„Hier wurden Menschen gebrochen“: DDR-Polizeigefängnis wird zum Lernort

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BERLIN. Der Ort Keibelstraße war zu DDR-Zeiten in Ost-Berlin vielen bekannt – und er war gefürchtet. Dort gab es ein Gefängnis im Präsidium der Volkspolizei. Lange brauchte es, bis ein Erinnerungsort entstand.

Im berüchtigten DDR-Polizeigefängnis in der Berliner Keibelstraße saßen Menschen gebracht, die zum Beispiel des Diebstahls verdächtigt wurden, aber auch solche, die als politische Systemgegner eingestuft wurden. Foto: SenBJW

Michael Brack berichtet von einem Geschicklichkeitsspiel, mit dem er sich die Zeit vertrieb. Es geht so: Man schnipst mit den Fingern eine Streichholzschachtel nach oben. Fällt sie auf ihre breitere Seite, gibt es mehr Punkte als im anderen Fall. «Sinn-entleert», sagt der 70-Jährige rückblickend. Es war für ihn eine schwere Zeit, als er im berüchtigten DDR-Polizeigefängnis in der Berliner Keibelstraße einsaß. Künftig sollen hier Schüler über die Geschichte des Ortes und das Unrecht, das viele dort erlitten, informiert werden.

Brack, der nach eigenen Angaben Ende der 1960er Jahre als junger Mann für ein Vierteljahr wegen Graffitizeichnungen an Hauswänden in U-Haft kam und schließlich wieder freigelassen wurde, ist am Montag zum neuen Lernort gekommen. Nach jahrelanger Hängepartie eröffnet Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) diesen in einem ehemaligen Hafttrakt, der sich im damaligen Präsidium der Volkspolizei in der Nähe des Alexanderplatzes befand.

In die Untersuchungshaft wurden Menschen gebracht, die zum Beispiel des Diebstahls verdächtigt wurden, aber auch solche, die als politische Systemgegner eingestuft wurden. Von dort wurden sie auf weitere Haftanstalten verteilt. «Hier wurden Menschen gebrochen», betont Scheeres.

An einer Zellenwand sind Infos zum Gefängnis und zur Geschichte des großen Gebäudes – einst ein Warenhauskonzernverwaltungssitz – zu sehen. Der Einfluss der Stasi auf die U-Haftanstalt ist auf einer Grafik nachzuvollziehen. In einer anderen Zelle: Zeitzeugenberichte und Dokumente. Auch ein Modell ist aufgebaut, das alle Haftanstalten zu DDR-Zeiten in Berlin zeigt.

Führungen auch für die Öffentlichkeit

In erster Linie soll der Lernort für Schülergruppen geöffnet werden. Laut Betreiberverein werden darüber hinaus einmal pro Monat Führungen für die Öffentlichkeit angeboten. Eine Dauerausstellung gibt es hingegen nicht. Das Konzept sei auch aus Brandschutzgründen auf kleinere Gruppen beschränkt, erläutert die Leiterin des Vereins «Agentur für Bildung», Birgit Marzinka.

Der zum Lernort führende Weg ist ungewöhnlich. Es gibt keinen eigenen Außeneingang. Der ehemalige Hafttrakt gehört zu einem Gebäudekomplex, in dem heute die Senatsverwaltung für Bildung ansässig ist. Vorbei an einem Wartebereich, in dem Bürger eine Nummer ziehen, um bedient zu werden, geht es einige Gänge weiter bis zu dem historischen Ort. Es wirkt wie eine Art Zeitreise, wenn die Tür zu dem Hafttrakt aufgeht.

Ob das Ganze auf noch breitere Beine gestellt wird und weitere historische Teile in das Konzept integriert werden könnten, ist offen. Ein Gremium diskutiere derzeit, ob möglicherweise eine Machbarkeitsstudie angestoßen werde, sagt Marzinka.

Schon bis zum jetzigen Konzept war es ein langer Weg. Scheeres zählt in ihrer Eröffnungsrede auf: Fragen zur Finanzierung und zum Denkmalschutz mussten geklärt werden, aber auch die Konzeption und Gestaltung habe Zeit in Anspruch genommen.

U-Haftanstalten wie die am Standort Keibelstraße gab es in jeder größeren Stadt der DDR, wie Marzinka erläutert. Dass überhaupt ein Gefängnis in einem Polizeipräsidium integriert war, liege daran, dass der Justizbereich mit Strafvollzug ebenso wie die Polizei dem damaligen Ministerium des Innern zugeordnet waren. Das Polizeigefängnis in Berlin existierte zwischen 1951 und 1990. Es war die einzige Ost-Berliner U-Haftanstalt, in dem auch Frauen einsaßen. Von Anna Ringle, dpa

Hier können Lehrer sich und ihre Klassen für Führungen anmelden.

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