Schule ist das anders“, so berichtet die Referendarin – und fragt in die Runde: „Ich bin mir total unsicher wie ich richtig reagieren soll. Ständig heißt es, schauen sie mal bei Schüler y oder x, der macht dies und jenes. Ich würde den Schülern gerne klarmachen, dass ich petzen für falsch halte. Zusätzlich muss ich aber ja auch diejenigen bestrafen, die Opfer eines Petzers wurden, wenn das Opfer sich nicht an meine Regeln gehalten hat. Schwieriges Dilemma. Hat jemand Tipps/Erfahrungen?“

Und sie bekommt viele Antworten. Eine Auswahl:

  • „Ich würde einfach mal auf nette Art deutlich machen, dass du sehr wohl siehst, wer was tut, auch wenn du dies nicht immer kommentierst, und du dir daher dein eigenes Bild machst und nicht auf wiederkehrende Kommentare von anderen SuS (Schülerinnen und Schüler, die Red.) angewiesen bist.“
  • „Ich habe klar gesagt, was ich davon halte, wenn sie sich gegenseitig verpetzen und was das über sie selbst aussagt und deren Sozialkompetenz und Zusammenhalt innerhalb der Klasse. Ich bin dann mehr auf diese Diskussion eingegangen als auf das verpetzte Vergehen und hab das teilweise sogar unbestraft gelassen.“

Die Referendarin hakt nach: „Würdet ihr eventuell sogar den Petzer bestrafen? Ich überlege, ob ich die nicht mal als Strafe einen Text abschreiben lasse, der sich mit dem Thema beschäftigt oder einem Text, der sich mit dem Zusammenhalt in der Klasse beschäftigt.“

  • „Nein, das würde ich definitiv nicht, auch wenn ich Petzen im Allgemeinen nicht gut finde. Aber dem Petzer geht es ja vielleicht nur um eine gewisse Gerechtigkeit – es kann schon auch ätzend sein wenn gewisse Schüler immer mit etwas durchkommen, für das andere bestraft werden.“
  • „Finde ich grundsätzlich nicht verkehrt. Bei mir hat ne klare Ansage mit enttäuschtem Blick gereicht, war aber auch ne vierte.“
  • „Ich finde man muss echt unterscheiden, warum einer petzt. Ich hatte so ne unsoziale Klasse, die andere absichtlich in die Pfanne hauen wollten und sowas kann man m. E. schon bestrafen. Jemand der nur die Regeln aufrechterhalten will, wahrscheinlich weniger.“
  • „Ich finde das auch schwierig – zumal ich mich frage, ob die SuS dann noch zum Lehrer gehen würden, wenn wirklich etwas Schlimmeres passiert ist. Ab wann hört Petzen auf? Wenn die SuS einem etwas über einen anderen Schüler erzählen, was man wirklich (!) wissen sollte, ist es ja auch irgendwie gepetzt.“
  • „Einige Kinder müssen ja auch erst in der Schule lernen, zu differenzieren. Was ist wann und wie angebracht. ‚XY hat blöde Kuh zu mir gesagt‘ ist was anderes wie gewisse Schimpfwörter, Dauermobben, Diebstahl etc.“
  • „Das mit dem Petzen find ich ne interessante Diskussion… Ich war selbst als Schülerin in einer Klasse wo ich mich gefreut hätte, wenn sich öfters mal jemand getraut hätte, einem Lehrer zu sagen, was eigentlich alles so schief läuft und wie sich manche Mitschüler teilweise anderen gegenüber verhalten haben. Wir hatten einen sehr starken Zusammenhalt, aber eher im negativen Sinne von ‚keiner macht das Maul auf und alle decken sich gegenseitig als Mobber‘ – eben weil keiner als Petze dastehen wollte. Ist vielleicht ne andere Situation, aber insgesamt finde ich, dass ‚Petzen‘ nicht immer bösartig oder negativ ist, sondern auch zeigt, dass jemand den Mut hat, auch gegen die Gruppe was zu sagen. Es ist ja auch (vor allem heutzutage) wichtig, ein solches Selbstbewusstsein zu entwickeln und sich nicht einem Gruppenzwang unterzuordnen. Vielleicht kannst du ein konkreteres Beispiel nennen, was genau ‚verpetzt‘ wird? Kann ja auch sein, dass diese Petzen tatsächlich denken, sie helfen dir dabei, z. B. Fehlverhalten zu bemerken oder so. Da würde ich im Gespräch mit der Klasse auf jeden Fall differenzieren.“
  • „Bitte achte bei deinem Plan ganz arg darauf, dass du nicht die Schüler*innen einschüchterst, die sich dir als Opfer anvertrauen. Das ist dann kein petzen und da muss dringend differenziert werden. Mir hat meine Banknachbarin in der 2. Klasse im Unterricht einen Büschel Haare ausgerissen und ich hab mich Hilfe suchen bei der Lehrerin gemeldet. Sie sagt nur: ‚Rebekka, du bist eine Petze!‘ Ich werde das mein Leben lang nicht vergessen. Deshalb ist da die Differenzierung so wichtig.“

Was meint die Psychologie? Das Phänomen sei altersabhängig einzuschätzen, rät die Kinder- und Jugendpsychiaterin Dorothea Wolff gegenüber der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Bei Kindergartenkindern gehe es in der Regel um das Austesten eigener und fremder Grenzen – sie wollten feststellen, dass Regeln vorhanden seien und immer wieder deren Verbindlichkeit überprüfen. Denn, so erklärt die Expertin: „Kinder mögen Regeln, weil sie Struktur geben. Sie zu erlernen ist ein Prozess.“

Bei Grundschülern folge dann die nächste Stufe. Ihr Hauptthema sei die Stellung in der sozialen Gruppe. Grundschulkinder entwickelten ein Bewusstsein dafür, wie sie sich in einer Gruppe von Gleichaltrigen zu verhalten hätten – nun könne durchaus die Profilierung gegenüber anderen ins Spiel kommen. Trotzdem sollten Lehrer mit Begriffen wie „Lügen“ oder „Petzen“ vorsichtig sein, „weil ich das Verhalten von Kindern nicht mit der Brille sehe, durch die ich dasselbe Verhalten bei Erwachsenen beurteilen würde. Das ist ein Unterschied!“ Der Rat der Fachfrau: „Wenn ein siebenjähriges Kind andauernd kommt und erzählt, was andere falsch machen, dann sollte ich das Kind darauf hinweisen, dass es – wenn es immer so über andere redet – vielleicht nicht mehr so gerne dabeigehabt wird.“

Auch eine Autorin des vielbeachteten Blogs „StadtLandMama“ warnt generell davor, Kindern wegen Petzens einen Vorwurf zu machen. Sie fragt: „Warum sollen Kinder es schlucken, wenn ihnen Unrecht getan wird? Mit welcher Begründung darf mir denn ein Kind nicht sagen, wenn es sich unfair behandelt fühlt?“ Agentur für Bildungsjournalismus

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

VBE-Studie: Lehrer und Eltern sehen Werteerziehung als wichtigen Auftrag für die Schule – Ansprüche scheitern aber oft an fehlender Zeit

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Herr Mückenfuß
5 Jahre zuvor

Ich denke, man muss zwischen Größigkeiten und Kleinigkeiten unterscheiden. Aber das ist sicher nicht so einfach. Wenn man Kinder, die Regelbrüche mitteilen, als Petze/r bezeichnet, kann das dazu führen, dass Kinder nichts (mehr) mitteilen. Das leistet schlimmen Sachen Vorschub.

Oft erlebe ich, dass Mitteilungen von Regelbrüchen als Petzen bezeichnet wird, weil die Lehrer und Erzieher genervt sind, sich damit beschäftigen zu müssen. Es ist ja auch nervig. Aber schaut man genau hin, ist nicht das Petzen nervig, sondern die vielen ständigen Regelbrüche.

Ich glaube, die Kinder lernen mit der Zeit, dass man nicht alles weitertragen muss. Aber was genau sollen sie nicht weitersagen? Welche Regelbrüche sollen sie warum verheimlichen?

Herr Mückenfuß
5 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Ist vielleicht unsere Werte-Erziehung in den Schulen und Kindergärten so wenig effektiv, weil wir am liebsten so wenig wie möglich von Fehlverhalten erfahren, also Mitteilungen darüber als Petzen verunglimpfen?

Würde alles gesagt und besprochen werden, wäre unsere Werte-Erziehung vielleicht effektiver?!?

Cavalieri
5 Jahre zuvor

Ich fürchte, das sogenannte „Petzverbot“ dient in erster Linie dazu, dass diejenigen, die Mitschüler mobben, dieses ungestört machen können. Dann wird gedroht: „Wenn du was sagtst, kannst du erst recht was erleben!“ So ähnliche Strukturen scheint es in Gefängnissen und beim Militär zu geben.
Wie wäre es mit folgender Definition? Ein „echtes Petzen“, das abzulehnen ist, hat falsche Anschuldigungen zum Inhalt. Also (falsche) Denunziation sollte geächtet werden, nicht aber das MItteilen von wahren Tatbeständen, sofern es sich nicht gerade um Lappalien handelt.
An einer Berliner Schule (die sich als „Schule ohne Rassismus“ bezeichnet) wurde ein jüdischer Schüler von seinen lieben Klassenkameraden wochenlang gequält und mt dem Tode bedroht , vermutlich auch, weil er das Petzverbot befolgte bzw. dazu gezwungen wurde. Dasselbe galt vermutlich für die Mitschüler, die nicht direkt beteiligt waren. Die trauten sich auch nicht, das publik zu machen, obwohl sie das sahen.
Nochwas: das Petzverbot in die Nähe von „Sozialkompetenz“ zu rücken ist geradezu infam. Sozialkompetenz sollte eher so aufgefasst weden, dass das ein Verhalten ist, dem gar kein echtes Petzen folgen könnte (höchstens falsche Anschuldigungen). Nicht wer mobbt, hat die Sozialkompetenz, sondern derjenige, der nicht mobbt und das Mobbing publik macht. Solche Leute zu bestrafen bedeutet Täterschutz statt Opferschutz. Auch der Strebervorwurf kann als eine Form des Mobbings aufgefasst werden.

Marco Riemer
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Hallo Cavalieri.
Mir wäre wichtig, bei der eingangs gestellten Frage nach dem „Petzen“ eine Begriffs-Konfusion zu vermeiden! Zum „Petzen“ sagt der Duden: „(besonders einer Lehrperson, den Eltern o. Ä.) mitteilen, dass ein anderer etwas Unerlaubtes, Unrechtmäßiges o. Ä. getan hat“. Hier wird also ein (vermeintlicher) Regelbruch angezeigt/mitgeteilt, verbunden mit der Hoffnung folgerichtiger (vermeintl. gerechten) Sanktion. Anders beim Mobbing. Hier muss das vermeintliche Opfer sich keines (offiziellen) Regelbruchs schuldig gemacht haben. Gemobbt werden Kinder, wenn sie inoffizielle soziale Regeln nicht einhalten, oder einhalten können. So zum Bsp. die falsche Jeans, das vom Leistungsdurchschnitt der Klasse nach oben oder unten stark abweichende Lernverhalten (Streber/ Loser) etc.

Beim Mobbing gibt es immer eine „schweigende Mehrheit“. Wenn die im Sinne der solidarischen Parteinahme für das Mobbingopfer mobilisiert werden können, dann ist das sozial erwünscht und keinesfalls „Petzen“.

Zur eingangsgestellten Frage fällt mir als Erklärungsmodel nur ein, das die meisten Kinder in unseren Kindergärten/Schulen/Familien (Erziehungskontexten) von klein auf derart „erzieherisch“ konditioniert wurden, dass sie verinnerlicht haben, dass die Kontrollinstanz und Sanktionsmacht immer beim Erwachsenen (Mamma, Papa, Lehrer_in, Erzieher_in) liegt. Folglich gibt es Kinder, die diese Macht auch ständig – z.T. aus niederen Beweggründen, aber auch aus Gerechtigkeitsempfinden – anrufen und Antworten im erwünschten Sinn erwarten.

In einem „erziehungsfreiem“ KiTa-, Klassen- und Familienklima würden transparente und offene Formen (Kinderkonferenz, Familienkonferenz, aber auch sonst. offene Kommunikations- und Konfliktformen) vorherrschen und zur Konfliktlösung von JEDEM genutzt werden. Dem interessierten (vielleicht auch schon ahnenden Leser) sei Thomas Gordon’s Schüler/Lehrer-Konferenz, Familienkonferenz etc. ans geneigte Herz gelegt. Aber auch Marshall B. Rosenberg‘s „Gewaltfreie Kommunikation“ macht Schüler kompetenter, in Konfliktsituationen Probleme selber anzusprechen und Lösungsversuche zu starten, die nicht ständig den Lehrer und/oder Erzieher auf den Plan rufen. Ich gebe zu, ich träume wieder. Weil die o.g. Maßnahmen in deutschen (Bildungs-) Erziehungsanstalten ein derartiger Quantensprung darstellen würden, das es zu meinen Lebzeiten wohl nicht mehr realistisch erscheint.

Cavalieri
5 Jahre zuvor
Antwortet  Marco Riemer

„Beim Mobbing gibt es immer eine “schweigende Mehrheit”. Wenn die im Sinne der solidarischen Parteinahme für das Mobbingopfer mobilisiert werden können, dann ist das sozial erwünscht und keinesfalls “Petzen”.“
Das sehe ich genauso, aber sehen das auch alle anderen so? Was ist denn mit einer möglichen „solidarischen Parteinahme für die Mobbingtäter“, und sei es aus Angst ??? Sogar die Mobbingopfer selbst wagen doch oft nicht, das anzuzeigen. Das steht sogar oben im Artikel mit Beginn „Das mit dem Petzen find ich ne interessante Diskussion …“. Und wenn doch, wird den Opfern gelegentlich eine Mitschuld gegeben, weil sie nicht beliebt sind, folglich (!) nicht genug Sozialkompetenz (!) haben. Dahinter steht die Vorstellung, Leute mit Sozialkompetenz könnten praktisch gar nicht gemobbt werden. Das Petzverbot resultiert aus einer falsch verstandenen „Kameraderie“ (mit negativem Klang, im Gegensatz zu „Kameradschaft“).

Das obige Zitat „… ist was anderes wie gewisse Schimpfwörter …“ (offenbar von einer Lehrkraft) ist mal wieder ein Zeichen für einen Niedergang der Sprache. Da gibt’s keine Ausreden, denn der Duden sagt zu „anders“ klar: „anders als … (nicht: anders wie …)“. Wenn das einfache Volk so redet, mag das angehen, aber Lehrer/innen ? Zu meiner Schulzeit haben Lehrer das noch bei Schülern korrigiert, heute wissen sie es selbst nicht mehr richtig.

Cavalieri
5 Jahre zuvor
Antwortet  Marco Riemer

Zusatz: Allein das Wort „verpetzen“ oben im Artikel deutet darauf hin, dass das vielfach negativ gesehen wird, warum sonst die Vorsilbe „ver-“ ? Und hier das Verhältnis von Petzverbot zur Sozialkompetenz (Zitat aus dem Artikel):
„Ich habe klar gesagt, was ich davon halte, wenn sie sich gegenseitig verpetzen und was das über sie selbst aussagt und deren Sozialkompetenz und Zusammenhalt innerhalb der Klasse.“

mississippi
5 Jahre zuvor

Ich versuche, den Schülern immer den Unterschied zwischen „gutem und schlechtem“ verpetzen zu erklären. Schlechtes verpetzen ist z.B. die Information, dass XY im Unterricht einen Kaugummi im Mund hat. Interessiert mich nicht, merke ich dann selber (oder nicht). Gutes verpetzen wäre z.B. die Information, dass XYZ in der Umkleidekabine versucht aus dem Fenster (ziemlich hoch) zu klettern…. Der Unterschied leuchtet den Schülern meistens ein, so dass sie auch verstehen, dass „gutes“ verpetzen eigentlich gar kein verpetzen ist, sondern die Weitergabe einer (lebens)wichtigen Information.

Hans Fallada
2 Jahre zuvor

Der / Die LehrerIn ist das Problem. Er / Sie schafft ein Klima, indem Denunziation rechtens ist und die Opfer bestraft werden. Teile – und herrsche. Mit Regeln hat das nichts zu tun, wenn ein Mädchen einem anderen Kind droht, zur Lehrerin zu laufen, weil das Opfer etwas falsch ausgerechnet oder die Hausaufgaben nicht gemacht hat. Es hat damit zu tun, dass ein niederträchtigres Kind einen Weg gefunden hat, ein anderes Kind zu schikanieren. Warum auch immer es das tut, fragt man sich bei Psychopathen ständig. Aber ein solches Denunziationssystem zieht Psychopathen erst heran, schon in der Grundschule.